Wir sind uns einig, dass wir uns an die Grausamkeit erinnern müssen, die die Nazis begangen haben, während die deutsche Bevölkerung in weiten Teilen mindestens wegschaute und es so still duldete.
Du fragst nach dem Umfang, oder der Eindringlichkeit, in der die Aufklärung betrieben wird: ob sie abnormal ist. Ich würde fragen: Sind wir in der Aufklärung ehrlich? Und reicht sie aus?
Die erste Frage gewaltig, dazu reicht mein Wissen nicht aus. Ich lese des öfteren über Einschätzungen von Historikern, dass man lange bis in die Nachkriegszeit zu schonend, eigentlich: revisionistisch, war; und auch heute noch kämen gewichtige Dinge zu wenig zur Sprache und noch weniger ins Bewusstsein.
Ich schreibe nun zur zweiten Frage.
Die, die das Zunehmen des Hasses leugnen, sehen nicht selten ebendiesen Hass als eine legitime Antwort auf zerstörerisches Wirken des Kapitalismus (vornehmlich bedeutet das Judenhass) – oder aber auf „Überfremdung“ und auf die deutschen Ausgaben zum Wohlergehen anderer Staaten und Völker.
Dies sind nicht unbedingt dieselben Leute; es gibt eine Schnittmenge, aber ich kann nicht sagen, wie groß die ist.
Aber ihnen allen ist nur beizukommen, wenn stets an die deutsche Geschichte erinnert wird. Es geht um dabei um etwas subtileres und direkter wirkendes, als nur die Erfahrung, dass Geschichte sich wiederholt:
Zu den ersteren: Der breite Antisemitismus war vor und im Dritten Reich notwendig für das Gedeihen des extremen Hasses und die breite Duldung in der Gesellschaft; und diese Ressentiments wurden nicht als gefährlich akzeptiert, bis man das Grauen vor Augen geführt bekam. Durch jahrzehntelange (!) Aufklärung ist das Bewusstsein dieser Gefahr zwar heute weitgehend da – aber lässt sich diese um Jahrhunderte zurückreichende Gemütslage eines so großen Volkes auch in den Ansätzen beseitigen? – Selbst wenn man weiß, dass sein Antisemitismus verfehlt ist, ist er dadurch nicht beseitigt und könnte sich äußern, sogar ohne dass man es merkt: Gerade deshalb die permanente geschichtliche Aufklärung. (Die politische Aufklärung, etwa mit den erwähnten Plakaten gegen Nazipropaganda, ist demgegenüber praktisch orientiert: Der geht es darum, die Faschisten zu übertönen. Den den geistigen Boden muss man anders beseitigen.)
Zu den zweiten: Unter den Einwanderungskritikern und Kassenwarten sind vielleicht gar nicht so wenige respektable Rechte. Aber ohne es zu wollen beackern auch sie – schon seit Jahrzehnten und mit erschreckender Wirkung – das Feld für einen neuen Hass, vornehmlich auf Afrikaner und verschiedenste Völker des Nahen und Mittleren Ostens.
Auch wer niemals Fackeln anzünden würde, muss sich fragen: ob nicht die, die es tun, erst eine Stimmung benötigen, und ob man zu der nicht selbst beiträgt.