War Livius für oder gegen Augustus' Politik?

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Naja, Augustus hat das römische Reich rund 40 Jahre lang gelenkt. Da kann man nur schwer von "DER Politik" des Augustus sprechen. Da gab es viele politische Entscheidungen.

Grundsätzlich war Livius aber, wie du schon geschrieben hast, in seinem Werk pro-augusteisch eingestellt. Das sieht man an den moralischen Aspekten und das darf man dann auch sicherlich verallgemeinern auf die Grundsätze der augusteischen Politik. Sie ermöglichte ja erst ein bis dahin nicht gekanntes Zeitalter des Friedens und  des Wohlstandes, das erst die intensive schriftstellerische Tätigkeit eines Vergil oder eines Livius ermöglichte.

LG

MCX

Titus Livius ist anscheinend grundsätzlich ein Befürworter der Politik des Augustus gewesen.

Daraus kann nicht abgeleitet werden, er habe allen seinen politischen Maßnahmen und Plänen in einer langen Zeit zugestimmt.

Wichtig ist auch, den Zeitraum zu beachten. 27 v. Chr. gab Octavian offiziell seine Machtbefugnis an Senat und Volk zurück und ihm wurde dann wieder Amtsgewalt übertragen, außerdem vom Senat der Ehrentitel Augustus verliehen. Dies wird als Beginn des Prinzipats gerechnet. Es ist unwahrscheinlich, daß Livius auch die ganze vorausgegangene Zeit über für die Politik des Gaius Octavius bzw. dann Gaius Iulius Caesar (Annahme des Namens nach seiner Adoption im Testament seines Großonkels; nach üblicher Benennung hätte er den Namenszusatz Octavianus gehabt und auch wenn er ihn nicht tatsächlich führte, wird er in modernen Darstellungen ab dieser Zeit bis zum Beginn des Prinzipats gewöhnlich Octavian/Oktavian genannt) eingetreten ist oder sie gebilligt hat. Denn dazu gehörte eine harter Machtkampf einschließlich von Bürgerkrieg und es gab gewaltsames, brutales und rechtswidriges Vorgehen.

Das Ende der Bürgerkriege wurde von vielen als Erleichterung empfunden und begrüßt. Für Rom, Italien und viele Provinzen brachte der Herrschaft des Augustus längere Zeit andauernden inneren Frieden, Stabilität, mehr Sicherheit und Wohlstand. Augustus hat in seiner Selbstdarstellung Wünsche danach aufgegriffen. Die Zustimmung zum Prinzipat überwog in der Bevölkerung. Die Erwähnung der Schließung der Tore des Janustempels nach dem Krieg mit der Schlacht bei Actium (im Zusammenhang mit der Darstellung von Numa Pompilius, dem sagenhaften zweiten König Roms, Livius 1, 19, 3) erweckt den Eindruck, Augustus als Friedensbringer zu rühmen.Die moralische Ausrichtung der Geschichtschreibung läßt ein Wohlwollen gegenüber Gesetzen zur Einschränkung eines Luxusaufwandes und gegenüber den Zielsetzungen der Ehe- und Familiengesetzgebung des Augustus vermuten. Livius bejahte einen sozialen Wert von Religion. Eine Zustimmung zu einer Gründung/Stiftung und Wiedererrichtung von Tempeln/Heiligtümern und Kulten/Bräuchen ist daher naheliegend. Livius 4, 20, 7 bezeichnet Augustus als Gründer/Stifter oder Wiederhersteller aller Tempel/Heiligtümer (templorum omnium conditorem aut restitutorem).

Livius 4, 20, 1 – 11 erörtert, wann und in welchen Amt Aulus Cornelius Cossus (5. Jahrhundert v.Chr.) dem Iupiter Feretrius die Spolia opima (herrliche Beuterüstung; Bezeichnung für eine Rüstung, die ein römischer militärischer Anführer einem besiegten Anführer der Feinde abgenommen hat) geweiht hat. Zunächst erzählt er in Übereinstimmung mit älteren Geschichtschreibern, dieser habe dies als Militärtribun getan. Dann weist er auf eine Behauptung des Augustus hin, auf einer Inschrift auf einer alten Rüstung eine Nennung als Konsul gesehen zu haben. Das Zeugnis des Augustus zu übergehen, sei nahezu ein Sakrileg. Livius äußert sich ziemlich respektvoll und ergeben. Der Sachverhalt wird allerdings offengelassen und Livius scheint eher der traditionellen Darstellung als richtig zuzuneigen, stimmt also Augustus nicht völlig vorbehaltslos zu. Ein Hintergrund der eigenen Zeit ist, daß Marcus Licinius Crassus, Konsul 30 v. Chr. und 29 - 28 v. Chr. Prokonsul von Macedonia und Achaia in einem Krieg 29 v. Chr. Deldo, dem König/Häuptling der Bastarnen, eigenhändig getötet und ihm die Rüstung abgenommen hat. Augustus hat den Standpunkt vertreten, Crassus habe kein selbständiges Kommando unter eigenen Auspizien geführt. Er hat die hohe Auszeichnung verhindert, wollte nicht durch etwas Glanzvolles überboten werden. Crassus bekam nur 27 v. Chr. einen Triumphzug.

Livius hat Claudius, einen Enkel des Augustus, zu Geschichtsschreibung ermuntert (Sueton, Divus Claudius 41, 1). Dies deutet auf ein gutes Verhältnis zur Kaiserfamilie.

Welches Verhältnis Livius genau zu Augustus hatte und wie er seine Politik beurteilte, ist in den Einzelheiten schwierig anzugeben, weil vom Geschichtswerk des Livius die Darstellung der zeitgenössischen Ereignisse nicht erhalten ist. Es bleiben nur verschwommene Andeutungen und vermutete Analogien (die Darstellung früher römischer Zeit bei Livius hat einen Bezug auf die Gegenwart, zu der es irgendwelche Entsprechungen gibt).

Seneca, Quaestiones naturales 5, 18, 4 gibt an, Livius habe es für ungewiß gehalten, ob es für den römischen Staat nützlich gewesen sei, daß Caesar geboren worden ist oder nicht (zum Teil wird auch angenommen, im Text stünde nicht Caesar, sondern Gaius Marius).

Tacitus, Annales 4, 34 erzählt, Livius habe Gnaeus Pompeius so stark gelobt, daß Augustus ihn einen Pompeianer nannte; dies habe aber ihre Freundschaft nicht beeinträchtigt.

Albrecht  19.04.2015, 14:42

Wahrscheinlich stehen dahinter gewisse Sympathien für eine Republik mit traditioneller Senatsherrschaft (Pompeius war im Bürgerkrieg mit dafür eintretenden Politikern verbündet, auch wenn diese ihm nicht voll vertrauten). Damit mußte Livius nicht in Gegensatz zu Augustus geraten, weil dieser selbst beanspruchte, den Staat/die Republik wiederhergestellt zu haben (res publica restituta).

Dorothee Gall, Die Literatur in der Zeit des Augustus. 2., durchgesehene und bibliographisch aktualisierte Auflage. Darmstadt : Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2013 (Klassische Philologie kompakt), S. 142:

„Augustus wird, wie auch sonst in der augusteischen Literatur, vor allem als Friedensbringer gepriesen, der den seit Generationen geöffneten Janustempel geschlossen hat (1, 19, 3). In Livius' Bewunderung der republikanischen Frühzeit, in seiner Idealsierung der ihre Herrschaft maßvoll ausübenden Politiker und auch in der rundum positiven Wertung des Servius Tullius, der auf die Königswürde habe verzichten wollen, mag man eine Distanzierung von Augustus und ein Bekenntnis zur Republik sehen. Doch können die betreffenden Motive ebenso gut als exempla römischer virtus aufgefasst werden, die keine fundamentale Prinzipatskritik beinhalten, sondern auf die richtige Art der Herrschaftsausübung verweisen. Als sicher kann gelten, daß Livius die von Augustus geplante Sittenreform für notwendig, wenngleich noch lange nicht vollendet hielt. In der archaisierenden Tendenz, in der Idealisierung republikanischer Politiker und Feldherrn zu exempla der virtus, in dem besonderen Anspruch, den er gegenüber der Aristokratie vertritt, und in seinem Geschichtsmodell, das Heilung für die Sünden der Gegenwart in der Orientierung an der Vergangenheit sucht, ist Livius jedenfalls ein echter Augusteer; wenn er einen Widerspruch zwischen Augustus' Politik und der republikanischen Freiheit sah, hat er ihn - zumindest in den erhaltenen Teilen - nicht artikuliert.“

Dieter Flach, Römische Geschichtsschreibung. 3., neubearbeitete Auflage. Darmstadt : Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1998, S. 142:  

„Gewiß begrüßte er die Segnungen der neuen Staatsordnung so lebhaft, daß er es vor seinem Gewissen verantworten und mit dem Gebot der Wahrheitsliebe vereinbaren konnte, wenn er innerhalb seiner römischen Geschichte hier in den Beifall der großen Mehrheit einstimmte.“

Erich Burck, Das Geschichtswerk des Titus Livius. Heidelberg : Winter, 1992 (Bibliothek der klassischen Altertumswissenschaften ; N.[eue]F.[olge], Band 87 : 2. Reihe), S. 164 – 176

Karl Christ, Geschichte der römischen Kaiserzeit : Von Augustus bis zu Konstantin. 6. Auflage mit aktualisierter Bibliographie. München : Beck, 2009 (Beck's historische Bibliothek), S. 142:  

„Es ist wenig sinnvoll, über den Inhalt und die Wertungen der verlorenen zeitgeschichtlichen Bücher des Livius zu spekulieren. Daß sein Werk insgesamt weithin im Einklang mit den Bemühungen des Augustus stand, ist evident, allenfalls überraschend, daß es Gegenwart und Zukunft nicht in hoffnungsvolleren Bildern vor Augen führte. Doch wenn es die notwendige Eintracht (concordia) der Bürger betonte, auctoritas und consilium feierte, Selbstbeschränkung rühmte, die mores maiorum völlig unkritisch idealisierte und nicht zuletzt die grundlegende Bedeutung der traditionellen Religion ins Bewußtsein rief, so konnte dies alles nur im Interesse des neuen politischen Systems liegen. Nicht am wenigsten aber galt dies für jene Kontinuität und Geschlossenheit römischer Geschichte, die nach der Strukturierung des Livius völlig der Formel der res publica restituta entsprach.“

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