Was sind die verbleibenden Herausforderungen für eine vollständige Inklusion von Menschen mit Behinderungen in Deutschland?

6 Antworten

Eine vollständige Inklusion kann es aufgrund der Einschränkung durch die Behinderung ja nie geben. Es sei denn, dass sich nicht behinderte Menschen soweit selbst einschränken und runterfahren, dass sie sich auf das geringere Leistungsniveau der behinderten Person begeben. Das werden, wenn überhaupt, nicht viele sein. Insofern bin ich der Ansicht, dass es nie eine vollständige Inklusion geben wird. Nicht mal annähernd.

Deutschland hat sich 2008 zur Inklusion verpflichtet (vor mittlerweile also 15 Jahren!!). Geschehen ist seit dem kaum etwas. Ein wenig hat sich tatsächlich verändert. Aber das was geschehen ist, ist ein Tropfen auf dem heißen Stein und absolut nicht das wozu sich unser Land verpflichtet hat.

Soll ich dir also wirklich ALLES aufschreiben, wo noch Herausforderungen bestehen? Dann sitze ich morgen noch an meiner Antwort...

Daher nur mal einige Punkte:

Viele Redewendungen, Sprüche und generell unsere gesamte Kommunikation ist voll mit ableistischen Aussagen. Egal ob Medien oder Privatpersonen - überall sind behinderte Menschen diskriminierenden Worten ausgesetzt, das ist verletzend!

Genauso verletzend kann es sein, wenn Euphemismen genutzt werden.

Gerade an Halloween werden Narben, Gehbehinderungen, Buckel oder psychische Erkrankungen als Verkleidung missbraucht, was dazu beiträgt Erkrankungen & Behinderungen weiterhin zu stigmatisieren. Eine Behinderung ist kein Kostüm!

Unser aktuelles Schulsystem ist absolut nicht inklusiv. Angefangen mit Förderschulen, auf die betroffene Kinder gezwungen werden, bis hin zu Regelschulen, wo Aufzüge und barrierefreies Material fehlen. Inklusion an Schulen kann nur in Zusammenhang mit einer grundlegenden Reform des Schulsystems gelingen.

Viele Städte haben Kopfsteinpflaster in ihren Innenstädten. Im Rollstuhl dort rüber zu fahren oder auch nur als gehbehinderter Mensch dort zu laufen, ist Horror.
Um es mit den Worten von Raul Krauthausen zu sagen: "I-i-i-ch-ch-ch ha-a-a-a-a-s-s-s-s-e-e-e-eeee-e Ko-o-o-o-pf-stein-pfla-aaaa-aaas--te-e-ee-er!"

Es gibt immer neue Mobilitätskonzepte z.B. Carsharing, Uber oder Sammeltaxis. Das diese aber auch barrierefrei sein müssen, wird dabei aber nicht bedacht.

Menschen mit unsichtbaren Behinderungen wird regelmäßig ihre Behinderung abgesprochen, weil man sie ja nicht sehen kann.

Abgesprochen wird Menschen mit Behinderungen auch ihre Sexualität immer wieder. Zudem sind Aufklärung und Beratung über Sexualität, Beziehung und Familiengründung vielfach nicht barrierefrei.

Dazu passt, dass Arztpraxen ebenso häufig fehlende Barrierefreiheit haben. Das fängt an mit Stufen vor dem Eingang, geht über fehlende Leichte Sprache bzw. Gebärdensprache und endet bei fehlender Möglichkeit zur Umsetzung von Rollstuhl auf Behandlungsstuhl/-liege.

Gerade jetzt in Verbindung mit den Special Olympics wurde deutlich, dass selbst Sportvereine nicht inklusiv sind! Nur 7% der Sportvereine in Deutschland bieten ein gemeinsames Angebot für Menschen mit und ohne Behinderung an.

Menschen mit Behinderungen müssen dem Sozialamt immer wieder beweisen, dass ihre Behinderung immer noch vorhanden ist. Dass die Glasknochen nicht verschwunden sind, dass das fehlende Bein nicht urplötzlich nachgewachsen ist, das sich das 3. Chromosom 21 nicht in Luft aufgelöst hat.

Bei Fernreisen mit der Bahn müssen behinderte Menschen ihre Fahrt vorher anmelden, damit sie auch definitiv ins Fahrzeug gelangen können.

Generell ist auch der ganze ÖPNV alles andere als inklusiv. Aufzüge & Rolltreppen (sofern sie denn überhaupt vorhanden sind) sind regelmäßig defekt und die Reparatur nimmt mehrere Wochen in Anspruch; Straßenbahnen, in die man nur über Treppen einsteigen kann; Haltestellen, die keine Anzeigetafeln und/oder keine Durchsagen zu einfahrenden Fahrzeugen haben...

Supermärkte sind so vollgestellt mit extra Wagen, Regalen oder Kisten, dass man beim Durchfahren/Durchlaufen alles mögliche umschmeißt oder erst gar nicht in den Laden kommt. Des Weiteren gibt es oft keine Körbe, sondern nur Einkaufswagen. Mit denen haben aber manche behinderte Menschen Probleme. Auch das in den meisten Läden Musik läuft, ist problematisch.

Statt (schwer-)behinderte Menschen einzustellen, zahlen viele AG lieber die Ausgleichsabgabe. Menschen mit Behinderungen bleiben daher häufig nur die Behindertenwerkstätten.

Mode für behinderte Menschen ist ein Nischenprodukt, wenn man denn überhaupt was findet. Die 40jährige Person, die kleinwüchsig ist, sucht sich ihre Kleidung z.B. in der Kinderabteilung zusammen...

Ich habe in Bezug auf meine mündliche Abschlussprüfung hier die Frage nach Barrierefreiheit an Automaten (Geldautomaten, Fahrkartenautomaten, ect.) gestellt.

Enna35 antwortete mir folgendes:

Das Problem mit Automaten, das ich hauptsächlich habe (Geldautomaten/Kartenzahlpads an Kassen)ist, dass diese oft zu weit oben sind um das Display gut zu sehen, oder auch um diese zu bedienen (Arme heben fällt schwer).
An nahezu alle kann man auch nur seitlich ranfahren, da sie nicht unterfahrbar sind. Die Bedienung von der Seite ist mit motorischen Einschränkungen natürlich noch schwerer.

Das waren jetzt "nur" 17 Punkte, aber das ist noch längst nicht alles. Wie oben geschrieben, wenn ich wirklich alle Punkte listen würde, dann würde das noch ganz schön lange dauern.

Woher ich das weiß:Berufserfahrung – Heilerziehungspflegerin/ Ally der Behindertencommunity

Unser Schulsystem und die Altbau- bzw. Städtebauproblematik.

Unter anderem, dass Hilfsmittel für die einen eine Barriere für andere ist.

Blindenleitsysteme sind zum Beispiel für Menschen mit Fußheberschwäche problematisch.

Oh je….ich glaube, das sprengt den Rahmen hier! Da gibt es noch unzählige: sportangebote, Schulen, Bahnreisen, ÖPNV, Arbeitsplätze etc etc