Worin unterscheidet sich die Oktoberverfassung 1918 von der des Kaiserreichs?

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Am 28. Oktober 1918 sind nach mehrheitlicher Zustimmung im Reichstag und im Bundestag Veränderungen der Verfassung des Deutschens Reichs vom 16. April 1871 in Kraft getreten.

Es hat sich also um eine Veränderung der Verfassung gehandelt, nicht um eine Ersetzung der ganzen bisherigen Verfassung durch eine neue Verfassung. Allerdings war die Veränderung für das Gesamtsystem erheblich, vor allem durch eine Parlamentarisierung. Die Stellung des Reichstages wurde gestärkt. Die veränderte Verfassung erreichte in der politischen Praxis aufgrund der Novemberrevolution 1918 nicht mehr eine große Wirkung.

Unterschiede der im Oktober 1918 veränderten Verfassung zur vorherigen Fassung der Verfassung

  • keine Kriegserklärungen und Friedensschlüsse ohne Zustimmung des Reichstages erlaubt, Beteiligung von Bundesrat und Reichstag an Entscheidungen über Kriegserklärungen und Friedensschlüsse durch erforderliche Zustimmung zu Vorgehen des Kaisers dabei in allen Fällen: Eine Zustimmung des Bundesrates war vorher bei Angriff auf das Bundesgebiet oder dessen Küsten nicht nötig. Eine Beteiligung des Reichstages an Kriegserklärungen und Friedensschlüssen war vorher verfassungsrechtlich nicht erforderlich, nur eine Genehmigung des Reichstages zu Verträgen mit anderen Staaten, die sich auf Angelegenheiten im Bereich der Reichsgesetzgebung bezogen. In Artikel 11 wurden die Absätze 2 und 3 durch neue Bestimmungen ersetzt. Absatz 2: „Zur Erklärung des Krieges im Namen des Reichs ist die Zustimmung des Bundesraths und des Reichstags erforderlich.“ Absatz 3: „Friedensverträge sowie diejenigen Verträge mit fremden Staaten, welche sich auf Gegenstände der Reichsgesetzgebung beziehen, bedürfen der Zustimmung des Bundesraths und des Reichstags.“
  • Einführung einer parlamentarischen Regierungsweise durch erforderliches Vertrauen des Reichstages zur Amtsführung des Reichskanzlers und seiner Stellvertreter (wie es Staatssekretäre sein konnten) und Verantwortlichkeit des Reichskanzlers für alle in Ausübung der ihm nach der Verfassung zustehenden Befugnisse ausgeübten Handlungen des Kaisers von politischer Bedeutung und Verantwortlichkeit des Reichskanzlers und seiner Stellvertreter gegenüber Bundesrat und Reichstag: In Artikel 15 wurden neue Bestimmungen hinzugefügt. Absatz 3: „Der Reichskanzler bedarf zu seiner Amtsführung des Vertrauens des Reichstags.“ Absatz 4: „Der Reichskanzler trägt die Verantwortung für alle Handlungen von politischer Bedeutung, die der Kaiser in Ausübung der ihm nach der Reichsverfassung zustehenden Befugnisse vornimmt. Absatz 5: „Der Reichskanzler und seine Stellvertreter sind für ihre Amtsführung dem Bundesrath und dem Reichstag verantwortlich.“ In Artikel 17 wurde bei der Gegenzeichnung des Reichskanzlers zu Anordnungen und Verfügungen des Kaisers der Hinweis gestrichen, damit die Verantwortung zu übernehmen, da jetzt schon in Artikel 15 das Tragen der Verantwortung enthalten war. Zur Verantwortlichkeit des Reichskanzlers gehörte nun auch die militärische Kommandogewalt des Kaisers.
  • Möglichkeit für Abgeordnete des Reichstages, ein Staatsamt anzunehmen, ohne ihr Abgeordnetenmandat zu verlieren: Vorher verloren sie in so einem Fall ihr Abgeordnetenmandat. Regierung und Parlament waren also vorher stärker getrennt. Gestrichen wurde Artikel 21 Absatz 2: „Wenn ein Mitglied des Reichstages ein besoldetes Reichsamt oder in einem Bundesstaat ein besoldetes Staatsamt annimmt oder im Reichs- oder Staatsdienste in ein Amt eintritt, mit welchem ein höherer Rang oder ein höheres Gehalt verbunden ist, so verliert es Sitz und Stimme in dem Reichstag und kann seine Stelle in demselben nur durch neue Wahl wieder erlangen.“
  • Aufhebung einer Trennung von ziviler Regierungsgewalt und militärischer Kommandogewalt, die militärische Anordnungen des Kaisers einer parlamentarischen Kontrolle entzog und das Militär aus einer Unterordnung unter die Regierung gelöst hatte: Vorher hatte der Kaiser bei militärischen Anordnungen eine Sonderstellung als Oberbefehshaber und war nicht gegenzeichnungspflichtig. So konnten Reichskanzler und Kriegsminister nicht in die Lage kommen, getroffene Maßnahmen vor dem Parlament rechtfertigen zu müssen. Die Regierung war nur fütr die Militärverwaltung zuständig, Dinge, die Geld kosteten und bei Haushaltsverhandlugen vor dem Reichstag zu vertreten waren. Die Gegenzeichnungspflicht des Reichskanzlers erstreckte sich durch Neuregelungen im Oktober 1918 auch auf Ernennung, Versetzung, Beförderung und Verabschiedung der Offiziere und Beamten der Marine durch den Kaiser und Besetzung der höchsten Kommandostellen im Heer durch den Kaiser. Bei der Ernennung, Versetzung, Beförderung und Verabschiedung der Offiziere und Militärbeamten eines Truppenkontingents durch die Bundesfüsten bzw. die Senate wurde eine Gegenzeichnungspflicht der Kriegsminister der entsprechenden Einzelstaaten eingeführt. In Artikel 53 Absatz wurde ein Satz hinzugefügt: „Die Ernennung, Versetzung, Beförderung und Verabschiedung der Offiziere und Beamten der Marine erfolgt unter Gegenzeichnung des Reichskanzlers.“ Artikel 64 Absatz 2 hatte nun als ersten Satz. „Der Höchstkommendirende eines Kontingents, sowie alle Offiziere, welche Truppen mehr als eines Kontingents befehligen, und alle Festungskommandanten werden von dem Kaiser unter Gegenzeichnung des Reichskanzlers ernannt.“ (hinzugefügt war „unter Gegenzeichnung des Reichskanzlers“) In Artikel 66 wurden die Absätze 3 und 4 hinzugefügt. Absatz 3: „Die Ernennung, Versetzung, Beförderung und Verabschiedung der Offiziere und Militärbeamten eines Kontingents erfolgt unter Gegenzeichnung des Kriegsministers des Kontingents.“ Absatz 4: „Die Kriegsminister sind dem Bundesrath und dem Reichstag für die Verwaltung ihres Kontingents verantwortlich.“