Jahrzehntelang waren Christofle-Silber, Gläser von Baccarat oder Riedel nötig, um drei Sterne zu bekommen. Und es mussten Gänseleber, Hummer und Steinbutt auf der Karte stehen. Eigentlich gelten die drei Sterne nur für die Küche. Aber unter Köchen und Wirten galt als ungeschriebenes Gesetz, dass, wer die Höchstnote bekommen wollte, neben französischen Edelzutaten auch für feines Interieur zu sorgen habe. "Der 'Michelin' erwartete das", sagt Helmut Thieltges vom Drei-Sterne-Restaurant "Serrana" in der Eifel, zumindest habe man ihm das immer so erzählt.

Heute ist das anders. Heute bekommen Köche drei Sterne, die japanisch oder neoamerikanisch kochen, alle Tricks der Molekularküche beherrschen - und deren Restaurants vieles sind, aber nicht luxuriös. Als Pascal Barbot vom Pariser "L'Astrance" 2007 den dritten Stern erhielt, wunderten sich viele, denn sein Lokal war zwar elegant, aber kein piekfeiner Gourmettempel. Und auch in Deutschland zeigt der zweite Stern für Moissonniers Bistro und das ebenfalls vergleichsweise einfach eingerichtete "Essigbrätlein" in Nürnberg, dass die Pariser Michelin-Zentrale unter Direktor Jean-Luc Naret zwei neue Tendenzen hat: Zum einen will man weg von der offensichtlichen Förderung französisch geprägter Hochküche und hin zu internationaleren Küchen. Und zum anderen werden nun auch Restaurants in die Oberliga aufgenommen, die nicht dem Bild des hocheleganten Luxusrestaurants entsprechen.

Das beste Beispiel dafür ist das "Amador" in Langen bei Frankfurt. Seit November hat Chef Juan Amador den dritten Stern, und sein Lokal ist zwar keine einfache Gaststube, aber elegant oder luxuriös ist es nicht. Amador kocht hochmodern - deutlich von spanischen Avantgardisten beeinflusst und beileibe wenig klassisch-französisch.

Aber was gilt nun? Wofür gibt es einen Stern? Die deutsche "Michelin"-Redaktion hat ihren Sitz in Landau, Juliane Caspar ist die Chefin. Sie zählt genau auf, welche Kriterien ein Restaurant erfüllen muss, um einen Stern zu bekommen: zunächst die Qualität der Produkt und deren Frische. "Es macht ja schon einen Unterschied, ob ein Rinderfilet aus Massentierhaltung stammt oder vom Hohenloher Rind oder Wagyu", sagt sie.

Hinzu komme die fachgerechte Zubereitung, "das heißt genaue Einhaltung der Garpunkte". Als drittes Kriterium nennt sie "den Geschmack". Aber ist das nicht sehr subjektiv? "Ja klar, aber man könnte es so vereinfachen: Eine Erdbeere muss nach Erdbeere schmecken und nicht nach Wasser", sagt sie. Außerdem wichtig: Kreativität und eine persönliche Note. "Kocht ein Koch nicht kreativ, sondern sehr klassisch, ist es die persönliche Note, die zählt: Was unterscheidet seine Küche von anderen, was macht sie besonders oder besser?", sagt Caspar.

Und schließlich ist noch die Beständigkeit wichtig: Sind Vorspeise, Hauptgang und Dessert alle auf demselben Niveau, und schmeckt es in dem Restaurant nicht nur einmal abends gut, sondern auch dreimal mittags an unterschiedlichen Tagen? "Erfüllt jemand diese Anforderungen, bekommt er einen Stern. Punkt." Kocht er darüber hinaus noch viel besser als andere mit einem Stern, gibt es zwei, und wenn er irgendwann mal so gut ist wie andere Kollegen mit drei Sternen, bekommt er die. Dann muss es immer erstklassig sein, neue Impulse geben, Maßstäbe setzen und nicht nur Bekanntes wiederholen. Dass es heute auch einfachere Restaurants mit zwei der drei Sterne gebe, liege nicht an einer veränderten Beurteilung durch den "Michelin", sondern daran, dass es heute Restaurants mit einfacher Einrichtung gebe, in denen eine hervorragende oder sogar erstklassige Küche serviert werde, sagt die "Michelin"-Chefredakteurin. "Und dass offensichtlich viel mehr Gäste als früher bereit sind, auch in weniger eleganten Restaurants für viel Geld sehr gut zu speisen."

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