Im Kern dreht sich die Frage nach der Enstehung von Leben doch eigentlich darum, ob dahinter ungerichtete oder gerichtete Prozesse stecken. Ersteres ist der Ausgangspunkt des Naturalismus.
Mit 'gerichtet' meint man im Allgemeinen zweckgerichtet, auf ein bestimmtes Ziel hin. Bereits Aristoteles unterschied zwischen transzendenten (äußeren) und immanenten (inneren) Zweckursachen. Bei Wikipedia heißt es hierzu:
"Nach der transzendenten Auffassung (Anaxagoras, Heraklit) wird die zweckmäßige Ordnung der Welt durch das Wirken einer zwecksetzenden Weltkraft (Nous, Logos) hergestellt; bei Platon durch die außerweltlichen Ideen; in der christlichen Theologie durch Gott oder die göttliche Vorsehung." (Wiki, Teleologie)
Aristoteles legte nun die Zweckursache aber in die Dinge selbst hinein und führte u.a. den Begriff der Entelechie ein, worunter man die Eigenschaft versteht, sein Ziel (Telos) in sich selbst zu haben. In leicht variierter Begriffsdeutung ist bspw. die Entelechie der Raupe der Schmetterling. Die Raupe hat sogesehen nicht das "Ziel" zum Schmetterling zu werden, so wie wir Menschen "Ziele" verstehen, aber dennoch ist es ihre innere Bestimmung, ihr Zweck. Angewendet auf den Kosmos könnte man sagen, dass dessen Entelechie das Leben ist. Natürlich hat auch der Kosmos nicht das "Ziel" in dem Sinne, aber dennoch ist es seine Bestimmung Leben hervorzubringen, sein Zweck.
In letzter Zeit sehr in Mode gekommen ist der Begriff der Selbstorganisation, die man für zahlreiche Prozesse im Zusammenhang mit der Evolution (und auch der Abiogenese) verantwortlich macht. Bei der Selbstorganisation handelt es sich um eine Form der Systementwicklung, "bei der die formgebenden, gestaltenden und beschränkenden Einflüsse von den Elementen des sich organisierenden Systems selbst ausgehen." (Wiki, Selbstorganisation)
Wenn man sich nun beide Begriffe (Entelechie, Selbstorganisation) anschaut, so scheint es doch bemerkenswerte Parallelen zu geben...
In der Biologie nun aber wehrt man sich vermutlich aus ideologischen Gründen gegen eine jegliche teleologische Betrachtungsweise, weil man wahrscheinlich befürchtet, dadurch nur Gott und damit Willkür durch die Hintertür einzuführen. So führte man bspw. auch den Begriff der Teleonomie ein, welcher eine "kausalanalytische Erklärungsweise für die (scheinbare) Zielgerichtetheit eines Vorganges" (Wiki, Teleonomie) bezeichnet. Im Prinzip werden hier zweckgerichtete Prozesse einfach terminologisch zu Automatismen umgedeutet. Gleichwohl, als würde ein Mensch aufgrund der Ursächlichkeit "Durst" automatisch zur Wasserflasche greifen, hätte jedoch in keinem Fall dieses Ziel gehabt.
Monistische Ansätze gehen bei dem Streit zwischen Kausalität und Teleologie allerdings eh davon aus, dass beides "sich ergänzende Aspekte [sind], die nicht im Gegensatz zueinander stehen, sondern als unterschiedliche Auffassungsweisen desselben Geschehens in einer höheren Synthese miteinander vereinbar sind. (Wiki, Teleologie)
Insofern ist das wiederum nicht ganz so überraschend.
Was nun die Frage nach Gott angeht, so halte ich diesen Begriff manchmal auch für eine Metapher für einen allumfassenden Weltgeist ("Weltseele", "Brahman", "kollektives kosmisches Bewusstsein"), deren Teile sich in Form eines "Ich" in der materiellen Welt manifestieren, um die Welt aus verschiedenen Blickwinkeln zu entdecken, zu erfahren, zu erleben und zu gestalten - kurz: ihr überhaupt einen Sinn zu geben. Letztendlich wären es dann wir selbst, die Schöpfer dieser Welt sind, und in einem gewissen Sinne sind wir es ja wohl auch, bzw. irgendwie ein Teil von uns, der das Geschehen in eine gewisse Richtung ('Leben') lenkt.
Die Abiogenese halte ich für langfristig (naturalistisch) erklärbar, selbst wenn sie zweckgerichtet sein mag... Meine Güte... sogar den Menschen und sein Handeln könnte man kausal-naturalistisch erklären, wenn man wollte, und müsste es konsequenterweise sogar auch, wenn man sich als Naturalist nicht in einem Dualismus verheddern möchte... -.-
Und äh... nein, ich denke nicht, dass die Antwort zu spät kommt. Daten haben ja im Netz eine lange Halbwertszeit, und auch künftig könnte noch der Eine oder Andere (so wie ich) hier drüber stolpern. :)