Was bedeutet dieses Lernziel in Philosophie über Sokrates?

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Es soll bei Darstellungen zu Sokrates zwischen dem, was auf den tatsächlichen Sokrates, wie er gelebt und gedacht hat, ausgerichtet ist und insofern zu einer echten historischen Überlieferung beiträgt, und einer literarischen Figur, die ein Ideal verkörpert, unterschieden werden.

Dies bedeutet, den realen Sokrates und eine literarische Figur «Sokrates«, die als Ideal dargestellt ist, nicht einfach gleichzusetzen, sondern methodisch grundsätzlich auseinanderzuhalten.

Vieles, was zu Sokrates von anderen antiken Autoren geschrieben worden ist, ist keine zuverlässige Angabe zu dem tatsächlichen Sokrates.

In die Figur «Sokrates« sind von ihnen eigenen Gedanken und eine Vorstellung über den idealen Philosphen hineingelegt worden. Daher können die Darstellungen nicht ungefiltert als Information zu dem historischen Sokrates übernommen werden.

Sokrates hat keine schriftlichen Werke verfasst, in denen er seine philosophischen Gedanken dargelegt hat.

In sokratischen Schriften kommt Sokrates als literarische Figur vor. Dabei hat diese Figur in manchen Hinsichten ideale Eigenschaften und verkörpert ein Ideal des Philosophen. So ist in Darstellungen Sokrates weise, anderen an Einsicht überlegen, beschäftigt sich mit wichtigen Themen, strebt danach, andere zu einem guten, glücklichen Leben anzuregen. Dabei können leicht Unsicherheiten, Fehler und Schwächen kaum vorkommen. Sokrates trägt als ideale Dialogfigur Gedanken vor, die von den Autoren dieser Dialoge stammen und von denen nicht einfach sicher ist, dass sie der tatsächliche Sokrates vertreten hat.

Schüler/Freunde des Sokrates haben begonnen, sokratische Dialoge zu schreiben. Sie zeigten damit eine Wertschätzung für ihn. Sie wollten sein Philosophieren nachahmen, vielen ging es auch darum, durch schriftliche Darstellung Sokrates eine Art literarisches Denkmal zu setzen. Außerdem konnten sie dabei eigene Gedanken transportieren, indem in literarischer Fiktion ein sehr bekannter Philosoph diese vortrug.

Erhalten sind neben Platons Dialogen auch sokratische Dialoge, die Xenophon geschrieben hat. Nur spärliche Reste gibt es von den Dialogen, die Aischines, Antisthenes, Eukleides aus Megara und Phaidon aus Elis verfaßt haben.

Der platonische Sokrates ist eine Dialogfigur in kunstvoll gestalteten literarischen Werken. Er tritt in fast allen Dialogen Platons auf und übernimmt in den meisten die Gesprächsleitung/ist Hauptwortführer. Die Dialogfigur wird dabei oft verwendet, um Gedanken Platons zu äußern.

Was für philosophische Auffassungen Sokrates genau hatte, kann zu einem großen Teil nicht mit ausreichender Sicherheit festgestellt werden.

Platon könnte der Überzeugung gewesen sein, Sokrates habe mit seinen Überlegungen dazu, was z. B. die Gerechtigkeit ist, im Grunde auf so etwas wie die Ideenlehre abgezielt. Sonnengleichnis, Liniengleichnis und Höhlengleichnis seines Dialogs «Politeia« enthalten (vor allem mit Aussagen zur Idee des Guten) auch ein Stück weit etwas zur Prinzipienlehre Platons, von der er mündlich noch mehr dargelegt hat. Der historische Sokrates hat diese Prinzipienlehre nicht gehabt.

Michael Erler, Platon. Originalausgabe. München : Beck, 2006 (Beck`sche Reihe: bsr - Denker; 573), S. 50:  

„Platons Darstellung des Sokrates läßt neben wohl historischen Zügen Merkmale eines epischen, aber auch eines tragischen Heros erkennen, der z. B. im Phaidon zeigt, daß und wie man mit Emotionen umzugehen hat. Vor allem aber ist er mit Verhaltensweisen ausgestattet, die ihn als platonischen Idealphilosophen und damit als literarische Figur kenntlich machen.“

S. 50 – 51:„Platons Sokratesfigur hat also sicherlich einen historischen Kern. Doch ist dieser angereichert mit philosophischen Vorstellungen, die ihn zwar in bewußtem Kontrast zu den zeitgenössischen Sophisten zeigen […], die aber Platons Vorstellungen vom Verhalten des wahren Philosophen entsprechen, wie er sie Sokrates selbst in den Dialogen formulieren läßt. Der Leser wird daher immer wieder an den fiktionalen Charakter der Darstellung erinnert, etwa wenn Platon historische Widersprüchlichkeiten in die Handlung einbaut oder auf Personen und Ereignisse anspielt, die nicht in die Lebenszeit des historischen Sokrates passen, welche in den Dialogen geschildert wird.“

Ich weiss nicht, was der Lehrer damit meint. Wenn ich aber die Verteidigungsrede des Sokrates anschaue, scheint mir der reale Sokrates keineswegs so vorbildlich. Sein "Ich weiss, dass ich nichts weiss" kommt da ziemlich arrogant und besserwisserisch rüber. Nämlich: "Ihr anderen seid saudoof."

Auch in der Schilderung seiner Hinrichtung wirkt er besserwisserisch, stur und arrogant. Lieber lässt er sich umbringen als nachzugeben. Eigentlich hätten die Athener in ja gar nicht töten, sondern einige Jahre ins Exil schicken wollen. Sokrates schien es so verlockend, ein Märtyrer zu werden, dass er das Angebot ausschlug und auf der Hinrichtung bestand.

Ähnlich geht es mir bei allen seinen Rededuellen. So fragt er z. B. jemanden, was Tugend sei. Es geht ihm aber nicht darum, dabei mehr über tugendhaftes Leben zu erfahren. Vielmehr will er dem anderen nur beweisen, dass er das nicht sauber definieren kann und daher "keine Ahnung davon habe". Bringt der andere Beispiele für tugendhaftes Verhalten, so erklärt Sokrates, er frage nicht nach Beispielen, sondern nach einer allgemeinen Definition. Wenn der andere eine allgemeine Definition nennt, fragt Sokrates nach der Bedeutung der Wörter, die in dieser Definition verwendet wurden.

So funktioniert Sprache eben, dass Wörter ihre Bedeutung aus der Anhäufung von Beispielen erhalten und dass dann die so gewonnenen Wörter zur Definition weiterer Begriffe verwendet werden können. Etwas anderes gibt es nicht. Das heisst nicht, dass wir mit Wörtern überhaupt nichts ausdrücken können. Weder Sokrates, noch seine Kontrahenten haben dies als grundsätzliches Problem, der Sprache erkannt. Grosse Philosophie sind diese Streitgespräche nicht. Das sind Sandkasten-Streitereien.