Welche auftretenden Probleme des Bentham'schen Handlungsutilitarismus können mithilfe des Regelutilitarismus gelöst werden?
3 Antworten
Bei genauer Untersuchung ist das Ergebnis: Kein Problem, das beim Handlungsutilitarismus auftritt und von ihm nicht lösbar ist, kann vom Regelutilitarismus gelöst werden.
Denkbar ist höchstens die Feststellung, mit Hilfe eines Regelutilitarismus konkretere, etwas leichter lehrbare und lernbare Ableitungen für die Praxis formulieren zu können. Dies sind aber nur Grundsätze, die meistens richtig sind, aber nicht immer.
Möglicherweise hat jemand die Frage gestellt und nimmt es mit den Begriffen nicht so genau, dann ist die Erwartung vermutlich: Ein im Handlungsutilitarismus auftretendes Problem ist, ein Handeln entgegen bestimmten Grundsätzen als richtig zu beurteilen, die überwiegend mit nützlichen Folgen verbunden sind. Das Handeln im Einzelfall entgegen solchen Grundsätzen hat insofern schädliche Auswirkungen, als ein Handeln gemäß diesen überwiegend nützlichen Grundsätzen geschwächt werden kann. Der Regelutilitarismus löst das Problen, indem er die allgemeine Auswirkung auf nützliche Grundsätze bei der Einschätzung der Folgen einer Handlung mit berücksichtigt.
Solche Überlegungen gegen einen Bentham'schen Handlungsutilitarismus sind aber aus zwei Gründen fehlerhaft:
1) Ein Handlungsutilitarismus kann auch allgemeine Auswirkungen in die Einschätzung der Folgen einer Handlung einbeziehen. Das Unterlassen eines solchen Einbeziehens ist beim Handlungsutilitarismus keineswegs notwendig. Eine richtige Anwendung Handlungsutilitarismus berücksichtigt auch Auswirkungen in Bezug auf Grundsätze und iher Bedeutung zu Lust/Freude/Angenehmen, insofern sie Auswirkungen der einzelnen Handlung sind.
2)J eremy Bentham (1748 – 1832) hat seinen Ansatz in der Ethik als Utilitarismus verstanden. Eine Unterscheidung zwischen Handlungsutilitarismus und Regelutilitarismus und ihre Emtgegenstellung hat es zu seiner Zeit gar nicht gegeben. Sie ist erst im 20. Jahrhundert aufgetreten.
Jeremy Bentham hat bei der Einschätzung der Tendenz einer Handlung auch folgende zwei Umstände zu berücksichtigt:
a) Fruchtbarkeit/Erfolgsträchtigkeit (fecundity): Möglichkeit, daß eine Freude weitere Freuden nach sich zieht
b) Reinheit (purity): Möglichkeit, daß die Freude durch ein damit verbundenes Leid getrübt wird Dies spricht gegen ein angebliches Problem, Auswirkungen in Bezug auf Schwächung von Grundsätzen nicht einzubeziehen.
Die Gegenüberstellung von Handlungsutilitarismus, bei dem sich auf die Beurteilung auf die Folgen einer einzelnen Handlung bezieht, und Regelutilitarismus, bei dem für die Beurteilung Grundsätze für das Handeln/Handlungsregeln (Sekundärprinzipien genannt, da auf einer zweiten Ebene stehend) Bedeutung bekommen, die das auf einer ersten grundlegend Ebene stehende (daher Primärprinzip genannt) ziemlich abstrakte Nützlichkeitsprinzip für die moralische Praxis in etwas konkretere, lehr- und lernbare Anleitungen umformen (die Sekundärprinzipien erhalten dabei eine eigenständige Verbindlichkeit), stammt aus dem 20. Jahrhundert.
Ein Beispiel für ein solches Sekundärprinzip ist der Grundsatz, Versprechen einzuhalten.
Richtig ist nach dem Handlungsutilitarismus eine Handlung, wenn sie das Glück hinreichend fördert, moralisch geboten ist eine Handlung, wenn sie durch ihre Folgen das Glück größtmöglich befördert.
Richtig ist nach dem Regelutilitarismus eine Handlung, wenn sie einer glücksfördernden Regel entspricht, moralisch geboten ist eine Handlung, wenn die Handlungsregel, der sie einspricht, die größtmöglichen glückfördernden Folgen hat.
Anton Hügli/Byung-Chul Han, Utilitarismus. Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 11: U – V. Basel : Schwabe, 2001, Spalte 506:
„Die weitere Diskussion des U. im 20. Jh. beruht vor allem auf der Unterscheidung zwischen Handlungs- U. (»act utilitarianism«) und Regel- U. (»rule utilitarianism«) bzw. zwischen extremen (»extrem utilitarianism«) und eingeschränktem (»restricted utilitarianism«) U.. Der Regel-U. entspricht der von Mill ins Spiel gebrachten indirekten Form des U., der Nutzenberechnungen nicht direkt auf die jeweiligen Entscheidungen anwendet, sondern auf Regeln, Institutionen und Tugenden, während der Handlungs-U. der einzelnen Handlung den logischen Vorrang gibt.“
U. = Utilitarismus
Jh. = Jahrhundert
Wozu braucht man Regeln? Intelligente Wesen sind befähigt, alle Handlungen (auch geplante, zukünftige Handlungen) zu analysieren. Wenn alle Menschen ausführlich genug alle Handlungen auf ihre Folgen überprüfen würden, dann wäre der Handlungsutilitarismus ausreichend. Manchmal haben die Leute aber keine Zeit zum Analysieren, oder ihre Denkfähigkeit und ihr guter Wille sind nicht ausreichend. Gute Regeln sind gutwillig auf Folgen bedacht. Sie sind moralisch korrekt. Man kann sie blitzschnell anwenden.
Deine Frage zielt wahrscheinlich darauf ab, dass der altmodische Utilitarismus (in der Anwendung, in der Praxis) minderheitenfeindlich ist, dass er die Folgen der Folgen (also die längerfristigen Folgen) nicht beachtet, dass er bösartige Kosten-Nutzen Rechnungen nicht verhindert. Zum Beispiel: Es ist nützlich für die Mehrheit (es ist nützlich für die Gesellschaft), Sozialschmarotzer und andere "überzählige Esser" zu beseitigen. Es ist nützlich für die Mehrheit und für die Gesellschaft, niedrige Renten zu zahlen, Strafgefangene zu Zwangsarbeit zu zwingen, Gastarbeiter und Ungelernte für einen Hungerlohn arbeiten zu lassen, ..... Es nützlich für die Gesellschaft, wenn für die Unabhängigkeit des Landes, Wehrpflichtige mit ihrem Leben bezahlen. Es ist nützlich für die Gesellschaft andere Gesellschaften zu besiegen.
Gutartige Regeln können viele Ungerechtigkeiten der Nützlichkeitsethik beseitigen. (Nützlichkeitsethik wird auch als Glücksethik, als Folgenethik, als Handlungsutilitarismus, ..... bezeichnet.)
Wenn die Regeln nicht gutartig sind, sondern dem Nützlichkeitsprinzip unterliegen (wenn nicht nur die Handlungen, sondern auch Regeln mit Hilfe des hedonistischen Kalküls beurteilt werden), dann korrigiert der Regelutilitarismus den Handlungsutilitarismus nicht. Dann sind Regelutilitarismus und Handlungsutilitarismus gleichermaßen fehlerhaft. (Das hedonistische Kalkül sorgt dafür, dass die Menschen nur die Taten für gut halten, die viel Freude und wenig Leid bereiten.)
Wenn man Handlungen nicht nach ihrer Nützlichkeit (nicht nach ihrer Freude erzeugenden Wirkung) beurteilt , sondern danach ob sie dem Wohlergehen aller dienen, dann ist Handlungsutilitarismus gut genug.
Offen gestanden ist mir beides Wurscht, weil ich diese Schablonisierung der Schulphilosophie zum Kotzen finde. Hätte Bentham geahnt, wozu er missbraucht wird, hätte er seine Philosophie in den Papierkorb geschmissen. Meine Empfehlung: Werft die Schulbücher dieser Qualität in den Papierkorb. Lernt lieber selber denken als nach künstlichen, weltfremden Schablonen.