Meinung des Tages: Koalitionsgespräche und die Diskussion über die Möglichkeit der Ausbürgerung - was denkt Ihr darüber?

Derzeit laufen die aktuellen Koalitionsverhandlungen von Union und SPD. Betrachtet wird ebenso die Frage, ob Menschen mit doppelter Staatsangehörigkeit - also "deutsch" und eine mögliche andere - ausgebürgert werden könnten...

Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft

Zum Wahlversprechen von Friedrich Merz und Markus Söder gehörte unter anderem, dass geprüft werden soll, ob Menschen, die neben der deutschen auch eine andere Staatsbürgerschaft besitzen, erstere entzogen werden könnte. Dies soll erwogen werden, wenn es sich um Terrorunterstützer, Antisemiten oder Extremisten handelt. Die SPD stellt sich gegen das Vorhaben - doch die Union bleibt hart.

Verunsicherung bei Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft

Das Vorhaben geht nicht spurlos an den vielen Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft vorbei. So berichtet die Tagesschau beispielsweise über Bilal Shabib, dessen Eltern aus Syrien stammen. Selbst ist er sowohl in Deutschland geboren als auch aufgewachsen, war noch niemals in Syrien, besitzt aber offiziell beide Staatsangehörigkeiten. Obwohl er nie straffällig wurde, bereiten ihm die Diskussionen sorgen - er fühlt sich dadurch herabgesetzt, verliert das Gefühl der Sicherheit. Soziologin und Kriminologin Gina Wollinger sieht das ähnlich: Es würde der Eindruck vermittelt werden, dass die deutsche Staatsangehörigkeit von Doppelstaatlern weniger wert sei, diese dadurch weniger deutsch seien.

Hindernis Grundgesetz

Artikel 16 des Grundgesetzes verbietet den Entzug der Staatsbürgerschaft. Das Staatsbürgerschaftsrecht sollte nie wieder als politisches Mittel missbraucht werden können, mittels dessen Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder politischen Einstellung oder Religion Bürgerrechte entzogen werden könnten.
Doch ganz so einfach ist es nicht: Denn bereits jetzt kann eine Person die deutsche Staatsangehörigkeit verlieren - etwa wenn sie sich freiwillig einer terroristischen Vereinigung anschließt oder für Streitkräfte eines anderen Staates kämpft. Auch kann die Einbürgerung innerhalb von zehn Jahren zurückgenommen werden, wenn deutlich wird, dass die Person beim Verfahren eine arglistige Täuschung vorgenommen hat.

Das Öffnen der Büchse der Pandora

Thomas Groß ist Rechtswissenschaftler und warnt vor der berühmten Büchse der Pandora, welche durch solche Pläne geöffnet werden könnte. Denn auch rechtsextreme Kräfte könnten solche Möglichkeiten nach der Wahl nutzen, allerdings für andere Zwecke, diese sogar noch ausweiten. Der Öffentlichkeit würde suggeriert werden, dass es unproblematisch sei, bestimmen Gruppen, ganz einfach die Staatsangehörigkeit zu entziehen.
Ungefähr 5,8 Millionen Menschen in Deutschland haben eine doppelte Staatsangehörigkeit. Viele von ihnen können die Staatsbürgerschaft neben der Deutschen gar nicht ablegen - es ist schlichtweg von Seiten des anderen Staates nicht möglich, wie es beispielsweise das Auswärtige Amt aufzeigt.

Unsere Fragen an Euch:

  • Was denkt Ihr über das Vorhaben der Union?
  • Welche Vor- und/oder Nachteile würdet Ihr in solch einer Handhabung sehen?
  • Könnt Ihr Gefühle wie die von Bilal Shabib nachvollziehen, bzw. habt vielleicht sogar selbst zwei Staatsangehörigkeiten (und falls dem so ist, wie empfindet ihr das Vorhaben?)?

Wir freuen uns auf Eure Antworten! Bitte beachtet auch bei diesem kontroversen Thema unsere Netiquette. Vielen Dank!

Viele Grüße
Euer gutefrage Team

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In dieser Debatte fehlt mir das Prinzip der Gleichberechtigung. Wenn wirklich alle deutschen Staatsbürger gleichermaßen von der gesetzlichen Regelung betroffen wären – also sowohl Menschen mit ausschließlich deutscher Staatsbürgerschaft als auch jene mit mehreren Staatsangehörigkeiten –, ließe sich diese Maßnahme weniger stark kritisieren. Um Gerechtigkeit herzustellen, müsste man in diesem Fall jedoch auch Regelungen für Menschen mit nur einer Staatsbürgerschaft finden, etwa durch die Möglichkeit der Staatenlosigkeit oder durch Kooperation mit Ländern, die eine Aufnahme im Einzelfall ermöglichen. Beides wäre jedoch nicht nur rechtlich problematisch, sondern auch ethisch fragwürdig.

Die Vorstellung, dass sich Terror oder andere schwere Straftaten durch den Entzug der Staatsangehörigkeit wirksam verhindern lassen, greift zu kurz und ist in keiner Weise nachhaltig. Statt Symptome zu bekämpfen, sollte der Staat langfristige Lösungsansätze fördern – etwa durch Bildung, Aufklärung und gezielte Präventionsarbeit gegen Extremismus. Eine Abschiebung ist keine Problemlösung, sondern lediglich eine geographische Verlagerung. Die Ursachen des Problems bleiben bestehen.

Solche Maßnahmen geben in erster Linie uninformierten Bürgerinnen und Bürgern das Gefühl, es gäbe einfache Lösungen für hochkomplexe gesellschaftliche Herausforderungen. Doch genau das führt in der Folge zu mehr Misstrauen, mehr Ausgrenzung und letztlich zu weiterer Radikalisierung. Probleme, die man nicht an der Wurzel bekämpft, sondern nur verschiebt, kehren in anderer Form zurück – oft verstärkt.

Darüber hinaus wirft die Regelung erhebliche rechtliche und gesellschaftliche Fragen auf: Sie steht in Spannung zu Artikel 16 des Grundgesetzes, der den Entzug der Staatsbürgerschaft nur unter engen Bedingungen erlaubt. Zudem untergräbt sie das Prinzip der Rechtssicherheit.

Auch integrationspolitisch ist die Regelung kontraproduktiv: Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft werden durch diese Maßnahme unter Generalverdacht gestellt. Das signalisiert: Du gehörst nicht vollständig dazu. Statt Teilhabe zu fördern, schafft man Distanz. Dies fördert ein gesellschaftliches Klima des „Wir gegen die Anderen“ und wirkt spaltend.

Letztlich leiden unter solchen Symbolgesetzen vor allem Minderheiten – Menschen, die arbeiten, Steuern zahlen und aktiv zum Aufbau dieses Landes beitragen. Hass erzeugt Gegengewalt. Eine politische Strategie, die auf Vereinfachung und Feindbilder setzt, schafft keine Sicherheit, sondern nährt Unsicherheit. Eine inklusive, gerechte und langfristig friedliche Gesellschaft kann nur entstehen, wenn Gleichheit vor dem Gesetz für alle gilt – ohne Ausnahme.

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