Zwangsgedanken und Verlustängste

Hallo, es folgt ein langer Text, der zweite Teil kommt in einer Antwort
(Teil 1)
Erstmal ein paar Hintergründe. Ich habe schon seit meiner Kindheit Zwangsgedanken und Zwangshandlungen, das ging über das ständige Berühren von bestimmten Körperregionen (Augenwinkel zum Beispiel) bis hin zu dem bekannten Nicht-auf-die-Fugen-Treten. Mit dem Älterwerden und dem Einsetzen der Pubertät hab ich die Zwänge immer wieder mit der Abwendung von Gefahren verknüpt. Zum Beispiel, dass ich durch bestimmte Handlungen verhindern kann, dass der Asteroid Apophis (den gibts wirklich) auf der Erde einschlagen wird. Größtenteils betrafen die Ängste aber meine Liebsten, vor allem meine Mutter. Man muss dazu sagen, dass wir als ich sechs war einen schweren Autounfall hatten, bei dem mein Vater starb. Für den Rest der Teenagerzeit lief es dann so ab, dass ich immer irgendwas machen musste, um ein potentielles Unheil zu verhindern. Bestimmte Schrauben am Schrank berühren, am Getränk riechen bevor ich es trink, meistens aber waren es Dinge, die ich mir selbst verboten hab wie "Du darfst dieses Lied jetzt nicht hören, sonst passiert was" oder "Du darfst dieses Spiel jetzt nicht spielen", "Du darfst diese Sache deinen Freunden jetzt nicht erzählen". Es war auch eigentlich völlig egal, um was es genau ging, die Gemeinsamkeit war eigentlich nur, dass ich Lust darauf hatte und mir die Tätigkeit gefallen hätte, aber ich selbst hab es mir verboten.

In Kombination kam noch, dass ich vor allem durch den Tod von meinem Vater recht gläubig geworden bin, vielleicht weil ich als Kind den Wunsch hatte, ihn irgendwann wieder zu sehen. Das Ergebnis war aber, dass sich mein Glaube dann irgendwann mit meinen Zwängen gemischt hat, sodass ich beispielsweise immer wenn ich eine Kirche oder ein Kreuz sah, kurz inne halten musste. Am schlimmsten waren meine täglichen Gebete, die eine dreiviertel Stunde dauern konnten. Mit der Zeit verschwand mein Glaube, weil ich viel nachgedacht hab und es nicht mehr mit meinem Weltbild vereinbaren konnte. Die Zwänge blieben aber. Sie hatten jetzt nicht mehr den religiösen Hintergrund, hatten aber doch noch dieses Übernatürliche an sich, "du darfst das nicht tun, sonst passiert was schlimmes".

Mit ca. 18 bin ich mir dann langsam der ganzen Problematik bewusst geworden und ich hab mir therapeuthische Hilfe gesucht. Meine Therapeuthin und ich waren der Ansicht, dass es wohl wirklich mit dem Verlust von meinem Vater zusammenhängt und ich seitdem so eine Art kindliches Wunschdenken hab, dass eventuell auch mit meinem Glauben zusammenhängt. Nach einer bestimmten Anzahl an Sitzungen hab ich dann zugestimmt Tabletten zu nehmen (Antidepressiva) und es wurde danach allmählich besser. Die Zwänge tauchten zwar noch auf, aber ich konnte sie ignorieren, es machte mir nichts mehr aus. Mit der Zeit konnte ich dann auch die Tablettendosis reduzieren und während meines ersten Semesters an der Uni auch komplett absetzen. Danach verlief es auch von den Zwängen her recht gut.

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(Teil 2)
Letzten Sommer schließlich hab ich über eine Internetseite eine junge Frau kennen gelernt, mit der ich mich super verstanden hab. Wir haben viel geschrieben und vor allem in der Woche vor unserem ersten Treffen täglich telefoniert, teilweise mehrere Stunden lang, da wir immer mehr gemerkt haben, dass wir viele Gemeinsamkeiten haben. Als wir dann unser erstes Date hatten, hat es auch gleich gefunkt und wir waren beide richtig ineinander verknallt. Es folgten weitere Treffen, sie hatte aber gleichzeitig auch Stress mit der Schule und konnte nur immer am Wochenende nach Hause und nach etwa einem Monat sagte sie mir, wir sollten Freunde bleiben, da sie Zeit für sich brauche und einfach keine Gefühle mehr für mich hat. Ich war die folgenden Wochen verständlicherweise erstmal fertig. Es war zwar nicht das erste Mal, dass ich mit Mädchen in dieser Hinsicht zu tun hatte, aber es war halt die erste richtige Freundin, was es vielleicht noch verschlimmert hat. Wir sind zwar tatsächlich noch Freunde und sie ist auch sehr verständnisvoll, aber es tut halt doch immer noch weh.

Um jetzt den Zusammenhang zu den Zwängen bekommen. Seit kurzer Zeit hab ich wegen der Geschichte wieder größere Verlustängste und auch die Zwänge kommen wieder. Man muss dazu vielleicht noch sagen, dass meine Mutter und meine Großtante seitdem meine Schwester wegen ihrer Heirat ausgezogen ist, alleine zu Hause sind. Ich bin wie schon erwähnt studieren und komme nur am Wochenende heim. Und ich hab jetzt irgendwie Angst, noch einen Verlust erleiden zu müssen, dass irgendwas passiert, während ich nicht da bin. Ich ruf zwar auch mal unter der Woche daheim an und meine Schwester wohnt auch nicht allzu weit weg, doch die Angst ist halt da, dass mal keiner in der Nähe ist oder wieder ein Autounfall passiert. Gleichzeitig beschäftigt mich die Angst, dass ich, wenn meiner Mutter was passieren sollte und meine Großtante vielleicht auch irgendwann nicht mehr da ist, ich alleine in dem Haus bin. Ich hab zwar eine große Verwandtschaft und Freunde, die mir einer solchen Situation helfen würden, aber ich will mir das alles gar nicht ausmalen.

Ich weiß natürlich, dass meine Zwänge nichts verhindern können (das ist ja das doofe daran, man weiß, dass sie irrational sind, aber man hat trotzdem Angst) und ich weiß auch, dass solche Sachen zum Leben dazugehören, ich will einfach nur, dass die übertriebene Angst und die Zwänge wieder verschwinden. Ich hab auch vor meine alte Therapeuthin wieder zu kontaktieren oder einen an meinem Studienstandort (obwohl ich mich bei ihm nicht so wohl gefühlt hab) und bin am überlegen wieder die Tabletten verschreiben zu lassen, denn sie haben ja geholfen und es hat auch nach dem Absetzen lange gehalten. Will einfach wieder klar denken können... Ich hoffe, es hat irgendjemand Rat für mich.

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