Wie wertet man ein Kladogramm aus?

2 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Kladogramme sind die einfachste Form, wie man die Verwandtschaftsbeziehungen verschiedener Gruppen (Taxa) als Stammbaum darstellen kann. Es gibt noch andere Darstellungen, die noch weit mehr Information enthalten. So gibt bei phylogenetischen Bäumen beispielsweise die Länge eines Astes die genetischen Distanzen zu den anderen Taxa an und kann dadurch z. B. auch aussagen, seit wann zwei Gruppen voneinander getrennt sind.

Im Kladogramm spielt die Astlänge keine Bedeutung. Aus Kladogrammen kann man nur ablesen, wer mit wem am nächsten verwandt ist. Auch die Richtung der Abzweigung ist ohne Bedeutung, entscheidend sind nur die Abzweigungen an den Knoten. Das kannst du ganz leicht selbst überprüfen, indem du an einem Knoten den Baum einfach "drehst". Wenn du z. B. die Position der Crustacea und der Tracheata in deinem Bild vertauschst, ändert sich der Informationsgehalt trotzdem nicht. Er ändert sich z. B. auch nicht, wenn du die Onychophora rechts neben das Taxon (Chelicerata + Crustacea + Tracheata) stellst.

Wie liest man nun ein Kladogramm? Am einfachsten geht das, wenn ein Kladogramm gewurzelt ist. Das Wurzeln des Baumes gibt uns nämlich eine Leserichtung vor, indem wir dadurch die Information erhalten, welches Taxon zuerst abzweigt. Es gibt auch ungewurzelte Bäume, ihr Aussagegehalt ist aber der gleiche, nur dass eben keine Leserichtung vorgegeben ist.

Um einen Baum zu rooten, fügt man eine so genannte Außengruppe (out group) hinzu. Das ist ein Taxon, das außerhalb der Verwandtschaftsgruppe steht, die einen eigentlich interessiert. Im Beispiel oben sind z. B. die Verwandtschaftsbeziehungen der Panarthropoda dargestellt. Gewurzelt wurde der Baum, indem als Außengruppe die Ringelwürmer (Annelida) hinzugefügt wurden. Damit ist nun also die Leserichtung vorgegeben und man weiß, welche Aufzweigungen innerhalb der Panarthropoda zuerst erfolgen.

Gelesen wird ein Baum immer von der Wurzel zu den Spitzen. Die einzelnen Äste repräsentieren jeweils eine Verwandtschaftsgruppe (Taxon), z. B. eine Art oder eine Gattung. Der Punkt, an dem zwei Äste sich treffen, wird Knoten genannt und steht für den letzten gemeinsamen Vorfahren der beiden sich treffenden Taxa. Taxa, die einen gemeinsamen Knoten haben, die also miteinander am nächsten verwandt sind, stehen in einem Schwestergruppenverhältnis zueinander. Im Beispiel oben sind z. B. die Onychophora (Stummelfüßer) die Schwestergruppe der übrigen Pancrustacea, also des gemeinsamen Taxons aus (Chelicerata + Crustacea + Tracheata). Innerhalb dieses Taxons bilden die Chelicerata die Schwestergruppe der (Crustacea + Tracheata). Die Crustacea wiederum sind die Schwestergruppe der Tracheata (und umgekehrt natürlich auch).

Kladogramme können uns außerdem Auskunft über die Monophylie einer Gruppe geben, also zeigen, ob ein Taxon auch wirklich eine in sich geschlossene Abstammungsgemeinschaft bildet. Ein solches Taxon wird monophyletisches Taxon oder Monophylum genannt. Ein Monophylum ist eine Gruppe, die einen einzigen gemeinsamen Vorfahren hat (also in einen gemeinsamen Knoten mündet) und dabei gleichzeitig alle Nachfahren dieses gemeinsamen Ursprungs umfasst (also alle von einem Knoten abzweigenden Äste einschließt). Nur Monophylae spiegeln die tatsächlichen Verwandtschaftsbeziehungen wider und können daher etwas über die Abstammung von Lebewesen verraten!
Davon zu unterscheiden sind nicht-natürliche oder künstliche Taxa, die keine Aussage über die Abstammungsgeschichte treffen können oder sogar falsche Information liefern würden, wenn man sie fälschlicherweise für monophyletisch hielte. Sie haben daher allenfalls beschreibenden Charakter und werden in systematischen Lehrbüchern gekennzeichnet, indem man sie in Gänsefüßchen (" ") setzt. Dabei unterscheidet man zwischen polyphyletischen Taxa und paraphyletischen Taxa.
Ein Polyphylum ist ein Taxon, das auf verschiedene Knoten zurückgeht. Die einzelnen Zweige haben also unterschiedliche Vorfahren und sind überhaupt nicht miteinander verwandt. Ein Beispiel dafür ist das Taxon "Würmer" ("Vermis"). Wurmartige Formen sind mehrfach unabhängig voneinander entstanden in ganz unterschiedlichen, nicht näher miteinander verwandten Gruppen. So gehören beispielsweise die Ringelwürmer (Annelida) oder die Fadenwürmer (Nematoda) zu den Urmundtieren (Protostomia), während etwa die EIchelwürmer (Enteropneusta) zu den Neumundtieren (Deuterostomia) gehören und verwandtschaftlich damit sogar den Chordaten einschließlich uns selbst näher stehen als Ringel- oder Fadenwürmern.
Als Paraphylum hingegen bezeichnet man eine Gruppe, die zwar einen gemeinsamen Vorfahren hat, aber nicht sämtliche seiner Nachfahren umfasst. Ein Beispiel dafür sind die "Reptilien" ("Reptilia"). Traditionell rechnet man zu diesen die Schildkröten (Testudines), die Panzerechsen (Crocodylia) und die Schuppenechsen (Lepidosaurier) bestehend aus den Schnabelköpfen (Rhynchocephalia, heute nur noch eine Art, die Brückenechse oder Tuatara Sphenodon punctatus) einerseits und den Schuppenkriechtieren (Squamata), also Echsen und Schlangen, andererseits. Krokodile sind aber mit den Vögeln (Aves) viel näher verwandt als mit den übrigen "Reptilien". Daher müssten die "Reptilien", damit sie monophyletisch werden, auch die Vögel einschließen. Das Monophylum aus Vögeln und "Reptilien" nennt man allerdings Sauropsida.

Im Beispiel oben könnte man sich deshalb etwa fragen: sind die Panarthropoda ein Monophylum? Ein Blick auf den Stammbaum genügt und wir sehen, dass wir alle Pancrustacea-Gruppen auf einen gemeinsamen Knoten zurückführen können, nämlich den, bei dem die Onychophoren von den übrigen Panarthropoda abzweigen. In unserem Fall ist das Taxon Panarthropoda also wirklich ein Monophylum (abgesehen davon, dass mit den Bärtierchen (Tardigrada) im Stammbaum eine weitere Gruppe der Panarthropoda nicht aufgeführt ist).

Der Vollständigkeit halber möchte ich noch einige weitere Begriffe erläutern, die im Zusammenhang mit der Beschreibung von Stammbäumen fallen, insbesondere wenn die Stammesgeschichte einer Gruppe bekannt ist und der Stammbaum neben rezenten (heute lebenden) auch ausgestorbene Taxa umfasst, wenn also eine fossile Stammlinie belegt ist.

  • Kronengruppe: damit ist das Monophylum gemeint, welches alle rezenten Vertreter und ihren unmittelbaren gemeinsamen Vorfahren umfasst. Die Säugetiere (Mammalia) sind z. B. die Kronengruppe der Synapsida.
  • Ahnenlinie: sie umfasst die (fossile) Abfolge der ausgestorbenen Vorfahren einer Kronengruppe von dem Moment der Abspaltung von ihrer Schwestergruppe bis zum letzten gemeinsamen Vorfahren der Kronengruppe. Die Ahnenlinie der Säugetiere z. B. ist die Gruppe der Säugerähnlichen Reptilien ("Therapsida").
  • Die Stammlinie umfasst die Ahnenlinie einer Kronengruppe, sowie die von ihr abzweigenden (ausgestorbenen) Seitenäste. Diese Seitenäste werden Stammlinienvertreter genannt. Die Stammlinie ist stets eine paraphyletische Gruppe (als Monophylum muss sie ja die Kronengruppe beinhalten). So sind z. B. Stammlinienvertreter der "Therapsida" u. a. die beiden ausgestorbenen Dicynodontia und die Gorgonopsida.
  • Das Monophylum aus Stammlinie und Kronengruppe wird Pan-Monophylum. Es trägt häufig (aber nicht immer) die Bezeichnung der Kronengruppe mit der Vorsilbe "Pan-". Z. B. ist das Pan-Monophylum der säugerähnlichen Reptilien ("Pelycosauria" und "Therapsida") und der Säugetiere das Taxon Synapsida.
Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Biologiestudium, Universität Leipzig

Ein Kladogramm liest man von der Wurzel zu den Spitzen (hier heißt das von unten nach oben). Jeder Verzweigungspunkt (Knoten) steht dabei für den letzten gemeinsamen Vorfahren von zwei Abstammungslinien.

Welche Linie nach links geht und welche nach rechts, hat keine Bedeutung, nur die Reihenfolge der Knoten enthält Information.

Hier beispielsweise trennt der erste Knoten die Annelida (Ringelwürmer) auf der einen und die übrigen vier Gruppen auf der anderen Seite. Das heißt, dass diese vier Gruppen untereinander enger verwandt sind als eine von ihnen mit den Anneliden. Crustaceen, Tracheaten und Cheliceraten sind wiederum enger untereinander verwandt als mit den Onychophora usw.