Hallo,

ich würde auf diese "gute Frage" gerne aus der Anbietersicht antworten. Und zwar nicht in dem Sinne, "was Nachhilfe kosten darf", sondern was sie vernünftigerweise kosten sollte oder unter realistischen Bedingungen nur kosten kann.

Nachhilfe wird gemeinhin entweder privat oder von professionellen Anbietern erteilt. Im Unterschied zu Privaten arbeiten Institute (bzw. die darin Beschäftigten) wirtschaftlich, d.h. sie müssen Profit einfahren, um sich selbst unter Marktbedingungen zu erhalten. Privatleute (Studenten, ehemalige Lehrer, Schüler o.ä.) müssen dagegen im Regelfall nicht von ihren Einnahmen leben und geben Nachhilfe meist auch nicht frei- oder anders beruflich. (Dies ist wertfrei gemeint.) Hinzu kommt, dass (wie es auch andere Beiträge betonen), Nachhilfe oft im Zuhause der Schüler stattfindet, die Nachhilfekraft also Anfahrtsweg, -umstände und -zeit in Kauf nehmen muss, die im Regelfall nicht extra bezahlt werden.

Ein dritter Punkt ist relevant: Nachhilfe kann fast immer nur nachmittags bis in den frühen Abend erteilt werden; der Nachhilfelehrer hat also oft nur ein Tagesfenster von etwa 6 Stunden (14-20 Uhr), in dem er seine Dienstleistung anbieten kann. (Am Wochenende oder in den Ferien gar nicht, da diese dem Familienleben geschuldet sind und es übrigens auch sein sollten.) Viertens (hier auch schon erwähnt) investieren gute Nachhilfelehrer Zeit in die Vor- und Nachbereitung der Unterrichtseinheiten, bei TÜV-zertifizierten Instituten ist dies sogar obligatorisch. Das Verhältnis ist etwa 2:1, d.h. auf 2 Schulstunden Nachhilfe am Schüler kommt eine Schulstunde Vor- und Nachbereitung in Form von Dokumentation, Reflexion, Evaluation und Planung künftigen Nachhilfestoffs. Ein fünfter Punkt soll nicht unerwähnt bleiben: Im Unterschied zu "normalen" Lehrern haben es Nachhilfekräfte oftmals ausschließlich mit "ProblemschülerInnen" zu tun, also solchen, die gegenüber anderen Schülern einen erhöhten Förder- und Entwicklungsbedarf haben und intensiverer Betreuung bedürfen. Die Anforderungen an die Nachhilfe sind somit nicht nur anders gelagert als im Schulunterricht, sie sind in gewisser pädagogischer Hinsicht auch höher. Schließlich ein sechster Punkt: Gute professionelle Nachhilfeinstitute veranlassen ihre Lehrkräfte, sich auch an internen Maßnahmen wie Supervisionen, Schulungen und Weiterbildungen zu beteiligen; diese Maßnahmen, für die die Lehrkräfte nicht eigens entlohnt werden, nützen letztendlich auch den Nachhilfeschülern, werden diesen aber nicht (auch nicht indirekt) in Rechnung gestellt; vielmehr definieren sie erst das Hintergrundgeschehen einer professionellen Nachhilfe.

Der Vergleichslohn eines Nachhilfelehrers, als eigene Berufsgruppe genommen, ist somit auf der einen (der fachlichen, qualifikatorischen und kompetenzorientierten) Seite an den eines staatlich angestellten Lehrers angelehnt, und zwar in Form eines gesetzlich so formulierten "Weiterbildungsauftrags". Auf der anderen Seite wird er durch die Existenzbedingungen der Freiberuflichkeit mit all ihren Vor- und Nachteilen definiert. (Maßnahmen wie die Zertifizierung nach TÜV oder RAL versuchen diese Lücke zu schließen.)

Nun ist Folgendes festzustellen: Viele Nachhilfelehrer verlangen zwischen 8 und 15 €/Schulstunde. Bei möglicher Vollbeschäftigung kommen sie somit maximal auf 120,-€/Tag, 600,-€/Woche, 2400,-/Monat, 21.600,-€/Jahr (zwangsläufig arbeitsfreie Ferien und Feiertage eingerechnet). Von den so resultierenden 1800,-€ durchschnittlichem Monatsverdienst gehen ab: Fahrtkosten, Steuern, Materialkosten aller Art usw. in Höhe von rund 800,-€. Es bleiben dem Nachhilfelehrer übrig: 1000,- Euro, in die die Zeit, die er für Vor- und Nachbereitung aufwendet, sowie die Anfahrtszeiten zu seinen Kunden noch gar nicht eingerechnet sind. Fazit: Die meisten Nachhilfelehrer dürften also mit ihrem Vollverdienst unter Sozialhilfeniveau bleiben, ob studiert oder nicht, ob professionell ausgebildet oder nicht.

Dies alles gebe ich FragerInnen zu bedenken, die von einem Schulstundenlohn von unter 8,-€ für Nachhilfe fantasieren. Entweder erhalten sie dafür eine unseriöse Hobbykraft ohne Ausbildung und Motivation unter desaströsen Bedingungen. Oder sie denken einfach nur an der wirtschaftlichen Realität bzw. der qualitativen Idealität vorbei. Gute Nachhilfe muss nicht nur teurer sein, sie sollte es auch sein, um überhaupt sinnvoll und professionell funktionieren zu können: Eltern können schließlich nicht ernsthaft wollen, dass ihr Kind Zeit mit "Nachhilfe" verplempert, die den Namen nicht verdient und ihnen bei ungewissen Erfolgsaussichten nur Geld aus der Tasche zieht.

MfG, Ein Nachhilfelehrer

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