Welche dieser Zitate äußern sich kritisch gegenüber der Aufklärung?

2 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Kritisches Denken ist ein Merkmal der Aufklärung. Insofern sollte die Aufklärung nach ihrem Anspruch auch zu Kritik (unterscheidender Überprüfung) an eigenen Gedanken in der Lage sein.

Wennn es um Vorbehalte, Einwände und Vorwürfe gegen die Aufklärung geht, kommen nur Zitat 4 (Schiller) und Zitat 5 (über Rousseau) in Frage.

Jean-Jacques Rousseau wird üblicherweise als Philosoph der Aufklärung verstanden, allerdings stehen seine Standpunkte teilweise zu denen der Aufklärung in Spannung. Nach seiner Auffassung ist ein echtes Gefühl/eine echte Empfindung (sentiment) als der Verstand (raison) und die Stimme der Natur spricht daraus.

Friedrich Schiller lehnt sich in seiner Philosophie oft an Immanuel Kant an, er sucht aber auch nach einer umfassenden Harmonie von Sinnlichkeit und Vernunft. Dazu gehört Bildung eines Charakters einer schönen Seele.

 Zitat 1

Immanuel Kant, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? (1784): „sapere aude! Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! Ist also der Wahlspruch Aufklärung.“

Dies ist eine berühmte Schrift eines Philosophen der Aufklärung.

Horst Möller, Vernunft und Kritik : deutsche Aufklärung im 17. und 18. Jahrhundert. Erstausgabe. 1. Auflage. Frankfurt am Main : Suhrkamp, 1986 (Edition Suhrkamp ; 1269), S.12:

„Dieser Imperativ der Aufklärung gilt für alle Lebensbereiche, gilt für Religion und Kirche, Staat und Gesellschaft, Philosophie und Wissenschaft, Geschichte und Gegenwart.“

Dies ist eine beschreibende Darstellung.

Zitat 2

Montesquieu, De l’esprit des loix (Vom Geist der Gesetze, 1748), Buch 1, Kapitel 1: „Les lois dans la signification la plus étendue, ſont les rapports nécessaires qui dérivent de la nature des choses;“

Montesquieu ist ein Schriftsteller und politischer Philosoph der Aufklärung.

Zitat 3

Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbuch K, 1793-1796. [K 303]

Lichtenberg ist ein Aufklärer und hat in seinen Notizbüchern Aphorismen aufgeschrieben.

Eine gewisse Skepsis (wenigstens einmal an etwas zweifeln) ist mit Aufklärung gut vereinbar.

Zitat 4

Friedrich Schiller, Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen. Brief 8 (1795)

Es gibt eine Einschränkung gegenüber der Aufklärung des Verstandes. Gefühl und Charakterbildung sind betont.

Zitat 5

Neil Postman, Die zweite Aufklärung : vom 18. ins 21. Jahrhundert (Building a Bridge to the 18th Century: How the Past Can Improve Our Future; 1999), Kapitel 2 („Rousseau placed himself on the side of religion and spirituality and of the significance of the life of feeling. Reason, he thought, argues against God and immortality, but feeling is in favor of both.“)

Dies ist eine beschreibende Darstellung.

Die völlige Richtigkeit der Rousseau-Deutung ist anfechtbar. Rousseau hat zwar eine Stellung gegen Materialismus und Atheismus. Rousseau will Gefühl/Empfindung und Vernunft/Verstand aber letztlich nicht gegeneinander ausspielen, sondern Übereinstimmung erreichen. Das Vernünftige echter Gefühle/Empfindungen gehört zu seinen Überlegungen.

Zitat 6

Immanuel Kant, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? (1784)

Dies ist eine berühmte Schrift eines Philosophen der Aufklärung.

Zitat 7

Horst Möller, Vernunft und Kritik : deutsche Aufklärung im 17. und 18. Jahrhundert. Erstausgabe. 1. Auflage. Frankfurt am Main : Suhrkamp, 1986 (Edition Suhrkamp ; 1269), S.15

Dies ist eine beschreibende Darstellung.

Gotthold Ephraim Lessing ist ein Schriftsteller der Aufklärung.

Zitat 8

Friedrich Schiller, Die Schaubühne als eine moralische Anstalt betrachtet (1784)

Eine moralische Wirkung von Theaterstücken steht nicht in einem Gegensatz zur Aufklärung.

Zitat 9

Jean-Jacques Rousseau, Der Gesellschaftsvertrag oder Die Grundsätze des Staatsrechtes (Du contrat social ou Principes du droit politique; 1762), Buch 1, Kapitel 8 („On pourroit sur ce qui précede ajouter à l’acquis de l’état civil la liberté morale, qui seule rend l’homme vraiment maitre de lui ; car l’impulsion du seul appetit est esclavage, & l’obéissance à la loi qu’on s’est prescrite est liberté. Mais je n’en ai déjà que trop dit sur cet article, & le sens philosophique du mot liberté n’est pas ici de mon sujet.“)

Es gibt in diesem Textabschnitt keinen Gegensatz zur Aufklärung.

Zitat 10

Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbuch L, 1796-1799. [L 472]

Lichtenberg ist ein Aufklärer und hat in seinen Notizbüchern Aphorismen aufgeschrieben.

Mangelhafte Intelligenz oder fehlende Bereitschaft zu ihrer Anwendung verhindern Erkenntnisse. Dies stimmt mit Auffassungen der Aufklärung überein.

Zitat 11

Peter-André Alt, Aufklärung. 3., aktualisierte Auflage. Stuttgart ; Weimar : Metzler, 2007 (Lehrbuch Germanistik), S. 11 – 12

Dies ist eine beschreibende Darstellung.

Zitat 12

Montesquieu, De l’esprit des loix (Vom Geist der Gesetze, 1748), Buch 1, Kapitel 1: „Il y a donc une raison primitive ; & les lois ſont les rapports qui se trouvent entr’elle & les différens êtres, & les rapports de ces divers êtres entr’eux.“

Montesquieu ist ein Schriftsteller und politischer Philosoph der Aufklärung.

Zitat 13

Immanuel Kant, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? (1784):

Zitat 14

Peter-André Alt, Aufklärung. 3., aktualisierte Auflage. Stuttgart ; Weimar : Metzler, 2007 (Lehrbuch Germanistik), S. 12

Dies ist eine beschreibende Darstellung.

Peacedinosaur 
Fragesteller
 09.09.2021, 01:50

Danke schön! Das ist eine sehr ausführliche Antwort. Sie hätten die Quellen aber nicht suchen sollen, das gehörte nicht zu meiner Frage... :(

(Ich habe das nur als Nebensache gesagt, dass ich die Autoren nicht kenne, falls einer diese kennen wollte...)

Ich danke Ihnen von ganzem Herzen!

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Ergänzung:

12. Es gibt also eine ursprüngliche Vernunft, und Gesetze sind die Beziehungen, die zwischen ihr und den verschiedenen Wesen bestehen, sowie die Beziehungen dieser Wesen untereinander.

13. Wenn denn nun gefragt wird: Leben wir jetzt in einem aufgeklärten Zeitalter? So ist die Antwort: Nein, aber wohl in einem Zeitalter der Aufklärung.

14. Aufklärung bedeutet stets auch Säkularisierung und schließt eine fortschreitende Verweltlichung im Zeichen der Verdrängung kirchlicher Autoritäten ein.

[Die Autoren sind mir leider tatsächlich unbekannt! :( ]