Das ist ein riesiges Fass, das man hier aufmacht und natürlich kann man die Frage gar nicht adäquat in einem kurzen Beitrag beantworten. Aber ich bemühe mich Mal ein paar Scharniere und Schnittstellen aufzuzeigen, die ich hier sehe.
Mir scheint, Dich interessieren zentral die Zusammenhänge zwischen:
a) Determinismus
b) Willensfreiheit
c) (moralische) Verantwortung
d) Legitimation von Strafe.
Falls Dich das tiefergehend interessiert (und Du ganz gut Englisch kannst) empfehle ich den Artikel (insbes. Abschnitt 1) zu "Moralischer Verantwortung" in der Stanford Encyclopedia of Philosophy https://plato.stanford.edu/entries/moral-responsibility/). Der ist recht verständlich und schafft einen guten Überblick.
Ich fasse mich hier einfach Mal sehr kurz und weise einfach darauf hin an welchen Stellen in der Position Nietzsches über all Kritik angebracht werden könnte bzw. angebracht worden ist. Das zeigt dann auf, wie komplex die Frage wirklich ist.
Grob gesagt, scheint Nietzsche in etwa folgende drei Dinge zu glauben:
1. b), c) und d) hängen direkt zusammen: Wir sind nur verantwortlich für unser Handeln, wenn wir einen freien Willen haben und Strafe ist nur legitim, wenn wir verantwortlich für unser Handeln sind.
2.) Willensfreiheit und Determinismus sind unvereinbar: Wenn der Determinismus stimmt, dann haben wir keinen freien Willen.
3.) Der Determinismus ist wahr.
Grundsätzlich sind alle drei Punkte schon bestritten worden. Man kann z.B. glauben, dass 1.) und 2.) stimmen, aber der Determinismus eben falsch ist. Man würde also Nietzsche zustimmen und sagen: Wenn wir keinen freien Willen hätten, dann wären wir nicht verantwortlich und Strafe wäre illegitim, wir haben aber einen freien Willen. Das wäre also eine Position, die man "Indeterminismus" nennt.
Die nächste Option besteht darin, 2.) zu bestreiten. Das nennt man dann "Kompatibilismus". Kompatibilisten (z.B. Harry Frankfurt) glauben, dass es einen Sinn von "Willensfreiheit" gibt, der mit dem Determinismus vereinbar ist. Frankfurts Position ist kompliziert, aber hier ist die Grundidee: Handlungsfreiheit heißt, dass ich tun kann, was ich will. Dann bedeutet Willensfreiheit, dass ich wollen kann, was ich will. Der Wille ist bei Frankfurt dann ein handlungsleitender Wunsch, mit anderen Worten das Verlangen, dem ich tatsächlich folge. Z.B.: Jemand möchte mit dem Rauchen aufhören. Er hat aber das Verlangen nach einer Zigarette. Jetzt gibt es zwei Optionen. Entweder er raucht eine Zigarette, dann empfindet er sich (Frankfurt zufolge) als unfrei, weil er sich selbst mit dem Verlangen eine Zigarette zu rauchen nicht identifiziert. Anders gesagt, er will nicht, dass er eine Zigarette rauchen will (er will nicht, was er will und deshalb ist er nicht frei). Oder er raucht keine Zigarette (was bei Frankfurt per definitionem heißt, dass er auch keine Zigarette will, denn der Wille ist der handlungswirksame Wunsch), dann identifiziert er sich mit seinem Willen. Er will, dass er keine Zigarette rauchen will, also will er was er will und ist daher frei. Das ist aber vollkommen vereinbar damit, dass das völlig determiniert ist.
Dann gibt es eine ganze Reihe an Optionen um 1.) zu bestreiten. Eine besteht z.B. darin zu sagen, dass Strafe dadurch legitimiert ist, dass sie ein ähnliches Verhalten in Zukunft unterbindet (bzw. weniger wahrscheinlich macht). Dafür ist völlig egal, ob wir einen freien Willen haben. Die Position war insbes. in der ersten Hälfte des 20. Jhrds. sehr verbreitet (z.B. Moritz Schlick oder J.J. Smart; für eine Kritik sei auf den enorm einflussreichen Aufsatz "Freedom and Resentment" von Strawson verwiesen). Strafe ist dann legitim, wenn sie dazu führt, dass zukünftig weniger unerwünschte Handlungen passieren.
All das kratzt nur an der Oberfläche und beantwortet Deine Frage natürlich überhaupt gar nicht. Vielleicht weckt es aber ja ein wenig die Neugierde, sich eingehend damit zu beschäftigen.