Weiß jemand die Evolutionstheoretische Bedeutung dieser Einzelnden Lebenden Fossilien?

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Wenn es erlaubt ist, ordne ich die einzelnen Arten ein wenig anders an, sodass wir uns von den übergreifenden Großgruppen hin zu detaillierteren Gruppen durcharbeiten können und die Evolutionsgeschichte so ein bisschen verständlicher wird.

Beginnen wir mit dem Lanzettfischchen (Branchiostoma lanceolatum). Es ist ein Vertreter der Schädellosen (Acrania) und gehört gemeinsam mit den Manteltieren (Tunicata) und den Wirbel- oder besser Schädeltieren (Cranioten) zu den Rückensaitentieren (Chordata). Die Schädellosen galten lange Zeit als die nächstlebenden Verwandten (die so genannte Schwestergruppe) der Wirbeltiere (Notochordata-Hypothese). Neuere Befunde (u. a. Untersuchungen an den Hox-Genen) weisen jedoch darauf hin, dass die Schwestergruppe der Wirbeltiere wohl eher die Tunicaten sind (Olfactores-Hypothese).

Die beiden rezenten Arten der Quastenflosser (Latimeria chalumnae und Latimeria menadoensis) gehören zu den Hohlstachlern (Coelacanthimorpha) und sind Vertreter der Fleischflosser (Sarcopterygii). Zu diesen gehören auch die Lungenfische (Dipnoi), von denen jeweils noch eine Art in Australien (Australischer Lungenfisch, Neoceratodus forsteri) und Südamerika (Südamerikanischer Lungenfisch, Lepidosiren paradoxa) und vier Arten in Afrika (Gattung Protopterus mit den Arten P. aethiopicus, P. amphibius, P. annectens und P. dolloi) verbreitet sind. Sie sind als lebende Fossilien bedeutend, weil die Fleischflosser auch die Landwirbeltiere (Tetrapoda) hervorgebracht haben. Quastenflosser und Lungenfische sind also nahe Verwandte jener "Fische", die einst den Landgang wagten und zu Landwirbeltieren wurden. Früher nahm man an, dass die Quastenflosser die Landwirbeltiere hervorbrachten, heute geht man eher davon aus, dass die Landwirbeltiere eher einen unmittelbaren gemeinsamen Vorfahren mit den Lungenfischen teilen.

Die Brückenechse (Sphenodon punctatus) oder Tuatara kommt heute nur noch auf Neuseeland und einigen umliegenden Inseln vor und ist eine Reliktart. Sie ist der letzte Vertreter der Schnabelköpfe (Rhynchocephalia), einer Gruppe der Schuppenechsen (Lepidosauria). Tuataras sind damit die letzten lebenden Vertreter dieser ursprünglich sehr viel artenreicheren Gruppe, die ihre Blütezeit in der Trias und im Jura von etwa 240 MYA (million years ago, Mio. Jahre vor heute) bis 140 MYA hatte. Besonderheiten der Tuatara sind ihr schnabelartig gebogener Oberkiefer (daher der Name Schnabelköpfe) und das Vorhandensein eines Scheitel- oder Parietalauges. Dieses "dritte Auge" dient vermutlich zur Erkennung von Hell- und Dunkelunterschieden und steuert den Tag-Nacht-Rhythmus. Auch beim Menschen ist das Parietalauge in abgewandelter Form noch immer vorhanden. Bei uns bildet es die Zirbeldrüse (Gl. pinealis), welche ihre Informationen vom Sehnerv erhält und über die Ausschüttung des Hormons Melatonin immer den Tag-Nacht-Rhythmus reguliert.

Das Schnabeltier (Ornithorhynchus anatinus) ist einer der wenigen heute noch lebenden Vertreter der Einloch- oder Kloakentiere (Monotremata) und gehört damit zu den Säugetieren (Mammalia). Neben dem Schnabeltier gehören auch noch die Ameisenigel (Echidna) mit dem Kurzschnabeligel (Tachyglossus aculeatus) und den drei Arten der Langschnabeligel (Gattung Zaglossus mit drei Arten: Z. attenboroughi, Z. brunjini, Z. bartoni) zu den Monotremen.
Die Monotremen sind ein Beleg für Brückenorganismen oder Mosaikformen und verdeutlichen anschaulich, dass die Säugetiere als rezente Vertreter der Synapsida aus einer Gruppe kriechtierähnlicher Vorfahren hervorgegangen sind, die man Säugerähnliche Reptilien nennt. Die Kloakentiere vermitteln mit ihrem Bauplan zwischen den ursprünglichen (plesiomorphen) säugerähnlichen Reptilien und den sbgeleiteten (apomorphen) Säugetieren, indem sie ein Mosaik aus plesiomorphen und apomorphen Merkmalen zeigen. Plesiomorph ist z. B., dass Kloakentiere noch Eier legen und keine Zitzen besitzen, sondern die Milch stattdessen über ein Milchfeld absondern. Apomorph ist hingegen der Bau des Kiefers und des Mittelohrs: hier zeigen sie schon den abgeleiteten Bauplan der Säuger mit einem sekundären Kiefergelenk und drei anstelle von einem Gehörknöchelchen.

Spitzhörnchen oder Tupaias (Scandentia) sind, anders als der Name vermuten lässt, keine Nagetiere (Rodentia). Sie sind viel näher mit den Primaten (Primates) und den Riesengleitern (Dermoptera) verwandt, deren Schwestergruppe sie bilden. Sehr wahrscheinlich sahen die ersten Primaten in der späten Kreidezeit rund 80 MYA ganz ähnlich aus wie heutige Spitzhörnchen.
Zu den echten Primaten gehören die Koboldmakis oder Tarsier (Tarsiiformes). Ihre systematische Stellung innerhalb der Primaten war lange umstritten. Ursprünglich wurden sie mit den Loris und Galagos (Lorisiformes) und den Lemuren (Lemuriformes) zu den "Halbaffen" ("Prosimiae") gezählt und diese den "echten" Affen (Simiae oder Anthropoidea) gegenübergestellt. Genetische und anatomische Befunde haben aber gezeigt, dass die Koboldmakis mit den Anthropoidea näher verwandt sind als mit den Lorisiformes und Lemuriformes. Deshalb werden in den jüngeren Systematiken Lemuriformes und Lorisiformes als Feuchtnasenprimaten (Strepsirrhini) einem Taxon bestehend aus Tarsiern und den Anthropoidea, den Trockennasenprimaten (Haplorrhini) gegenübergestellt.
Interessant ist, dass die Tarsier dabei anatomisch große Ähnlichkeiten mit den Loris zeigen. Diese Ähnlichkeiten beruhen aber nicht auf einer näheren Verwandtschaft (wie bereits erwähnt sind Tarsier Trockennasenprimaten, Loris hingegen Feuchtnasenprimaten), sondern sind das Ergebnis einer Anpassung an die gleiche ökologische Nische (konvergente Evolution), d. h. weil beide eine ähnliche Lebensweise (nachtaktive, vorwiegend baumbewohnende (arboricole) Insektenfresser) führen, haben sie sich in ihrer Anatomie in ganz ähnlicher Weise (aber unabhängig voneinander) angepasst. Beide besitzen z. B. sehr große Augen, um damit gut im Dunkeln sehen zu können.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Biologiestudium, Universität Leipzig