Die Frage ist ja schon etwas älter - spricht mich aber durchaus an.
Bin selbst betroffen. Mittlerweile 25 Jahre alt und Studentin - ohne Ritalin. Diagnose mit 24 (korrekte Selbstdiagnose ca. zehn Jahre früher).
Erste Frage mit sechs Monaten formuliert, komlexer Sprachgebrauch mit zwei Jahren. Sehr gute Leistungen in der ersten Klasse, konnte vor der Grundschule weder lesen noch schreiben oder rechnen, habe all das aber binnen weniger Wochen - da eben unter Anleitung - sehr gut gekonnt. Kurz nach Schulbeginn fragte ich mich, weshalb wir denn noch keine richtigen Bücher lesen.
In der zweiten war ich so unterfordert, dass ich über drei Jahre hinweg derart schlechte Leistungen erbrachte, dass ich schlussendlich auf einer Hauptschule landete, auf der ich dann sechs Jahre zubringen musste.
Auch dort allenfalls mittelmäßige Leistungen erbracht - Physik und Chemie 4-5, Technik und Sport sogar 5. In der Siebten lief ich kurzzeitig Gefahr, wegen einer Fünf in Technik und Sport das Jahr wiederholen zu müssen.
Gut, dass sie das gelassen haben, denn das hätte das Ende meiner Schullaufbahn markiert.
War hochmotiviert, Fremdsprachen zu lernen, allerdings waren Privatkurse für meine Mutter, die im Niedriglohnsektor arbeitete und trotz Vollzeitarbeit mit weniger als 1000€ nach Hause ging, viel zu teuer, die VHS hat mich lachend weggeschickt und gemeint, ich solle doch nach Beendigung der Schulpflicht wiederkommen, wenn ich denn unbedingt Latein lernen möchte - denn parallel zur Schule schafft man Sprachkurse natürlich niemals; alle, die das schaffen können, erhalten bereits hinreichende Förderung! -, die Schule wechseln durfte ich ja nicht... und zur autodidaktischen Aneignung hat meine Disziplin nicht gelangt.
Mich Ach und Krach die FOR-Q erhalten, mein Klassenlehrer meinte noch, es sei "knapp genug" gewesen.
Mit knapp 16 in die Oberstufe gekommen, bis zur 12. dageblieben, gravierende soziale Probleme gehabt, gemobbt worden, Schulwechsel, dort Rückgang in die Elfte -> wenige Monate darauf Schulabbruch.
Darauf folgte eine turbulente Zeit, erste Beziehung, Trennung, Liebeskummer, schwere Depressionen, Gammeln; zwei Jahre später, nachdem ich mir eine Sondergenehmigung zum Wiederbesuch der gymnasialen Oberstufe erwirkt, ca. 25 Schulen in der Umgebung angeschrieben und um eine "zweite Chance" gebeten und schlussendlich eine gefunden hatte, wieder die Oberstufe besucht, 70km von meinem Wohnort entfernt. Jeden Tag vier Stunden Fahrt auf mich genommen, da ich nicht von meiner leberzirrhotischen und damit todkranken Mutter wegziehen wollte.
Abi trotz mehr als 50% Fehlstunden, von denen wiederum mehr als 90% unentschuldigt waren, sowie ohne Lernaufwand immerhin mit 3,0 geschafft; hatte Einsen in den Fächern, die mich interessierten. Mathe permanent Fünf, Philosophie permanent Eins. Und die Mathefünf resultierte nicht - wie dahingehend Nichtswissende häufg meinen - aus mangelnder logischer Befähigung ("mathematisch-logischer IQ" der Teilbereich mit den höchsten Werten), sondern aus einem immensen Mangel an Struktur im Kopf. Ab und an hatte ich Geistesblitze, die meinem Lehrer die Sprache verschlugen.
Meine ganze Schullaufbahn hindurch war ich sozial isoliert gewesen. Hatte mit zwei Jahren eine drei Jahre ältere Freundin, die mir sieben Jahre darauf die Freundschaft kündigte - nach ihr hatte ich allenfalls sehr kurze Bekanntschaften, habe die meiste Zeit zu Hause gehangen und geträumt.
Auf der Hauptschule wollte ich unbedingt studieren - Ägyptologie, Anthropologie, Archäologie, Paläontologie, ... Habe mich zeitweise als Lara Croft gegeben, saß mit Springern, Sonnenbrille und englischer Zeitung im Englischunterricht und habe meine Lehrer provoziert und Tests und Arbeiten mit "angehende Archäologin xxxxx xxxxxx" unterschrieben... :D
Ich bin exzentrisch und nonkonformistisch, grundehrlich, extrem sensibel und ängstlich, ziemlich hilfsbereit, perfektionistisch, kritisch und wehleidig, mal manisch, mal depressiv, äußerst chaotisch, sehr tierlieb, habe gravierende Selbstzweifel und keinen Sinn für Normen, hänge sehr der Vergangenheit und nichtgenutzten Gelegenheiten sowie Fehlentscheidungen nach, neige zu Egozentrik und Narzissmus und leide regelrecht unter meinem enormen Gerechtigkeitssinn.
Ich betrachte mich beispielsweise als vom Staat zum Studienabbruch genötigt, weil dieser mich als von weniger als ALGII Arbeitende zur Zahlung von Rundfunkgebühren nötigt, weil ich den Leistungsnachweis für BAföG nicht erbringen konnte und damit keinen "Befreiungsgrund" nachweisen kann - obwohl der noch lebende Teil meiner Familie so arm ist, dass er unterhalb des ALGII-Niveaus lebt.
Eigentlich hatte ich Anspruch auf den Höchstsatz - von jetzt an - 5. Semester, und es erwarten mich noch garantiert vier, die durchschnittliche Studiendauer beträgt in meinem Studiengang 9 Semester, und ich bin diverser chronischer Erkrankungen wegen nur eingeschränkt studierfähig und muss jetzt auch noch parallel dazu arbeiten -; dieser wurde mir nun komplett gestrichen.
Und die scheinbar einzigen Leute, die Verständnis für meine Situation haben, sind ebenfalls intelligente ADSler :D
Aufgrund meines auf der Hauptschule anerzogenen Autoritätenhasses gehe ich heute nahezu nie zu Ärzten. Ich nehme keine verschreibungspflichtigen Medikamente, weil mein Freiheitsdrang und das Bedürfnis, mich betreffende Belange selbst entscheiden zu dürfen, zu ausgeprägt sind.
Aber gut, die letzten Widrigkeiten werde ich auch noch überwinden. Ständig hört man dämliche Kommentare, die besagen, es müsse nicht jeder studieren - recht haben sie! Viele, die studieren, sollten es besser lassen. Bei Werdegängen wie dem meinen erwarte ich aber, dass ich studieren und mein Studium auch beenden kann.
Daher werde ich mir weiterhin nicht die Butter vom Brot nehmen lassen und meine Ausbildung ordnungsemäß beenden.