Themenspecial 20. Juli 2022
Tag der Weltraumforschung
Alles zum Themenspecial

Wie schnell sind wir eigentlich für den ruhenden intergalaktischen Beobachter?

2 Antworten

Hallo Seefuchs,

nach GALILEIs Relativitätsprinzip (RP) gibt es eigentlich gar nicht den ruhenden Beobachter. Von zwei Körpern B und B', die sich mit konstanter Geschwindigkeit (einschließlich der Richtung!) relativ zueinander bewegen, kann man jeden als den ruhenden beschreiben, zumindest, was die Physik angeht.

Die Naturgesetze (= grundlegenden Beziehungen zwischen physikalischen Größen) sind nämlich unabhängig davon, ob wir B als ruhend und B' als z.B. mit (v; 0; 0) bewegt oder B' als ruhend und B als mit (−v; 0; 0) bewegt beschreiben.

Theoretisch könnte man also einen relativ zu uns mit 0,6c durch den intergalaktischen Raum flitzenden Beobachter als "ruhend" betrachten, dann bewegen sich alle Galaxien in unserer Umgebung mit ungefähr 0,6∙c (natürlich in die entgegengesetzte Richtung).

Dies gilt bereits in der NEWTONschen Mechanik (NM); EINSTEINS Spezielle Relativitätstheorie (SRT) beruht geradezu darauf.

Bewegung relativ zum Kosmos als Ganzem

Natürlich ist es angesichts der Tatsache, dass alles um ihn herum sich mit nahezu derselben Geschwindigkeit bewegt, plausibler, sich selbst als (ziemlich schnell) bewegt zu beschreiben. Nur: Die Galaxien bewegen sich alle auch relativ zueinander; welche sollte er als "die ruhende" ansehen?

Eine Antwort darauf bietet der Kosmische Hintergrund (engl. cosmic microwave background, CMB). Das ist thermische Strahlung, die von der heißen Frühphase des Kosmos übriggeblieben ist. Heute liegt die Temperatur bei etwa 2,7K, mit ganz leichten Schwankungen in Bezug auf die Richtung. Neben mehr oder minder zufällig verteilten Schwankungen gibt es – von der Erde und ihrer Umgebung aus betrachtet – eine deutliche Dipol-Anisotropie: In einer Richtung wirkt der CMB geringfügig "wärmer", in der entgegengesetzten geringfügig "kälter" als im Schnitt. Dies korrespondiert mit einer Geschwindigkeit von knapp 370 km⁄s, etwas mehr als 1,2×10⁻³∙c, relativ zu einem hypothetischen Beobachter, für den es diese Dipol- Anisotropie nicht existiert und der sich daher am ehesten als "ruhend relativ zum Kosmos" bezeichnen kann.

Wer sich allerdings (weitgehend) geradlinig- gleichförmig relativ zu ihm bewegt, kann Physik betreiben, ohne seine eigene Bewegung zu berücksichtigen. Er merkt nichts davon, und nicht einmal Messungen der Lichtgeschwindigkeit verraten es ihm.

GALILEI meets MAXWELL

Die Ausbreitung von Licht bzw. allgemeiner elektromagnetischer Wellen im materiefreien Raum wird durch MAXWELLs Wellengleichung beschrieben, die sich direkt aus seinen Grundgleichungen der Elektrodynamik herleiten lassen. Und die gehören zu den Naturgesetzen, die Wellengleichung also auch.

Deshalb sollte sie dem RP unterliegen, wenn dieses überhaupt ein grundlegendes Prinzip ist.

Ätherhypothese und Zweifel am RP

Dies glaubte man zu MAXWELLs Zeiten nicht (→Äthertheorie) und suchte nach Abweichungen vom RP, die sich aus der Bewegung der Erde um die Sonne mit immerhin ca. 10⁻⁴c ergeben sollte, und zwar auf der Grundlage der zwei-Wege- Lichtgeschwindigkeit

  • längs zur momentanen Bewegungsrichtung, wofür man c(1 − (v⁄c)²) erwartete und
  • quer zur momentanen Bewegungsrichtung, wofür man c√{1 − (v⁄c)²} erwartete.

Der Versuch wurde von MICHELSON und MORLEY 1887 durchgeführt und ergab – nix.

Dies bedurfte einer Erklärung, und ein Rückgriff auf das geozentrische Weltbild verbot sich.

LORENTZ vermutete, dass der Äther alles, was sich relativ zu ihm mit einem Tempo v bewegt, um den Faktor

(1) √{1 − (v⁄c)²} =: 1⁄γ

verkürze ("Längenkontraktion") und den Zeittakt von Uhren, die sich relativ zu ihm mit v bewegen, um den Faktor γ verlängere ("Zeitdilatation"). So entwickelte er die LORENTZsche Äthertheorie (LÄT) und die LORENTZ-Transformationen.

Von der LÄT zur SRT

Wenn allerdings dieser Äther oder unsere Bewegung relativ zu ihm prinzipiell undetektierbar ist, inwieweit ergibt es dann überhaupt noch Sinn, vom Äther zu sprechen?

So dachte sich EINSTEIN und ließ diesen Begriff in seinem Aufsatz 'Elektrodynamik bewegter Körper' (1905) komplett fallen. Stattdessen baute er auf "zwei" Annahmen auf:

  • Das RP gilt, auch bei großen Geschwindigkeiten.
  • Die Lichtgeschwindigkeit hat relativ zu jedem Körper in alle Richtungen denselben Betrag c.

Eigentlich beruht die zweite Annahme auf der ersten (s.o. 'GALILEI meets MAXWELL').

Woher ich das weiß:Recherche
Seefuchs 
Fragesteller
 21.07.2022, 19:00

Da sich der Raum ja nicht bewegt sollte ein Beobachter der entsprechend zum Raum ruht aus meiner Sicht doch als ruhend beschrieben werden können oder?

Eine Messung der Geschwindigkeit wäre doch auch ohne das CMB möglich oder? Indem man Beispielsweise die Lichtgeschwindigkeit über eine einfache Strecke in allen drei Raumrichtungen misst. Bei einer doppelten Strecke sollte sich der Fehler ja exakt negieren bei einer einfachen Strecke sollten hier drei verschiedene Werte für die Lichtgeschwindigkeit herauskommen mit denen man den Vektor der Geschwindigkeit relativ zum Raum bestimmen könnte oder?

Grob ne Ahnung in welche Richtung die 370km/s zeigen? Weil das interessiert mich am meisten :P

1
SlowPhil  21.07.2022, 20:55
@Seefuchs
Da sich der Raum ja nicht bewegt sollte ein Beobachter der entsprechend zum Raum ruht aus meiner Sicht doch als ruhend beschrieben werden können oder?

Du kannst aber Raum nicht sehen und seinen Bewegungszustand relativ zu Dir messen. Im 19. Jahrhundert dachte man, man bewege sich durch eine Supersubstanz namens Äther (nicht zu verwechseln mit der Stoffklasse der Ether) und müsse dies anhand von Messungen der Lichtgeschwindigkeit feststellen können.

Eine Messung der Geschwindigkeit wäre doch auch ohne das CMB möglich oder? Indem man Beispielsweise die Lichtgeschwindigkeit über eine einfache Strecke in allen drei Raumrichtungen misst.

Sechs, in x- y- z- und Gegenrichtungen, um sie zu vergleichen. Allerdings ist genau das unmöglich, weil man zwei Uhren braucht und sich nicht genau sicher sein kann, dass sie definitiv synchron laufen.

https://youtu.be/pTn6Ewhb27k

Bei einer doppelten Strecke sollte sich der Fehler ja exakt negieren ...

Nein. Nach der Äthertheorie müsste man für hin und zurück längs der Bewegungsrichtung nicht das arithmetische Mittel zwischen c − v und c + v, also c messen, sondern das Harmonische Mittel c(1 − (v⁄c)²) erwarten. Es ist ähnlich wie bei jemandem, der erst bergab und dann zurück wieder bergauf geht oder fährt. Auf der Strecke, auf der er langsamer ist, wird er ja mehr Zeit verbringen.

Quer zur Bewegungsrichtung sollte die Durchschnittsgeschwindigkeit c√{1 − (v⁄c)²} sein.

... bei einer einfachen Strecke sollten hier drei verschiedene Werte für die Lichtgeschwindigkeit herauskommen mit denen man den Vektor der Geschwindigkeit relativ zum Raum bestimmen könnte oder?

Aber genau dies ist nicht der Fall. Weder kann man die Lichtgeschwindigkeit in eine Richtung zuverlässig messen, noch misst man den erwarteten Unterschied zwischen längs und quer zur Bewegungsrichtung. Alle Messungen sind mit der Idee vereinbar, dass sich das Licht relativ zu einem selbst in jede Richtung mit c bewegt.

Auf dieser Überlegung beruht die Spezielle Relativitätstheorie (SRT).

Grob ne Ahnung in welche Richtung die 370km/s zeigen?

So weit ich weiß, in Richtung des Virgo- Haufens.

1
Seefuchs 
Fragesteller
 21.07.2022, 21:10
@SlowPhil

Also von wegen nicht synchronen Uhren bin ich doch mal skeptisch. Insbesondere wenn wir jetzt einmal schauen was die moderne Technik her gibt. Da sollten weit mehr als genug Nachkommastellen zur ein ausreichend genaues Ergebnis vorhanden sein. Alleine schon die Synchronisation der Uhren auf Sateliten für Navigationssysteme ermöglicht ja schon sehr genaue Messungen.

Warum sollte man diese nicht zuverlässig messen können das erschließt sich mir nicht? Da sehe ich keinen technischen Grund warum man Unterschiede in genannter Größenordnung nicht messen sollen kann. Als Resultat einer solchen Messung bekäme einen Laufzeitunterschied da sich C eben nicht ändert aber die Position vom Ziel da sich dieses Bewegt. Ergo würde man eine vermeintliche Änderung der Lichtgeschwindigkeit sehen da die Strecke für den mitreisenden Beobachter konstant bleiben würde für den im Raum ruhenden nicht.

Noch einfacher wäre ja die Messung der Wellenlänge einer monochromen Quelle welche eben dann je nach Raumrichtung eine entsprechend abweichende Frequenz haben sollte.

0
SlowPhil  21.07.2022, 21:35
@Seefuchs
Also von wegen nicht synchronen Uhren bin ich doch mal skeptisch. Insbesondere wenn wir jetzt einmal schauen was die moderne Technik her gibt.

Es ist kein technisches Problem. Die Präzision heutiger Uhren ist atemberaubend. Allerdings kann man gerade deshalb sogar eine in "alltäglichen" Situationen mit vergleichsweise kleinen Geschwindigkeiten auftretende "Zeitdilatation" (in Anführungszeiten, weil irreführendes Wort) messen, und die bedeutet gerade nicht, dass die Uhr kaputt wäre. Sie macht synchrone Uhren asynchron.

Ergo würde man eine vermeintliche Änderung der Lichtgeschwindigkeit sehen da die Strecke für den mitreisenden Beobachter konstant bleiben würde für den im Raum ruhenden nicht.

Und genau dies würde gegen GALILEIs Relativitätsprinzip verstoßen, dessen konsequente Anwendung auf MAXWELLs Grundgleichungen der Elektrodynamik (und damit die Lichtgeschwindigkeit, denn Licht besteht aus elektromagnetischen Wellen) nichts anderes ist als die Spezielle Relativitätstheorie.

Noch einfacher wäre ja die Messung der Wellenlänge einer monochromen Quelle welche eben dann je nach Raumrichtung eine entsprechend abweichende Frequenz haben sollte.

So misst man die Bewegung der Lichtquelle relativ zum Beobachter bzw. umgekehrt, aber nicht, ob sich die Quelle, der Beobachter oder beides bewegt. Der Witz ist, dass der optische DOPPLER-Effekt symmetrisch ist.

0
Seefuchs 
Fragesteller
 21.07.2022, 22:05
@SlowPhil

Gedanken Experiment:

Ich habe eine Laser und messe die Zeit die der Laser braucht um 1m in eine Richtung und 1m in genau die andere Richtung zurückzulegen.

Ich bewege mich mit Laser und Zielen mit 50% c(für schönere Zahlen relativistische Effekte außen vor).

Die gemessene Zeit in Fahrtrichtung ist um 50% größer als die Strecke erwarten würde ergo resultiert in diese Richtung eine vermeintliche c=0,5.

Gegen die Fahrtrichtung wäre die gemessene Zeit um 50% geringer ergo hätten wir dann vermeintliche c=2

Da aber c=1 kann ich meine eigene Geschwindigkeit ableiten.

0
SlowPhil  22.07.2022, 01:21
@Seefuchs
Ich habe eine Laser und messe die Zeit die der Laser braucht um 1m in eine Richtung und 1m...

Ich würde lieber knapp 1,5m oder knapp 3m (5×10⁻⁹ bzw. 10⁻⁸ Lichtsekunden) nehmen.

...in genau die andere Richtung zurückzulegen.

Dazu brauchst Du am Anfang und am Ende der Strecke je eine Uhr. Die musst Du synchronisieren. Wie machst Du das?

  • Du kannst die Uhren natürlich in Position synchronisieren, indem Du in der Mitte eine Funkuhr aufstellst, die aktiv über Signale andere Uhren stellen kann, und je ein Signal nach hinten und nach vorn schickst.
  • Oder Du bringst die Uhren in der Mitte eng zusammen, synchronisierst sie und bewegst sie dann an ihre Zielpositionen.

Dann laufen sie in Deinem Ruhesystem synchron. In einem Koordinatensystem, in dem Du Dich nach vorn bewegst, wird die vordere Uhr gegenüber der hinteren leicht nachgehen.

Ich bewege mich mit Laser und Zielen mit 50% c...

Ich würde als Zahlenbeispiel lieber 0,6c nehmen, weil man damit einen rationalen LORENTZ- Faktor etc. bekommt:

γ := 1/√{1 − (v⁄c)²} = 1/√{0,64} = 1,25

...(für schönere Zahlen relativistische Effekte außen vor).

Die kannst Du nicht außen vor lassen, denn dafür bist Du viel zu schnell.

0

Eine Person am Äquator dreht sich mitsamt der Erdrotation mit 1600 km/h um die Erde. Unser Planet kreist rund 108.000 km/h schnell um die Sonne. Und die Sonne ist wiederum über 800.000 km/h schnell, während sie das Zentrum der Milchstraße umrundet. Auch die Milchstraße steht nicht an einem Ort still und so geht das immer weiter …

Seefuchs 
Fragesteller
 20.07.2022, 16:17

Vielen Dank für Ihre Antwort.

Was mich am meisten interessiert ist wie diese Vektoren aufeinander stehen. Denn ich denke nicht das der Äquator mit der Ebene der Umlaufbahn um Sonne und galaktisches Zentrum übereinstimmt von der Eigenbewegung der Galaxie ganz zu schweigen.

1
Dr. Volker Kratzenberg-Annies  20.07.2022, 16:41
@Seefuchs

Da die Geschwindigkeit der Sonne um das Milchstraßenzentrum alles andere toppt, ist der Rest fast egal. Wenn man will, kann man natürlich die Bewegung der Erde mal hinzuzählen und mal abziehen - je nachdem, wo sich die Erde gerade auf ihrer Bahn befindet. Immer mal stark vereinfacht identische Ebenen der Kreisbewegungen angenommen.

2
SlowPhil  22.07.2022, 01:01
@Dr. Volker Kratzenberg-Annies
Da die Geschwindigkeit der Sonne um das Milchstraßenzentrum alles andere toppt,...

Mit Ausnahme der Bewegung der Milchstraße selbst bzw. der Lokalen Gruppe relativ zum CMB. Diese insgesamt soll mit mehr als 2×10⁻³c richtung Virgo- Haufen unterwegs sein, die Erde nur mit erwas über 1,2×10⁻³c.

1