Ein Leben für den Augenblick
Schritt für Schritt, langsam und elegant kam er auf mich zu. Um seine feinen Lippenkonturen spielten die Andeutungen eines Lächelns. Er sah mir geradewegs in die Augen und aus den Seinen strömten tausende Emotionen. Liebe, Freude, Glück, doch auch Angst und Hoffnungslosigkeit. Scheu vor der Zukunft und Hoffnungslosigkeit auf Grund der Gegenwart. Die Falten in seiner Stirn offenbarten den Schmerz den er innerlich fühlen musste. Instinktiv streckte ich meine Hand nach ihm aus. Er tat es mir nach und als gleich berührten sich unsere Fingerspitzen. Ich erschrak. Denn just in diesem Moment wurde mir klar, dass den ich da sah, das Ebenbild meiner eigenen Seele und Person war.
„Jodie, wo bleibst du denn?“ ertönte die genervte Stimme meiner besten Freundin in mein Ohr. Erschrocken zuckte ich zusammen und drehte mich um. Lesley stand mit verschränkten Armen an den Türrahmen gelehnt. Mit einem vielsagenden Blick sah sie an mir vorbei, auf die weiße Uhr die an der Wand der Mädchenumkleide hing. Es war kurz vor zwei. „Oh Mist.“ stöhnte ich. Wie konnte nur so schnell die Zeit vergehen? Und wieso lief sie immer erbarmungslos an mir vorbei? Hektisch griff ich nach meinen Sportschuhen und warf sie in meinen Spind und schlug die Tür zu. Der daran befestigte Spiegel zeigte mir, dass meine kastanienbraunen langen Haare unmöglich in alle Richtungen flogen. Wie ich Sport hasste. Panisch versuchte ich mit meinen Fingern die Strähnen die aus meinem Zopf hangen zu ordnen. „Jetzt komm endlich.“ rief meine Freundin ungeduldig und trommelte mit den Händen nervös gegen die Wand. „Bin schon fertig.“ trällerte ich, griff nach meinen Rucksack und warf ihn über die Schultern. „Schon ist gut. Wie kommt es, dass du immer die Letzte bist?“ sagte Lesley ärgerlich und musterte mich mit einen wachsamen Blick. „Keine Ahnung. Leider nimmt die Zeit keine Rücksicht auf mich.“ versuchte ich mich an der These von vorhin. „Andere Menschen schaffen es doch auch pünktlich zu sein. Sie kommen auch nicht jedes Mal zu spät… Komisch. Nun sind wir bereits zehn Jahre befreundet und ich kenne dich in und auswendig, aber dahinter bin ich immer noch nicht gestiegen. Woran das wohl liegen mag?“ fragte sie mehr sich selber als mich. Darauf gab ich jetzt besser keine Antwort. Es war unklug Lesley beim Nachdenken zu stören.