Was hält die Aktuelle Geschichtsschreibung vom handeln von Wilhelm II?

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Was hält die Aktuelle Geschichtsschreibung vom handeln von Wilhelm II?

Wilhelm II. hat 30 Jahre geherrscht. Die Bilanz seiner Regierungshandlungen ist negativ.

Deutschland hatte eine Verfassung, die dem Kaiser zu weitgehende Machtbefugnisse gab. Wilhelms Persönlichkeit, sich als Monarch "von Gottes Gnaden" in den Vordergrund zu stellen, "den harten, schneidigen Mann" zu spielen und seine beschränkten Fähigkeiten maßlos zu überschätzen, ließ ihn innen- wie außenpolitisch scheitern. Denn Wilhelm glaubte, selbstherrlich regieren und nicht nur seine Regierung, sondern auch seine monarchischen Mitregenten im Reich nach seiner Pfeife tanzen lassen zu können. Seine Stellung als Oberbefehlshaber aller Streitkräfte und die Showveranstaltungen militärischer Manöver gaukelte ihm vor, auch ein begabter Militär zu sein. Die Folge des sog. "persönlichen Regiments" des Kaisers war ein erheblicher Ansehensverlust des Reiches bei den anderen Mächten und Ländern insbesondere Europas, aber auch im Reichsinneren nahm die Kritik an unsinnigen Aktionen und seltsamen Reden Wilhelms zu, die gelegentlich am Geisteszustand des Kaisers Zweifel weckten. Wegen seiner Machtbefugnisse umgab sich Wilhelm mit Politikern seiner Regierung und sonstigen Ratgebern, die ihm ergeben waren oder aus Karrieregründen nicht wagten, dem Kaiser offen die Meinung zu sagen. Die Mitglieder seiner Regierung sah er nicht als die eigentlich politisch Verantwortlichen an, die mit dem Reichstag, den Wilhelm als "Schwatzbude" verachtete, Politik gestalten mussten, sondern als Untergebene, die seine Weisungen widerspruchslos auszuführen hätten. So kam es immer wieder zu personalpolitischen Missgriffen. Wilhelm fehlten Menschen, die ihn rechtzeitig vor Irrwegen bewahrt hätten. Einige Fettnäpfchen, in die Wilhelm getreten war, ließen den Kaiser wenigstens kurzzeitig nachdenklich werden und sich ein wenig zurückzunehmen, auch Ratschläge anzunehmen. Gänzlich beratungsresistent war er also nicht.

Wilhelms größter Fehler war sein unüberlegtes Verhalten während der Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges. Die bedingungslose Unterstützung Österreich-Ungarns reizte dieses zum Krieg gegen Serbien. Als sich Serbien dem überzogenen Ultimatum Österreich-Ungarns überraschend doch noch gebeugt hatte, war Wilhelm froh, weil er damit den großen Krieg abgewendet sah. Wilhelms Militärs allerdings hatten schon den Schlieffenplan in Gang gesetzt, der einen Offensivkrieg gegen Frankreich und einen Defensivkrieg gegen Russland vorsah. In letzter Sekunde wollte Wilhelm befehlen, die Offensive im Westen nicht zu starten, sondern alle Streitkräfte gegen Russland zu massieren. Von seinen Militärs ließ er sich beschwatzen, den Schlieffenplan nicht mehr kurzfristig abzuändern. Hatte Wilhelm als Politiker versagt, so versagte er, als es darauf ankam, auch als Oberbefehlshaber!

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Ich arbeite als Historiker.