Lieber Dom,
also da gibt es viel zu sagen. Ich kann dir kein Patentrezept verschreiben, das ist dir hoffentlich klar. Aber ich kann dir Anregungen geben, was du tun kannst.
Du scheinst ja im Grunde ein sehr hilfsbereiter Mensch zu sein. Du kannst diesen Menschen aber nicht rausschmeißen, wenn du niemanden hast, der dir den Rücken stärkt. So wie ich es aus deinem Bericht rausgelesen habe, scheinst du doch eine gewisse Angst zu haben, jemanden zu "verletzten". Ich glaube eher, dass du Angst hast, die Reaktion deines Mitbewohners könnte weiter ausarten. Du hast dir bereits eine Menge Beleidigungen und Erniedrigungen zugemutet. Dass dein Selbstwertgefühl im Keller ist, kann man unschwer raushören. Denn wäre das nicht so, wärst du heute nicht an diesem Punkt. Wenn du diesen Menschen mittlerweile so abgrundtief hasst und er dich so sehr runter zieht, ist es allerhöchste Zeit sich von diesem Ekel zu trennen.
Dein gutes Herz mag ja sehr lobenswert sein, aber dein Gedanke war falsch. Allen Anschein nach, hat dein Mitbewohner ein enromes Problem. Und das scheint sich nicht nur auf den Alkohol zu beziehen. Du solltest dir einige Motive vor Augen halten, wieso er eigentlich an diesen Punkt gekommen ist: Wieso wurde er delogiert? Warum hat er nicht bei seiner Familie wohnen können? Wieso arbeitet er nicht, bzw. trägt nichts zu den Kosten bei, hat er dir schon mal angeboten dich zu unterstützen? Hat er noch andere Freunde, an die er sich wenden könnte? Hat er dich darum gebeten, bei dir einzuziehen, oder hast du ihm das angeboten? Kauft er sich den Alkohol selbst, oder machst du das auch noch für ihn? Du kannst nicht ewig einen unnützen Koffer mit dir herumschleppen. Wenn du dir zu Unsicher bist, hol dir Unterstützung, z.B. von Familie oder Freunden. Du schadest ihm unsagbar damit, ihn zu "bemuttern" als wäre das dein Sohn, oder deine Pflicht. Er muss lernen im Leben selbstständig zu sein, und selbst was auf die Reihe zu bekommen. Er muss lernen seinen faulen hintern zu bewegen und zu arbeiten. Wenn das Alkoholproblem zu stark ist, sollte er sich einen Entzug überlegen.
Du jedenfalls wirst nicht so einfach aus deinen Depressionen raus kommen, wenn er bei dir in der Wohnung bleibt. Depressionen entstehen u.A. wenn eine Lebensweise nicht mehr seine Richtigkeit hat. Du musst atmen, du brauchst neue Ziele und inspirationen die dich motivieren. Und du brauchst auch deine Ruhe. Es gibt da verschiedene Optionen die mir spontan einfallen würden:
• Setze dich mit seiner Familie in Verbindung. Schildere deine Situation und sage, dass du es nicht mehr tragen kannst, die Verantwortung für ihn zu übernehmen. Du hast einen Punkt erreicht, an dem es dir einfach zu viel geworden ist.
• In Gruppentherapien lernt man, seinen Gefühlen ausdruck zu verleihen, sie zu formulieren und offen darüber zu reden. Man stellt fest, dass selbst Menschen, von denen man es nicht erwartet hätte, fast die selben Ängste, Zweifel und Sorgen haben. Du beginnst alles, von einem neuen Standpunkt aus zu sehen.
Rede offen darüber. Etwas das immer hilft, sind Fragen stellen. Etwas nie direkt ansprechen. Langsam ins Thema rutschen. Von belanglosen Fragen wie: "Was haste heut gemacht?" "Was spielst du gerade?" ...in "Ich habe heute So-und-so gesehen. Er/Sie grüßt dich und hat nach dir gefragt was du jetzt eigentlich machst." bishin zu: "Hast du dir eigentlich schon überlegt was du jetzt machen willst die nächste Zeit? Du kannst ja nicht für immer bei mir in der Wohnung leben. Ich will ja auch irgendwann weg ziehen, oder eine Frau haben, etc. Ich will dich ungern rausschmeißen, solange du noch nichts festes in der Hand hast, aber so kann das ja weder für dich noch für mich weiter gehen. Irgendwann müssen wir uns ja gewissermaßen voneinander lösen" z.B....
• Oder du machst es wie in der Therapie und sprichst es ganz offen an: "Weißt du, ich bin ein Mensch, ich hab wahnsinnig Angst davor, jemanden zu verletzten. Ich weiß ja nicht ob es dir aufgefallen ist, aber mir gehts seit einiger Zeit echt beschissen. Ich kann und will diese Wohnung nicht mehr alleine tragen. Ich find das auch nicht schön, dich Tagein Tagaus vor dem Fernsehr so verenden zu sehen. Ich vermisse die Tage, in denen wir miteinander Lustig waren, als wir beide noch voller Elan und Freude waren. Jetzt sind wir nur noch zwei haufen Elend die sich gegenseitig auf die nerven gehen. Würdest du das an meiner Stelle aushalten? Niemand hält das aus. Vielleicht sollten wir uns BEIDE getrennte Wohnungen suchen und das Leben wieder kennen lernen. Ich mag so nicht mehr weiter machen. Es geht einfach nicht mehr, nicht für mich und ich kann mir nicht vorstellen, dass es auch dir guttut. Lass uns überlegen was wir machen könnten. Hast du eine Idee?"Bezieh ihn ein in das Gespräch, indem du ihm aktiv Fragen stellst, die ihn aus dem Konzept bringen, milde stimmen oder gar umstimmen. Auf alle fälle bringst du ihn durch Fragen zum Nachdenken.Viel Glück!