Warum haben nur die Briten bis zuletzt Dampfloks mit Innenzylindern gebaut?


23.08.2021, 16:57

Weil meine Formulierung leider undeutlich ist, nochmal die Frage, auf die ich eigentlich hinaus wollte.

Mir ging es um Dampfloks, die NUR Innenzylinder und KEINE Außenzylinder haben. Das sind durchgehend Zweizylinderloks mit einfacher Dampfdehnung. Die sind fast überall auf der Welt spätestens zu Anfang des 20. Jahrhunderts ausgestorben, außer bei den Briten. Warum dort nicht?

4 Antworten

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Auch wenn die Frage etwas älter ist und diffus beantwortet wurde, hier ein Erklärungsversuch: Neben dem britischen Hang, traditionelles und bewährtes fortzuführen, gab es praktische Gründe, u.a. haben Zweizylinderloks mit kurzem Radstand und Aussenzylindern starke Zuckbewegungen durch die weit aussenliegenden Kurbelzapfen. Innentriebwerke mit Kropfachsen mindern diese. Zum anderen gab es in GB viel höhere Bahnsteige als auf dem Festland, Personenwagen haben wenig Trittstufen, 800-über1000mm sind üblich. Da musste das Personal von Dampfloks beim Abschmieren des Triebwerks während Zwischenhalten tief hinunter- und hinaufklettern. Das Dazwischenbeugen unter den Kessel war da fast bequemer. Eine spezielle Trittstufe war dafür extra mittig angebracht, siehe Bilder von 0-6-0(T) Innentriebwerks-Loks.

Vielleicht helfen diese Erkärungen ein wenig, den Anachronismus zu verstehen.

H.Demmer

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung

Vielleicht ist noch anzufügen, die Herstellung von 3 oder 4 Zylindern und deren Einbau in die Maschinen ist natürlich auch mit einigem Mehraufwand verbunden. Außerdem haben die Briten lange Zeit Ihre Kessel mit weniger Betriebsdruck gebaut, als die DRG. Während deren Kessel bis 12 Bar "aushielten" steigerte die DB den Druck auf 16 Bar und ist experimentell dann sogar auf 20 Bar gegangen. Das blieb aber bei einzelnen Kesseln, die wieder auf 16 Bar zurück genommen wurden. Dampfloks, wie die deutsche BR 01, BR 85, BR 44 oder 43 waren in großen Stückzahlen 3 Zylinder-Verbund- Maschinen und die BR 18 hatte gar ein 4 Zylindertriebwerk. Sie entstammte allerdings der Länderbahn-Ära.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Modellbahnen aufgebaut, Beruf Maschinenbau
eieiei2 
Fragesteller
 23.08.2021, 17:05

Danke für Deine Antwort. Das mit dem niedrigeren Kesseldruck der Briten war mir noch garnicht aufgefallen.

Weil ich es mal wieder geschafft habe, meine Frage so doof zu formulieren, dass garnicht rauskam, was ich eigentlich wissen wollte, kann Deine Antwort das leider noch nicht beantworten. Eindeutig mein Fehler.

Eigentlich ging es mir um die Kuriosität, dass die Briten weltweit die einzigen waren, die bis weit in die Nachkriegszeit hinein Zweizylinderloks mit innen liegenden Zylindern, also ganz ohne Außenzylinder gebaut haben. Der Sinn erschließt sich mir nicht, die Bauweise kombiniert doch nur die Nachteile aller anderen Bauweisen.

Die Dreizylinder Einheitsloks haben übrigens kein Verbundtriebwerk. Sie haben einfache Dampfdehnung, alle Zylinder bekommen Frischdampf.

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eieiei2 
Fragesteller
 23.08.2021, 17:11

Mir fällt gerade auf, dass Preußen überhaupt keine 2'C1' Maschine im Sortiment hatte. Die stärksten und modernsten Schnellzugloks der Preußen waren 2'C und 1'D1' Konstruktionen. Dabei wären doch gerade im nord- und nordostdeutschen Flachland die 2'C1' Renner sinnvoll einsetzbar gewesen.

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Carsten1  30.08.2021, 16:26
@eieiei2

Angefangen hat es mit der Eisenbahn in Nürnberg > Fürth. Also begann der ganze Zauber im heutigen Bayern. Die Preussen hatten zwar schnell den Nutzen erkannt, den die Eisenbahn bringen würde, mussten aber den Zeitversatz erst mal aufholen. So hatten es die Bayern als erste mit der S 3/6 geschafft eine Lok mit der Achsfolge 2 C 1 zu bauen. die 01 und 03 wurden tatsächlich erst unter der DRG nach 1939 geschaffen. Die Preußische S 10 ( BR 17 war eine 2 C Maschine, die mit 1800 mm Treibrad-Durchmesser auf 110 Km/h kam. Die 2 C 1 Maschinenmit 2000 mm Treibrad-Durchmesser kam zunächst auf 130 Km/h, wurde später als 011 und 012 mit Neubaukesseln auf 140 Km/h angehoben.

Die 011 wurde mit Kohle und die sonst baugleiche 012 mit einer Ölfeuerung versehen.

Letztens habe ich doch noch die 4 Zylinder-Verbund -Lok wieder entdeckt. Die BR 42 wurde aber nur in wenigen Stückzahlen gebaut, eben wegen der schon bekannten Probleme, die so ein Triebwerkverbund mit sich brachten.

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Ich würde eigentlich meinen, dass die Zugänglichkeit bei Wartungen als Grund hinreichend ist, im Besonderen dann, wenn man festgestellt haben sollte, dass es mit den Zylindern überproportional oft Probleme gab.

Vielleicht waren für britische Lokomotiven eher andere Probleme und Fehler typisch, so dass das bei der Wartung ein sekundäres Problem war?

Oder gab es vielleicht eine andere Bauart bei den britischen Zylindern, die sie insgesamt weniger fehleranfällig machten?

Ruenbezahl  23.08.2021, 09:19

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts setzte sich bei den Eisenbahnverwaltung immer mehr der Wunsch nach Vereinheitlichung durch, um die Wartung zu erleichtern. Jede Eisenbahnverwaltung setzte daher vor allem auf die in ihrem Bereich gängigsten Typen und bemühte sich, andere auszusortieren. So wollte man in Preußen keine Verbundmaschinen - nicht etwa weil sie nicht effizient gewesen wären, sondern weil man den Lokomotivpark vereinheitlichen wollte. In Österreich hingegen hielt man an Verbundmaschinen mit Innenzylinder fest. Die Wartung war zwar aufwändiger, aber die Effizienz war größer.

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Na ja, die Deutschen sind nicht der Rest der Welt:

K. E, Maedel hats mal ganz schön beschrieben: Aufgrund dessen, dass Soldaten nach dem Militär in Preussen einen "Zivilversorgungsschein" bekamen und somit das Recht hatten, im Staatsdienst weiter beschäftigt zu werden:

Militäranwärter - Zeno.org

kamen auch oft Leute in den Staatsdienst, die vor allem gehorchen gelernt hatten. Karl Ernst Maedel drückte das so aus: Da musste der Gehorsam oft das Denken ersetzen.

Daher hatte Preussen ein Interesse, einfache Loks zu konstruieren, die auch einfach zu bedienen waren. Dazu kam, dass mit Robert Garbe ein Werkstattmann an der Spitze war, der von der Instandhaltung kam: Robert Garbe (Ingenieur) – Wikipedia

Der setzte die Wartungsfreundlichkeit höher an, als geringer Verbrauch.

Zu seiner Zeit hatte er auch Recht, da die Kohle auch billig war.

R.P Wagner der die Einheîtslok 1920 kreierte hatte da andere Ansichten. Mit dem niederen Blasrohrdruck und der vergleichsweise geringen Kesselleistung von 57kg /m2 und Stunde, versuchte er die Loks verbrauchsfreundlicher zu machen.

Einen andern Weg gingen die Franzosen: Andre Chapelon hat sich voll dem 4 Zylinder Verbundsystem verschrieben.

André Chapelon – Wikipedia

Wenn die Deutschen nicht in Frankreich eingefallen wären und das Rollmaterial zerdeppert hätten, wären auch noch Dampfloks für 200km/h gebaut worden.

Chapelon hat eine 6 Zylinder Maschine konstruiert, die leider, wegen dem Krieg nicht mehr erprobt werden konnte.

Micro-Feinmechanik - Exklusive Lokomotiven in Messing Edelstahl und Neusilber in Landshut und München / Munich (microfeinmechanik.de)

160 A 1 — Wikipédia (wikipedia.org)

Und nachher haben die Amerikaner die 1200 141R geliefert, die nach dem Krieg dem Wiederaufbau zugute kamen.

Mehrzylinderlokomotiven waren nur in Deutschland nicht beliebt.

eieiei2 
Fragesteller
 23.08.2021, 16:54

Danke für die ausführliche Information.

Wenn man bedenkt, dass die bayerischen Verbundloks rund 10% weniger Kohle verbraucht haben als gleich starke preußische Zweizylinder, erscheint die alleinige Konzentration auf Wartungsfreundlichkeit ziemlich kurzsichtig zu sein. Man muss ja nicht nur 10% mehr Kohle kaufen und verteilen, man muss bei gegebener Tendergröße auch das Netz der Bekohlungsanlagen 10% dichter bauen und dort Personal vorhalten. Außerdem muss der Heizer 10% mehr Kohle schippen, was bei großen Loks die Frage aufwirft, ob der Heizer eine gleich lange Schicht durchhält wie auf der sparsameren Lok. Zumal in Deutschland ja auch sehr konsequent auf Stoker verzichtet wurde.

Leider beantwortet das aber noch nicht die Kernfrage, warum auf der Insel (und nirgends sonst) bis zuletzt auch in großer Zahl Zweizylinderloks mit Innentriebwerk gebaut wurden. Meines Erachtens kombinieren sie die Effizienz- und Laufkulturnachteile, die eine Zweizylinderlok nunmal hat mit den Wartungsnachteilen der Vierzylindermaschinen.

Ich sehe aber gerade, dass ich zu später Stunde die Frage so unklar formuliert habe, dass garnicht klar wird, worauf ich eigentlich hinaus will.

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guru61  24.08.2021, 07:22
@eieiei2

Na ja, die Engländer hatten wohl einen Spleen :-)

wie lange genau 2 Zyl Innenzylinderloks gebaut wurden, weiss ich allerdings nicht. Ich glaube, dass das bald nach dem ersten WK vorbei war.

Innenzylinder haben durchaus ihre Vorteile: Kurze Dampfwege, daher geringe Kondensationsverluste, Zylinder sind nicht so dem Fahrtwind ausgesetzt, was wiederum die Kondensationsverluste vermindert. Dies war vor allem bei Nassdampf nicht zu unterschätzen.

Durch den kurzen Achsabstand, greifen sie weit innen an und vermindern die Schlingerneigung. Allerdings benötigen sie eine Kropfachse. Da die Engländer aber lange im Stahlbau führend waren, spielte das eh eine geringe Rolle. Technologisch waren sie durchaus in der Lage gute Kropfachsen herzustellen.

Dem Personal har damals keiner eine Träne nachgeweint. die hatten zu tun, was zu tun war. Dann kam noch dazu, dass die Engländer gerne aufgeräumte Loks hatten!

Und in England hatte der Chief Engineer viel mehr Freiheiten, als zum Beispiel in Preussen. Solange die Bahn lief, war alles gut. Da konnten durchaus persönliche Vorlieben eine grosse Rolle spielen.

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