ufgabe einer literarischen Charakteristik ist es, alle Einzelaspekte einer Person in einem geschlossenen Aufsatz zusammenzufassen. Man muß bereits beim Durcharbeiten eines Textes darauf achten, die für den Aufsatz wichtigen Informationen zu erkennen und zu sammeln. Das heißt:
Textstellen markieren;
Textstellen sammeln und nach bestimmten Gesichtspunkten ordnen.
Diese Gesichtspunkte können sein:
äußere Erscheinung (Geschlecht, Alter, Körperbau, Aussehen, Kleidung)
soziale Situation (Beruf, gesellschaftliche Stellung, soziale Beziehungen)
äußeres Verhalten (Eigenarten, Gewohnheiten, Verhaltens- und Handlungsweisen, Sprache und Sprechweisen)
psychisches Verhalten (Interessen, Gefühle, Denkweisen, Einstellungen, Triebrich-tungen, Problemorientierungen)
gesellschaftliche Bedingtheit und Wirkung (Inwiefern ist das äußere und psychische Verhalten gesellschaftlich bedingt? Wie wirkt es auf die Umwelt?)
emotionale und soziale Beziehungen (Art des Umgangs der Personen miteinander)
Besondere Bedeutung kommt dabei der Art und weise zu, wie in Gesprächen sich Personen selbst charakterisieren und wie sie von anderen charakterisiert werden:
Bei der „direkten Charakterisierung“ charakterisieren Romanfiguren andere oder sich selbst direkt durch Urteilsäußerungen. Der Leser hat die Subjektivität der Äußerungen der Romanfiguren zu beachten.
Bei der „indirekten Charakterisierung“ charakterisieren sich die Romanfiguren durch Gesprächsinhalte oder die Art und Weise ihres Sprechens indirekt selbst. Der Leser muß die Wesenszüge der jeweiligen Romanfiguren selbst erschließen.
Beispiele:
Gespräch über Kunst, Politik usw. als Ansichtsäußerung
Gespräch über Geschehnisse der Erzählhandlung als Urteilsäußerungen
Lieblingsthemen
Anteilnahme am Gespräch
Lieblingswendungen
Zitate / Sprichwörter
Satzmuster (z. B. knappe Sätze: Militär!)
Wortschatz (z. B. restringierter Code: soziale Unterschicht)
Berufssprache
Dialekt
Man sollte darauf achten, ob im Laufe des Werks Veränderungen des Verhaltens oder des Charakters auftreten. Wenn man den Gesamtzusammenhang des Werkes nicht aus den Augen verliert, sieht man, dass nicht alle Gesichtspunkte für die Charakterisierung der Person gleich wichtig sind, dass man im Aufsatz auf manche mehr, auf andere weniger Gewicht legen muß. Es spart unnötige Arbeit, wenn man seine Beobachtungen und die gefundenen Textstellen gleich mit einem Quellenvermerk versieht (vgl. Zitieren).
Eine Charakteristik ist ein argumentativer Text. Alle Behauptungen, die man über eine Figur aufstellt, müssen begründet, d. h. in der Regel durch eine oder mehrere Textstellen belegt werden. Auf korrektes Zitieren ist dabei besonderer Wert zu legen.
Eine große Gefahr beim Abfassen von Charakteristiken besteht darin, in eine Art Inhaltsangabe zu verfallen und gewissermaßen „am Text entlang“ Charaktereigenschaften der Personen aufzuzeigen. Das führt in den meisten Fällen zu unnötigen Wiederholungen.
Nicht aus einer Wiedergabe des Textinhalts sollen Charaktereigenschaften abgeleitet werden, sondern die Charaktereigenschaften sollen festgestellt, erläutert und schließlich durch Textbelege gestützt werden.
Zusammenfassung
In einer literarischen Charakteristik wird die Eigenart einer Figur in einem poetischen Text dargestellt. Gegebenenfalls muß auch ihre Entwicklung im Werk dabei erfaßt sein. Dazu ist es nötig, die Informationen, die der Text vermittelt, zu sammeln, zu ordnen und zu werten. Man muß dabei aber unterscheiden zwischen
der unmittelbaren Darstellung der Figur (im epischen Text durch den Erzähler, im Drama durch Regieanweisungen);
der zwangsläufig subjektiven Selbstdarstellung der Figur;
den (möglicherweise auch subjektiven) Aussagen anderer Figuren des Werks über die Person.
Immer ist zu prüfen, aus welcher Perspektive die Figur gesehen wird und mit welcher Absicht sie auf eine bestimmte Weise dargestellt wird. Es soll nicht eine Aufzahlung von Charaktereigenschaften gegeben werden, sondern eine Zusammenschau und Gewichtung dieser Eigenschaften. Das Wesentliche muß herausgestellt werden. Die literarische Charakteristik fordert keine beschreibende, sondern eine argumentierende Darlegung. Alle Feststellungen sind sorgfältig durch Textbelege zu untermauern. Auf richtiges und sinnvolles Zitieren ist besonderer Wert zu legen. Die Zeitstufe ist das Präsens.
http://www.thomasgransow.de/Fachmethoden/Charakterisieren.html