Wichtig ist, was oben vor mir schon jemand geschrieben hat: Der Begriff Kadenz hat zwei verschiedene Bedeutungen. Ich fange mit dem einfacheren Phänomen an: In Solokonzerten (Musikwerken für ein Soloinstrument und (begleitendes) Orchester gibt es oft kurz vor dem Ende eine Stelle, an der das Orchester hörbar einen bestimmten Punkt in der Musik ansteuert und dann dort quasi stehen bleibt: Das Orchester hört auf zu spielen aber die Hörer*innen empfinden deutlich, dass die Musik noch nicht zu Ende ist. Jetzt übernimmt das Soloinstrument und spielt allein - häufig virtuose (schwierige) Passagen, die unter anderem dazu gedacht sind, vorzuführen, wie gut die jeweiligen Instrumentalsolisten ihr Instrument beherrschen. Heutzutage werden diese solistischen Passagen meistens Ton für Ton vorher geübt und dann im Konzert mehr oder weniger perfekt wiederholt. Früher war das anders: Das Orchester spielt seinen vorerst letzten Akkord und überlässt das Feld den Instrumentalsolisten. Die spielten dann spontan, d.h. sie improvisierten. Am Ende ihrer Improvisation stand meistens ein Triller, der dem Orchester bzw. dem Dirigenten signalisierte, dass jetzt das letzte Stück zu spielen sei. W.A.Mozart, der seine eigenen Klavierkonzerte selbst gespielt hat, war berühmt für seine spontan improvisierten Kadenzen.

Der zweite Kadenz-Begriff bezeichnet ein harmonisches Phänomen. Spiel Personen deiner Wahl ein beliebiges Musikstück vor (möglichst eins ohne Text) und dreh vor dem allerletzten Akkord die Musik ab. Alle werden merken, dass du zu früh ausgeschaltet hast und die Musik noch nicht ihr Ende erreicht hat. Dieses untrügliche Gespür dafür, wann und wie ein Musikstück zu Ende geht, haben sehr viele Menschen in unserer europäisch geprägten Musikkultur - es entsteht dadurch, dass der weitaus größte Teil unserer Musik aus bestimmten, sehr häufig verwendeten Abfolgen von Akkorden besteht. Die häufigste ist der sog. Quintfall - zwei Akkorde, die im Abstand einer Quinte voneinander stehen - der erste so gut wie immer ein Dur-Akkord, der zweite kann ein Dur- oder ein Mollakkord sein. 90% aller Musikstücke, die du im Radio hören kannst (egal ob Klassik, Pop, Rock . . . ) enden auf diese Weise. Lässt du den letzten Akkord weg entsteht im Hörer des Gefühl der Unvollständigkeit bzw. des Nicht-zum-Ende-Kommens. Vor der beschriebenen Akkordfolge V - I (dem Akkord der fünften Tonleiterstufe folgt als Schlussakkord die erste Tonleiterstufe) steht häufig der Akkord auf der vierten Tonleiterstufe - es ergibt sich also die Abfolge IV - V - I. Diese Akkordfolge wird als Kadenz (von cadere = fallen wegen des Quintfalls) bezeichnet.

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