Warum und woran sind die Ideale der Weimarer Klassik gescheitert?

2 Antworten

Ideale scheitern nicht, denn sie sind "Ideale", d.h. Vorstellungen, die zudem so allgemein sind, dass jeder seine eigenen Vorstellungen in sie hinein deutet, so dass er dann das Gefühl hat, die Ideale seien gescheitert, weil seine Vorstellungen sich natürlich nicht verwirklicht haben. Kein Ideal hat sich je verwirklicht.

Sie scheiterte (wie der Kommunismus auch) am Menschen.

Menschen Lügen

Menschen Betrügen

Menschen Gieren nach mehr

VorneSitzer0815  22.04.2020, 20:24

Steck jemanden in eine hässliche Situation - und er wird hässliches Verhalten zeigen. Idealisten scheitern immer wieder daran, dass sie das Innenleben des Menschen modifizieren wollen, ohne zu bedenken, in welchem Umfeld sich diese gedankliche "Software" des Menschen schließlich bewähren muss. Menschen sind ständig dabei, gegenläufige Anforderungen in einem Kompromiss auszubalancieren. Idealismus schafft stets Starrheit, die diese Dynamik unmöglich macht.

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VorneSitzer0815  22.04.2020, 20:46
@VorneSitzer0815

Kurz gesagt also: Goethes Modell war nicht umsetzbar, und daran scheiterte (auch) die Klassik. Die Software läuft nicht auf der Hardware namens Gehirn.

Im Fall der Klassik ging es darum, Vernunft und Gefühl zu harmonisieren. Das sollte durch Erziehung und Bildung möglich sein. Das Kernproblem der Klassik ist/war, dass sie Denken vorschnell mit Vernunft gleichsetzte und Gefühl vorschnell mit Glück. So funktioniert das nicht: Im Neocortex sitzen Logik und Sprache, im limbischen System sitzen soziale Funktionen wie Empathie und im Stamm-/Reptilienhirn die "niederen" Instinkte des Menschen wie Fressen, Sex, Aggression. Das "Böse" lässt sich dem Menschen also nicht endgültig aberziehen; es ist Teil der biologischen Programmierung. Diese Programme müssen also von einer anerzogenen übergeordneten Instanz (dem "Gewissen") aus kontrolliert und beaufsichtigt werden. Für die, bei denen dieses Anerziehen von "Gewissen" nicht geklappt hat, haben wir übrigens Gesetze und Gefängnisse als letzte Kontrollmöglichkeit.

Goethe und Schiller behaupteten irrtümlich, Menschen "hätten" Vernunft, und zwar von Geburt an. Diese "Vernunft" - ein erfundenes Kombi-Konstrukt aus Verstand und Sittlichkeit und soziokulturellen Paradigmen und Gewohnheiten - gab und gibt es aber nicht. Die Klassiker haben bei Goethe und Schiller also blindlings die Katze im Sack gekauft - und bei der Prüfung ergab sich dann, dass der Sack nicht einfach nur leer war - sondern statt einem schnurrendem Vernunft-Kätzen eine fiese Schlange (Reptilienhirn), ein gefühlsduseliger Träumer (Limbisches System) und ein verblendeter Haarspalter (Neocortex) im Sack steckte.
So ist das, wenn Idealisten ihre Weltverbesserungstheorien ungeprüft hinausposaunen. :D

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