Warum sterben Piloten trotz Schleudersitz

4 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Hallo,

wie fast immer, sollten wir erst einmal die Fragen sortieren:

1) "Ich lese immer wieder, dass ... die Piloten sterben obwohl sie den Schleudersitz zünden."

Wo liest Du das "immer wieder"? Und wahrscheinlich von Verfassern, die nie ein Kampfflugzeug geflogen sind oder daran gearbeitet haben.

Wenn Piloten den Griff gezogen haben, kamen sie auch in über 7.000 Fällen (alleine bei Martin-Baker) lebend aus der Maschine. Der Schleudersitz ist das einzig mir bekannte System, dass rein mechanisch arbeitet und so gut wie immer funktioniert. Das bedeutet, Piloten sterben nicht, weil sie den Griff ziehen, sondern weil sie ihn nicht oder zu spät ziehen!

2) "Das (Sterben) scheint nicht gerade selten zu sein." Doch!

3) "warum nicht jder Pilot den Schleudersitz zünden kann" Kann er meistens doch. Er muss es nur rechtzeitig tun!

Jetzt das Ganze mal weniger polemisch:

  • Ein moderner Kampfjet zieht in der Kurve bis zu 9 g! Versagt die Anti-G-Ausrüstung oder verzögert das Zusammendrücken der Oberschenkel und des Bauchraums und/oder vergisst der Pilot seine Pressatmung, kann es zum "Blackout" kommen, also zu einer Unterversorgung des Gehirns mit Blut.

Dieser "G-LOC" (G-force induced Loss Of Consciousness) kann im schlimmsten Fall länger dauern als das Flugzeug braucht, um den Boden zu erreichen. Dann kann der Pilot den Sitz nicht mehr auslösen.

  • In einem echten Kampf kann der Sitz durch Munition oder Trümmerteile beschädigt worden sein.

  • Ein Tornado fliegt z. B. mit rund 250 m/sec. im Konturenflug nur 60 m über dem Boden; unter Umständen sogar noch niedriger. Der Pilot muss also entsprechend "vorausschauen" und eine Einschätzung seiner Lage vornehmen (Think ahead the aircraft!), also schneller denken, als sein Flugzeug fliegt. Aber ... das Auge leitet Informationen mit einer Geschwindigkeit ans Gehirn weiter, die weit unterhalb der Fluggeschwindigkeit liegt. Eine Gefahr erkennen, dann denken - aussteigen -, dann der Imput an die Hand; das alles funktioniert nicht so wie in Computerspielen.

  • Die Lage und Geschwindigkeit des Flugzeugs. Auch wenn der Sitz in extremen Lagen funktioniert, geben die Sitzhersteller doch nur Garantien bis zu bestimmten Werten an, also z. B. bis 630 kt oder bis zu einer Schräglage von 48°. Werden die Werte überschritten und es kommt zum Ausschuss, kann es zu einer Fehlfunktion des Steuer- und/oder Rettungsschirms kommen, muss aber nicht. Hatten wir im Geschwader mal, als die Piloten schneller am Boden waren als ihr Flugzeug! Da hatten Sitz und Rettungsschirm funktioniert; auch jenseits der von MB genannten Grenzen.

  • Es gibt zwei Wege, aus der Maschine zu kommen: a) Abwurf des Kabinendachs oder b) Vorbrechen durch eine Sprengschnur. a) ist die sicherere Variante, kostet aber Zeit (0,4 bis 1,10 sec.) b) geht schneller, aber der Sitz zerstört das vorgebrochene Dach; dabei könnten natürlich Glassplitter den Piloten verletzen.

  • Der Pilot trifft die Entscheidung einfach zu spät. Zwar geschieht die Körperrückholung in 0 sec. und das Dach fliegt weg, aber die Kanone wird mit Zeitverzögerung gezündet, da das Dach erst in sicherer Entfernung sein muss.

  • Als Mechaniker an der alten F-4F Phantomhabe ich es ab und zu mal erlebt, dass Piloten ein Sitzkissen mitbrachten. Dann gab es immer Streit, wenn wir den Kutschern das Kissen unterm Hintern weggezogen haben. Da der Pilot auf der harten Sitzwanne des Schlauchbootes saß, wollten sich einige das Leben bequemer machen. Das allerdings war lebensgefährlich, denn dann war bei der Körperrückholung eine aufrechte Position der Wirbelsäule nicht mehr gewährleistet. Und das hätte den Tod bedeuten können - auch ohne Feindeinwirkung.

  • Der Pilot hat sich vor dem Flug nicht klargemacht, wann genau er einen Ausstieg macht. Das aber sollte er tun, denn im Flug hat er keine Zeit mehr. Viele versuchen, ihr Flugzeug zu retten - was ja löblich ist - aber trotzdem muss man wissen, wann man aussteigen muss.

Also, das Rettungssystem funktioniert so gut wie immer und auch unter widrigen Umständen. Meistens liegt wohl es an der zu späten Entscheidung für den Ausstieg und erst danach kommt eine "Fehlfunktion" des Piloten ins Spiel (Bewusstlosigkeit, Umsetzen von Gedanken in Handlung).

BrrrBanana 
Fragesteller
 29.06.2014, 14:41

Na man liest das meistens in der Zeitung bzw diverse Nachrichten, wenn von einem Flugzeugabsturz berichtet wird. Anlass, das jetzt hier zu erfragen war der wiki Artikel über die Yak-130. Das int ein paar abgestürzt und die meisten Piloten retteten sich mit dem Schleudersitz, bei einer Yak hatte aber nur einer der beiden Piloten überlebt.

Ansonsten danke für die ausführliche Antwort. Bleibt bestimmt auf Jahre die beste Antwort im Netz.

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die angelegenheit ist komplizierter als gedacht, z. b. muss eine bestimmte höhe vorhanden sein, sonst nutzt der schleudersitz nicht

rudim1950  29.06.2014, 18:58

Alle modernen Schleudersitze sind heutzutage praktisch nur noch Zero-Zero-Sitze, die auch bei Höhe und Geschwindigkeit Null funktionieren, also auch, wenn der Flieger am Boden steht.

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Mach dir mal klar was bei diesem Vorgang passiert! Ein Mensch wird bei über 1000 km/h aus einem Flugzeug hinaus geschossen, ca. 100 Meter hoch. Der Computer errechnet vorher den Winkel in dem der Pilot abgeschossen werden muss, da sich das Flugzeug ja auch z.B. in Rückenlage befinden kann. Die Kräfte die dabei entstehen können schon groß genug sein um einen Piloten umzuhauen. Des Weiteren kann es passieren, dass der Schleudersitz erst kurz vor dem Boden los geht weil der Pilot z.B. verhindern wollte dass das Flugzeug über einer Stadt runter kommt. Den Schleudersitz über dem Meer zu ziehen ist auch nicht ganz ungefährlich, da der Pilot auch leicht Bewusstlos sein kann (Siehe Top-Gun ;-)). Auf einem gewissen deutschen Luftwaffenstützpunkt ist es schon 2 mal vorgekommen dass die Monteure beim zerlegen eines Tornados spaßeshalber den Schleudersitz gezündet haben. Die armen Schweine haben sich so in das Hallendach geschossen, Überlebenschancen =0!

BrrrBanana 
Fragesteller
 29.06.2014, 13:58

Okay....also ist das eher ein Strohhalm als ein Rettungsboot! Ja klar, in die Hallendecke kommt nicht gut. Soweit ich weiß ist auch das Absprengen von der Kuppel nicht angesagt wenn das Flugzeug am Boden ist und Arbeiter daneben stehen!

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P1504  29.06.2014, 14:00

Welcher Flugplatz war das??

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rudim1950  29.06.2014, 15:35

Hi, diese Geschichte mit den Mechanikern gibt es schon, seit es Schleudersitze gibt. Mal war es ein Mechaniker, der an einer F-104 G der Luftwaffe in Jever herumgeschraubt hat (diese Geschichte gab es zu meiner Zeit beim JG 71 in Wittmund), dann war es bei den Marinefliegern, jetzt beim Tornado. So langsam gehen der Bundeswehr die Mechaniker aus ;-)

Und wer zündet schon "spaßeshalber" einen Schleudersitz? Vor dem Ausbau aus dem Flieger sind mindestens 7 Sicherungen zu setzen, darunter die Abzugsgriffe (gut, beim Tornado nur der untere), die Sitzkanone, das Raketenpack und die Steuerschirmkanone. Wirklich gefährlich war die Sache eigentlich nur für die Flughafenfeuerwehr: Wenn man nämlich schnell ins Cockpit musste, konnte man von außen über einen Handle die Kabinendächer abwerfen. Danach waren die Sitze völlig ungesichert und die Feuerwehr hatte zwei "Angelhaken", mit denen sie (jetzt bei der F-104 G und der F-4F) die Sitzkanone sichern konnte.

Nein, das System ist so sicher, wie eins, dass mit Explosivstoffen funktioniert, nur eben sein kann.

Und schon seit Jahrzehnten gibt es praktisch nur noch Zero-Zero-Sitze, die auch bei Höhe und Geschwindigkeit Null funktionieren, also auch, wenn der Flieger am Boden steht. Da ist auch ein Ausschuss dicht über dem Boden kein Thema mehr.

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Zündet ein Pilot den Schleudersitz wirkt ein enormer Druck auf seine Wirbelsäule, was dazu führen kann, dass die inneren Schäden dadurch so groß werden, dass man trotzdem stirbt.

BrrrBanana 
Fragesteller
 29.06.2014, 13:45

Ja klar aber sowas muss sich doch berechnen lassen?!

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