Warum wird in Deutschland fast jedes deutsche Lied als "Schlager" bezeichnet?

10 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet
"My Way" von Frank Sinatra. Auf englisch eine hochwertige "Swing-Ballade" wird die deutsche Version von Harald Juhnke auch wieder als "Schlager" abgetan, obwohl die Melodie doch die gleiche ist. Ein Bossa-Nova von Johannes Heesters, ein Sauflied von den Höhmern, ein Walzer von Peter Alexander, ein Jodler von Franzl Lang: Alles Schlager!

Höchstens in den Augen der Allgemeinheit oder in den Augen von Leuten, die sich für Musik nicht interessieren oder keinen Zugang dazu haben oder nur hören, was im Radio kommt, ist das so.

Harald Juhnke etwa läuft als Entertainer und Schauspieler - nicht aber als Schlagersänger; selbst sein hörenswertes 1989er Album "Barfuß oder Lackschuh", das ich gekauft habe und liebe, ist ein Beispiel für deutschsprachige Chanson-Kunst/einen deutschen Crooner und durchaus als Solches anerkannt. Wurde auch von den Medien großteils ignoriert, da es schwierig einzusortieren ist und für den typischen Schlagerhörer nicht "schnulzig" genug.

https://www.youtube.com/watch?v=5vEXKnQb8ZI

Hildegard Knef ist letztlich sein weiblicher Gegenentwurf gewesen - wurde aber mit Schlagern erfolgreich und nicht mit starken Stücken wie "Im 80. Stockwerk", was mein Lieblingslied von ihr ist. Deswegen wird sie auf die bekannten Schlager reduziert - übrigens ist genau das auch die Bürde von Udo Jürgens. Der hat tolle Sachen gemacht und unglaublich starke Albumfüller - aber die Singles waren stets kommerzielle Schlagertitel und die anspruchslosesten Lieder der Alben, wohl um in die Radios und die Hitparaden zu kommen. "Lieder, die im Schatten stehen" ist eine ganz fantastische Serie, die ich teilweise auch habe (wobei ich alle offiziellen Udo-Alben seit den späten 70ern als CD besitze - er ist der Einzige, von dem ich alle CD-Alben gekauft habe und die Meisten parallel auch als LP), aber was für seine echten Fans, nicht für die Best-Of-Käufer und SWR-4-Hörer, deren Udo-Liebe bei "Aber bitte mit Sahne" und "Na und...?!" aufhört.

https://www.youtube.com/watch?v=2BGSHc1X60Y

Peter Alexander aber kommt dem klassischen Thema Schlager sehr nahe. Er ist ein schauspielender Schlagersänger oder schlagersingender Schauspieler - je nachdem, wie man das sehen will - gewesen. Er hat viel Gutes gemacht und konnte auch viel bis hin zur Parodie, aber berühmt wurde Peter Alexander als Schlagersänger und Bestandteil von ZDF-Hitparade oder der Starparade mit Rainer Holbe. Und was er immer sang bzw. womit er Erfolge hatte muss man sagen ... es ist Schlager in Reinkultur; gut, manchmal etwas sozialkritischer wie in "Schwarzes Gold", aber es ist purer Schlager. Das war der Sound, den Ralf Siegel auch für Rex Gildo oder Dschinghis Khan schrieb.

https://www.youtube.com/watch?v=iEJegS-3MuI

Truck Stop startete als englischsprachige Country-Band Anfang der 70er und wird von Leuten, die sich auskennen, auch als Country-Band gesehen - aber die Singles sind auch hier wie bei Udo Jürgens und Hildegard Knef meist so seicht, dass es problemlos für die Schlagersender als Berieselung für Opa Heinz reicht und schwupps waren Lucius, Erich, Cisco und ihre Freunde in der Schlagerschublade.

Ein Beispiel ist auch Roger Whittaker. Eigentlich ein Liedermacher, hatte er seine beste deutschsprachige Phase zwischen ca. 1985 und 1994. Danach wurde seine Musik immer seichter. Es lag bei ihm am Wechsel vom kleinen Label Intercord zur kommerziellen mainstreamigen BMG-Ariola und am Wechsel von Nick Munro zu anderen Produzenten, dadurch verlor Rogers Musik an Seele und Klasse wie ich finde ----> hatte er vorher oft sehr tiefsinnige Lieder gebracht, war es nach "Sehnsucht nach Liebe" nur noch deutsche Schlager-Mucke. Man höre sich mal unfassbare Lieder wie "Ein weißes Haus" von 1988 an und dann die Songs, die er in den 90ern brachte - bis ca. 1994 hatte er tolle Momentbeobachtungen auf Lager, durfte er dann offenbar nicht mehr, um erfolgreicher zu sein. Sehr schade, aber so wurde auch dieser sehr sympathische Interpret im Schlagergenre verheizt, obwohl er da nicht hingehört.

https://www.youtube.com/watch?v=CVkGeOvhSnY

Heino oder Franzel Lang würde ich als Interpreten volkstümlichen Liedguts bezeichnen - ein Schlager im eigentlichen Sinne wäre für mich etwa ein Lied von Roland Kaiser, den Flippers, von Nicole, Howard Carpendale (wobei der auch tollen internationalen Pop machen kann!), Peter Alexander, Drafi Deutscher oder Andreas Martin ... und aus der modernen Szene dann eben Helene Fischer, Annemarie Eilfeld, Michael Wendler, Olaf Malolepski (der von den Flippers) und wie sie sonst alle heißen.

https://www.youtube.com/watch?v=zU143lzFA-U

Lange Rede kurzer Sinn ... wer alles Deutschsprachige blind unter Schlager einheftet, hat entweder keine Ahnung oder kein Interesse, meistens beides. Ansonsten wird der Schlager eben auch oft belächelt - ich erinnere mich, dass ein Lied von Madonna von Andrea Jürgens gecovert wurde. "Du wirst sehn" hieß das.

https://www.youtube.com/watch?v=ZmaObAKdFPY

Von Madonna sicher ein Welthit mit entzückten Kritikern, von Andrea Jürgens durch dieselben Kritiker wahrscheinlich zerfleischt, obwohl der Text sicher ziemlich 1:1 übersetzt wurde.

Woher ich das weiß:Hobby

Ich glaube, deine Definition von "Schlager" geht einfach etwas am Ziel vorbei.

Schlager bezeichnet keinen Stil, sondern eine Genre. Das Genre "Schlager" ist deutsprachige, tendenziell eingängig (um nicht "einfach" zu sagen) gehaltene Unterhaltungsmusik.

Da fällt halt ein sehr großes, unterschiedliches Werk drunter. Pop oder E-Musik haben eine mindestens genauso weite Spreizung an Stilen. Und nur weil mal der eine oder andre Song den Rahmen sprengt, stellt das nicht das Genre infrage.

Übrigens habe ich weder Franzl Lang noch Truck Stop jemals als "Schlager" bezeichnet gehört.

Weil Schlager weniger ein Musikstil, als ein Oberbegriff für leichte Unterhaltungsmusik ist, wobei sich der Schlager schon früh zu etwas mehr etabliert hat als anfangs vorgesehen.

Es gibt halt Schlager. Schlager ist auch: Popschlager wie Helene Fischer, Beatrice Egli und Vanessa Mai. Klassischer Schlager wie Peter Alexander. Volkstümlicher Schlager wie Lolita und Ballermann-Schlager wie Mickie Krause. Man muß es ja irgendwie benennen.

Außerdem ist Hildegard Knef eine Chan­son­ni­è­re und keine Schlagersängerin. Wer sagt das denn von ihr?

Jede Musik hat so unterschiedliche Stile. Pop ist ja auch in K-Pop, Synthie-Pop, Dance-Pop, J-Pop, Bubblegum-Pop etc. eingeteilt. Wenn man will, kann man auch für jeden Sänger einzelne Bezeichnungen wählen. Dann singt halt Marion Maerz Schlager, Hildegard Knef Chanson, Hauff und Henkler Volksmusik, Peter Alexander Unterhaltungsmusik, Suzanne Doucet New Age und Micki Krause Stimmungsmusik. Da haben wir nur einmal den Begriff Schlager.

Zudem singen die meisten Stars nicht nur in einem Stil.

https://youtu.be/B3P-7lqzBDU

Kinder der Liebe - Su Kramer

Hier, das hört man und sagt: Ja das ist Schlager. Das Lied war ihr bekanntestes. Somit ist der Stempel: Su Kramer ist eine Schlagersängerin.

https://youtu.be/x-2yR1RKa34

Hier ist das Leben - Su Kramer

Würde man hier noch sagen das ist ein Schlager? Wenn man Su Kramer durch Kinder der Liebe kennt, wahrscheinlich. Denn dadurch ist sie ja die „Schlagersängerin“ geworden. Wenn man das Lied hört, ohne sie zu kennen würde man es eher in die Popmusik einordnen, wobei es als Coverversion von You got the power - WAR eher unter Rythm 'n Blues und Funk fällt.

Um deine Frage zu beantworten, die meisten Stars werden dem Schlager zugeordnet, weil ihre bekanntesten Lieder in das Genre fallen. Eine Katja Ebstein hat sich mit schlagergenretypischen Liedern wie Theater und Der Stern von Mykonos ihren Stempel geholt, und würde trotz Jazz-Titeln wie „1920“ als Schlagersängerin bezeichnet werden.

Etwas extremer vielleicht sogar noch bei Veronika Fischer. Ihr bekanntestes Lied:

https://youtu.be/tKEcTGM7VAs

Auf der Wiese - Veronika Fischer

Ein klasse Song, ein Schlager ganz klar, und fast einzig dieses Lied hat sie zur Schlagersängerin gemacht. Sie sang in der Rockband Panta Rhei. Sie sang Jazz und Blues en mass und doch; sie bleibt die Schlagersängerin für die meisten.

Ich denke Fans werden immer unterscheiden können, und Außenstehende immer alles als Schlager bezeichnen. Wichtig ist, was man selbst weiß. ;)

Siehe Wikipedia:

"Seit den 1950er Jahren wird Schlager als „schwer zu umgrenzender Begriff in der neueren Unterhaltungsmusik“ sowie als „Kurzform für leicht eingängige Tanz- und Unterhaltungsmusik“ beschrieben.[1] Microsoft Encarta definierte 2003 Schlager als „einerseits kommerziell erfolgreiches Musikstück, andererseits als eine Gattung der Unterhaltungsmusik“. Kennzeichnend seien „einfachste musikalische Strukturen und triviale Texte, die an das Harmonie- und Glücksverlangen des Zuhörers appellieren“. Dabei seien „die Grenzen zur Popmusik und volkstümlichen Musik fließend“.

Also kurz gesagt - Schlager heute ist nicht Schlager von gestern, und nicht Schlager von vor 50 Jahren, aber die Grundbasis ist gleichbleibend.

Jedes Musikgenre ist besonders, da immer Veränderung im Spiel ist. Nimm dir "Dubstep" aus der EDM Richtung als Beispiel. Früher bestand Dubstep aus tiefen Basslines die eher im Hintergrund standen, es war ruhiger, entspannter, ähnelte leicht den Reggae Beats. Heutzutage ist Dubstep eine sterbende Waschmaschine die von 5 amerikanischen Polizisten totgeknüppelt wird. Hat absolut nichts mehr mit altem Dubstep zutun, aber dennoch ist die Grundbasis vorhanden.

Nennt man auch Evolution. Alles verändert sich auf Dauer.

Weil es auf deutsch leichte Kost ist.

hoermirzu  05.03.2020, 11:52

Eher Ohrwurm oder "Schlag"-worte.

Den Begriff Schlager kann man seit zwanzig Jahren gar nicht mehr eindeutig definieren.

Die DIN-Norm in D, Ö, ..., ist unser eigentliches Problem; wie ordnet man Raps mit zweifelhaften Texten ein? Helge Schneider mit "älteren" Hits wie Katenklo?

International ist die Einordnung noch viel schwieriger, kein Kritiker von amerikanischen Jazzgrößen, wird groß nach dem Sinn in vielen "rausgehauenen" Songs finden wollen. - Nur viele Starlets fühlen sich verpflichtet einen fraglichen Sinn inihre Lieder einbauen zu müssen. Verstehe wer das will!

1