Neue Namen für die deutschen Straßen?

Diskussion um Umgang mit historisch belasteten Straßennamen

Die gutefrage-Community ist geteilter Meinung

gutefrage-Redaktion
28.4.2023

Dass die kritische und weitgehend allumfassende Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte oftmals langwierig-zähen Prozessen unterworfen sein kann, wird nicht zuletzt an der – unmittelbar nach Kriegsende zunächst verdrängten – schleppend verlaufenden Aufarbeitung der Geschehnisse des Zweiten Weltkriegs deutlich. Doch während die wissenschaftliche Forschung der Neueren Geschichte ihren Fokus in den letzten Jahrzehnten hauptsächlich auf die lückenlose Untersuchung der zwölfjährigen NS-Herrschaft gerichtet hat, sind die von Soldaten des Deutschen Kaiserreichs in den afrikanischen Kolonien begangenen Verbrechen in den letzten Jahren immer mehr ins Bewusstsein von historischer Forschung, Politik und Gesellschaft gerückt. Nachdem die Bundesregierung den Völkermord an den Herero und Nama nach mehr als 110 Jahren im Mai 2021 offiziell als solchen anerkannt und entschuldigt hat, entbrennt inzwischen zunehmend die Diskussion darüber, wie mit Straßen umzugehen sei, welche die Namen historisch belasteter Personen tragen.

Der Fall Erfurt als Paradebeispiel einer ganz grundsätzlichen Problematik

Wie schwierig der adäquate Umgang mit der eigenen belasteten (nationalen) Vergangenheit im Alltag sein kann, zeigt sich am Beispiel einer kürzlich zwischen Stadtverwaltung und verschiedenen Interessenvertretern entbrannten Diskussion in Erfurt: Hier ging es konkret darum, ob das Nettelbeckufer (benannt nach Joachim Nettelbeck, Steuermann von Sklavenschiffen und Befürworter der Kolonialpolitik des Kaiserreichs) in Erfurt umbenannt werden sollte. In Erfurt prallten vor allem die Vertreter zweier Lager aufeinander: Gegner einer Umbenennungsinitiative entgegneten, dass man bei der Beurteilung ausschließlich heutige Moralvorstellungen anwenden und die eigene Geschichte durch eine etwaige Umbenennung aus der Öffentlichkeit verbannen würde. Fürsprecher dekolonialer Initiativen hingegen argumentierten, dass es wichtiger sei, die Opfer kolonialer & rassistischer Verbrechen durch Namensänderungen (im Falle Erfurt ging es um Gert Schramm, Opfer der Nationalsozialisten) in den Vordergrund zu rücken. Auf diesem Wege würden die Opfer derartiger Verbrechen gesellschaftlich gewürdigt, wohingegen das Verbrecherische dahinter lediglich noch als Echo im Namen des Opfers mitschwingt.

Ein schwieriges und kontroverses Thema – die gutefrage-Community diskutiert mit

Wir sind froh, eine überaus facettenreiche und vielschichtige Community zu haben, die in nahezu jedem Themenbereich gerne mitdiskutiert und stets gute Antworten parat hat. Natürlich haben wir’s uns mit unserem gutefrage Account nicht nehmen lassen, dieses wichtige Thema im Zuge unserer „Meinung des Tages“ zu behandeln. Die Antworten unserer Nutzer fielen durchaus unterschiedlich aus:

Nutzer ChristianLE beispielsweise findet eine „kritische Aufarbeitung solcher Themen […] durchaus wichtig“, plädiert aber dafür, bestehende „Straßennamen zu belassen“ und im besten Fall „mit entsprechenden Hinweistafeln aufzuklären“. Ähnlich sieht es auch Nutzerin Dea2019, die denkt, dass die „Aufarbeitung vergangener Geschehnisse […] NICHT durch Entfernung von Namen und Begriffen“ geschehen könne. Eine andere Meinung vertritt unser Nutzer Azdea, der sagt, dass „Straßennamen […] eigentlich der Ehrung derjenigen [dienen], nach denen sie benannt wurden“ und Sklavenhändler heute zweifelsfrei nicht mehr dazugehören würden. Zudem betont er das Recht jeder Generation, als Reaktion auf neue Tendenzen / Erkenntnisse „Geschichte neu zu bewerten“ und somit „die Erinnerungskultur im Alltag“ permanent und nach Bedarf neu zu gestalten.

Es handelt sich also – wie Ihr seht – um ein Thema, zu dem es durchaus viele plausible Meinungen gibt. Wenn Euch auch die anderen Antworten der Community zu diese Frage interessieren, seht doch gerne einmal hier nach. Und wenn Ihr künftig weitere „Meinungen des Tages“ lesen und beantworten möchtet, schickt unserem gutefrage-Account gerne eine Freundschaftsanfrage oder sucht nach dem Thema „Meinung des Tages“.

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