Der Jesus der Evangelien (einen anderen kennen wir nicht) bezeichnete sich als Sohn Gottes, aber auch als Menschensohn.
Auf aramäisch, wie auch in den arabischen Sprachen, hat Sohn des aber zwei verschiedene Bedeutungen:
Ein Lehrer wird seinen Lieblingsschüler als seinen Sohn bezeichnen, was keinerlei biologische Bedeutung hat. Der Sohn des Lehrers ist also der Liebling des Lehrers, er wird vom Lehrer besonders geliebt. Oder es handelt sich um den biologischen Sohn, auch das ist möglich.
Auf aramäisch, der damals benutzten Sprache, wird Sohn des in verschiedenen Bedeutungen genutzt:
Sohn der Macht = Soldat
Sohn des Menschen = Menschensohn = Mensch
Sohn des Dachfirsten = Verrückter
Sohn eines Esels = stur wie ein Esel
Sohn Gottes = von Gott besonders geliebt = fromm
Wenn also auf aramäisch jemand sagt, Jesus sei der Sohn Gottes, oder Jesus sagt, er sei der Sohn Gottes, so bedeutet dies schlicht nichts weiter als das Jesus fromm war, besonders von Gott geliebt. Mehr nicht.
Siehe auch: Leedom, Tim C. The Book Your Church Doesn’t Want You to Read. San Diego, CA; Brooklyn, N.Y.: Truth Seeker ; Distributed by A & B Distributing, 2003. Da erklärt ein aramäischer Muttersprachler und Theologe das Konzept ausführlich.
Im Markusevangelium ist deutlich, dass Jesus bei der Taufe im Jordan von Gott quasi adoptiert wird. "Dies ist mein geliebter Sohn" heißt nichts weiter als: Jesus ist ein frommer Mensch, der von Gott besonders geliebt wird. Dort sagt Jesus auch: "Was nennst Du mich gut? Nur der Eine ist gut". Jesus bestreitet also direkt, Gott zu sein.
Im Matthäusevangelium, das zu 90% eine Abschrift des Markusevangeliums ist, fehlt lediglich die direkte Bestreitung. Im Lukasevangelium finden wir einen Jesus, der eine Art Übermensch ist und beispielsweise keinen Schmerz empfindet — deswegen fehlt die Passionsgeschichte. Im Johannesevangelium ist Jesus dann schon ein ganzer Gott.
Wir sehen folglich die Entwicklung einer Legende. Je mehr Zeit vergeht, umso mächtiger und größer wird die Heldengestalt.
Es gibt aber noch ein Problem, und das wiegt weit schwerer:
Ursprünglich waren die Theologen zu dem Schluss gekommen, dass die angeblichen "Weissagungen" zu Jesus so entstanden:
Die Evangelisten schrieben die Geschichte von Jesus auf, die sie gehört hatten (nicht direkt von Augenzeugen, übrigens, das bestreiten sie indirekt sogar, außer dem Autor des Johannesevangeliums).
Dann suchten sie in der Bibel nach Passagen, die man als Prophezeiung für Jesus deuten könnte. Dabei dehnte man die Interpretation weit über das übliche Maß aus. Für Laien, für Leute, die nichts von Theologie und dem Denken antiker Menschen verstehen, sieht das dann so aus, als ob das AT Vorhersagen zu Jesus enthält. "Vorhersagen im Nachhinein" — wer sich davon beeindrucken lässt, beweist nicht mehr als eine Leichtgläubigkeit, die man schon nicht mehr als bloß naiv bezeichnen kann.
Aber Earl Doherty wies darauf hin, dass diese Sichtweise nicht ganz korrekt ist. In Price, Robert M. The Christ-myth theory and its problems. Cranford, N.J: American Atheist Press, 2011, führt der Theologe Price das genau aus:
Es gibt für die Evangelien zwei Quellen, aus denen man jeden Text, jeden Absatz und jeden Abschnitt vollständig erklären kann, ohne die Zusatzannahme, es hätte irgendwelche Berichte oder Erzählungen über Jesus gegeben.
Die erste Quelle ist das Alte Testament (AT). Viele Passagen beruhen auf Midrash, einer damals üblichen Methode der Exegese biblischer Texte. Dabei sucht man nach einer "verborgenen Botschaft" in der Bibel, die dadurch entsteht, dass man Passagen aus ihrem Kontext herausreißt und uminterpretiert. Vieles von dem, was Jesus angeblich gesagt haben soll, ist fast wörtlich aus dem AT abgeschrieben. Vieles, was Jesus getan haben soll, wird im AT Moses oder Elias oder anderen zugeschrieben, es wird lediglich an die Situation von Jesus angepasst.
Die zweite Quelle ist die Odyssee. Das ist ein Werk, dass jeder, der damals griechisch lesen konnte, wohl gekannt haben muss. Die Evangelisten kannten es mit Sicherheit, weil sie sich reichlich aus dem Werk bedient haben. Die Evangelien sind nicht nur voller Anspielungen auf die Odyssee, sie enthalten viele Ereignisse, die direkt der Schrift Homers entnommen wurden.
Ein Beispiel — die Brotvermehrung: Eine solche finden wir bereits im AT. Im Markusevangelium gibt es zwei Berichte darüber, und Details aus dem AT finden wir in beiden. Man hat sich immer gewundert, wieso es zwei sind. Außerdem, seltsam, dass beim zweiten Mal die Jünger dieselben Fragen stellen, als ob sie unter Alzheimer oder Demenz litten und sich beim zweiten Mal nicht erinnern konnten, dass Jesus das schon einmal durchgezogen hat, mit denselben Worten.
Leider muss ich hier enden obwohl ich noch 20 Seiten zusammengestellt habe, aber dass würde Gläubige überfordern und Atheist würden sich freuen!