Was genau ist mit der Verschulung der Universitäten gemeint?

2 Antworten

Die Verschulung ist u.a. ein Resultat steigender Studierendenzahlen, die auch eine Folge der gesellschaftlichen Forderung nach einer akademischen Bildung war. Die an sich zu begrüßende nicht-Exklusivität der Universitätsbildung führe zur Popularisierung des Studiums. Die Universitäten müssen heute deutlich höhere Studierendenzahlen bewältigen und gleichzeitig gestraffte, effiziente Studiengänge anbieten, die innerhalb der Regelstudienzeiten abgeschlossen werden können. Dabei dient nicht die Bildung an sich als Ziel, sondern der Studienabschluss in Regelstudienzeit.

Dieser rein ergebnisorientierte Blick auf Abschlussquoten innerhalb des vorgegebenen Zeitfensters der Regelstudienzeit führte dazu, dass Universitäten die Masseninstitution Schule hinsichtlich der Gestaltung der Studienpläne, der Vorgaben an Studierende sowie der inhaltlichen, organisatorischen und didaktischen Gestaltung der Lehrveranstaltung als Vorbild nahmen. Das Resultat ist, dass Studierende nur minimale Individualität und Gestaltungsfreiheit in der Zusammenstellung des eigenen Studiums haben, weil sie mit Pflichtveranstaltungen (auch außerhalb der zu vermittelnden Kernkompetenz) überhäuft werden. Organisatorisch ist das billiger, leichter zu bewältigen und geht auch schneller. Freie Lehrveranstaltungswahl nach Interessen oder gar ein reines Interessensstudium ist heute kaum mehr möglich. Was vor 15 Jahren noch Normalzustand war, nämlich dass man sich aus reinem Interesse in eine Vorlesung gesetzt hat, ohne dass man sie vielleicht für Studium gebraucht haben könnte, ist heute ein abwegiges Kuriosum und wird mit Müßigkeit, Ziellosigkeit und Langzeitstudium assoziiert. Hingegen wird heute zunehmend erwartet, dass Studierende sich an Regelstudienzeit, curriculare Vorgaben und den Lehrplan halten. Dafür erhalten sie heute an der Uni, wie auch schon zu Schulzeiten, vorgekautes Wissen. Kritisches und reflexives Denken wird zwar offiziell überall noch gewünscht, aber nirgends wirklich gefordert und eigentlich auch kaum toleriert, erst recht nicht in den Künsten, Geistes- und Sozialwissenschaften.

Dies hat bereits zu stark spürbaren Resultaten geführt: Entmündigung der Studierenden, zugleich aber auch Hilflosigkeit unter ihnen. Sie ergeben sich den curricularen Vorgaben ohne weiter über ihr Studium und ihren Studienverlauf nachzudenken. Ferner: Mangelhafte Ausbildung in den theoretischen Grundlagen bzw. fachlichen Voraussetzungen. Schwächung der Kernkompetenzen des Studienfachs, zugleich Stärkung der Peripherie durch Schwerpunktsetzungen im Bereich von Teil- und Hilfsdisziplinen (zulasten der Kernfächer). Insgesamt also ein extremer Niveauverlust im Studium auf nahezu allen Ebenen...

Beispiel Musikwissenschaft: Ich musste während meiner Studienzeit noch Fähigkeiten im Klavierspiel nachweisen, Generalbass und Partituren spielen. Dazu gab es vier Semester Harmonielehre und zwei Semester Kontrapunkt. Die meisten von uns haben zugleich ein Musikstudium absolviert. Heute setzen die meisten Curricula keine praktischen Musikkenntnisse mehr voraus, die musiktheoretischen Grundlagen sind heute oft auf zwei Semester heruntergekürzt. Kaum ein Studierender kann heute in einer klassischen Klaviersonate einen Ganzschluss, ja die meisten können nicht einmal mehr richtig Noten lesen (Linien abzählen zählt nicht als Notenlesen), weil die meisten auch nicht mehr auf praktischer Seite mit Musik in Berührung kommen.


haku7 
Fragesteller
 03.01.2018, 14:15

Sehr gute Antwort. Ich habe einige der geschilderten Nachteile am eigenen Leibe erleben dürfen im Maschinenbaustudium.

An einer TU in Süddeutschland werden spezialisierte Studiengänge angeboten. Bei diesen hat man nur sehr wenige Wahlmöglichkeiten. Es zwar nicht so das man gar keine Wahl hat aber diese begrenzt sich auf Fächer die sich an einer Hand abzählen lassen.

Interessante Fächer besucht man erst gar nicht da sich das ja nicht in ECTS niederschlägt und somit der formale Studienfortschritt behindert wird. Was Fortschritt in dem Studium heißt darf nicht mehr hinterfragt werden, es wird einfach von oben aufoktroyiert.

Über das Scheitern in Fächern und im Studium spricht man nicht gerne. Das geht natürlich weiter so in Wissenschaft und auch in den Unternehmen. Alles klappt, alle Vorgaben werden erfüllt, usw. Planwirtschaft wie sie leibt und lebt. In Wahrheit kommt aber durchaus viel Mist raus.

Das Aufwand - Nutzen Denken nimmt ebenfalls viel Raum ein in der Studiengestaltung der Studierenden. Nicht selten werden die leichtesten und grundlegendsten Fächer gewählt, wenn man die Wahl hat. ECTS sind ja ECTS.

Wer schaut sich schon später die Fächer an? Hauptsache gute Noten, egal in was und in Regelstudiendauer. Die Bafög Sanktionen / Belohnungen tun ihr übriges.

Denn schlechte Noten, Prüfungswiederholung, hohen Zeitaufwand, semesterübergreifende Wiederholung will man sich einfach nicht leisten. Erhöht wie sie bereits geschildert haben die Semesterzahl. Was gebrandmarkt wird mit "weit über der Regelstudiendauer" und "Langzeitstudent".

Das Ausprobieren, Neugierde, Scheitern und Neuversuch zum Leben dazu gehören wird einem effektiv ausgetrieben. Alles soll einen "roten Faden" haben udn auf Anhieb klappen. Ich nenne das gerne politische "Linientreue".

1