War Friedrich Nietzsche selber ein Nazi oder ein Wegbereiter der Nationalsozialisten?

8 Antworten

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Du hast selbst auf die Problematik des Antisemimitismus hingewiesen, dem sich Nietzsche massiv entgegengestellt hat. Eines seiner Hauptmotive, sich von Wagner loszusagen, lag genau darin, dass er dessen Antisemitismus beklagte und unerträglich fand. Von hier aus war Nietzsche also in keinster Weise ein wie auch immer dedachter Wegbereiter der NS-Ideologie.

Nietzsches Konzept vom Übermenschen ist ebenfalls nicht für die NS-Ideologie brauchbar, weil Nietzsche im Übermenschen ganz im Gegensatz zu den Nationalsozialisten den "großen Menschen in seiner Eigenverantwortlichkeit" sah. Der Übermensch ist bei ihm elitär, aristokratisch, hoch sensibel, sehr reflektiert, auch arrogant, aber eben besonders in seiner Fähigkeit ausgezeichnet, eigenverantwortlich sein Ideal zu finden und zu verwirklichen. Der Übermensch hat zahlreiche Haltungselemente der "Freien Geister", die Nietzsche immer wieder als idealisierte Gestalten einer zukünftigen besseren Welt darstellt. Damit steht er in völligem Kontrast zu der Gleichschaltungsideologie und der bedingungslosen Unterwerfung unter einen Führer wie das im Programm der Nationalsozialisten gefordert war.

Das Mobilisieren der Massen, wie es in der NS-Ideologie bedeutsam war, ist Nietzsche ebenfalls völlig fremd. Im Gegenteil gibt es bei ihm zahlreiche Passagen, bei denen er sich äußerst kritisch gegenüber der "Heerde" äußert, man könnte sogar von einer gewissen Verachtung des Massenmenschen bei Nietzsche sprechen. Indem Nietzsche also auf die Herausbildung eines eigenverantwortlichen, eher heroischen Menschen ausgerichtet ist, der aneckt, der in seiner Überlegenheit bekämpft wird, der nicht verstanden wird von den "Kleingeistern" seiner Zeit, steht er in völligem Kontrast zur NS-Ideologie.

Ein Punkt ist allerdings dennoch zu konzidieren, den auch die Nationalsozialisten herausgestellt haben, das ist die biologistische Sicht auf das Züchtungsmoment beim Menschen. Er betont oftmals die Abstammungsproblematik, hat sich auch selbst als Abkömmling eines polnischen Adligen stilisiert, um vermutlich seinen "Charakteradel" zu demonstrieren. Aber solche Attitüden sind seinem Narzissmus geschuldet, den er in zum Teil unerträglicher Weise kultiviert hat. Gerade die darwinistischen Prinzipien hat er in Bezug auf den Menschen als sehr bedeutsam herausgestellt, wie z.B. Edith Düsing in ihrem überaus lesenswerten Buch: "Nietzsches Denkweg" herausgearbeitet hat. 

Bilanz: Friedrich Nietzsche ist damit ein völlig ungeeignetes Modell für die ideologische Vorbereitung des Nationalsozialismus, auch wenn er eine ganze Reihe von Verhaltenselementen als hoch bedeutsam herausgestellt hat, die unserer heutigen Idealisierung des einfühlsamen und akzeptierenden Menschen gegenüber den Schwächen und Unzulänglichkeiten der Mitmenschen widersprechen.

HulaHubby  28.02.2023, 13:58

Hat Nietzsche eigentlich eine Rolle gespielt in der Ideologie der NSDAP am Anfang? Weil, aufgrund dessen weil Nietzsche in der Ideologie der NSDAP nicht vorkommt, sieht man doch klar, dass er kein Wegbereiter des Nationalsozialismus war.

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Ich bin zutiefst erschüttert. Sachlich hat ja "rolmengert" ausführlich geantwortet, wobei er die entstellende Rolle der Nietzsche-Schwester nicht erwähnt hat, die ihn auch in der Absicht verfälscht hat, sich bei den Nazis Vorteile zu verschaffen. Nur war Nietzsche da schon tot und konnte sich nicht mehr wehren. Nicht mal Jesus konnte sich wehren, als Kriegsgott missbraucht zu werden.

Erschüttert bin ich, wenn ich sehe, wie momentan das Gift, das die Nazis in die deutsche Geschichte und Kultur eingestreut haben, fleißig umgerührt wird, damit es schön weiter auch in die Vergangenheit unsere Kultur vergiften kann. Das ist der Oberflächlichkeit und leichtsinnigen Verallgemeinerung geschuldet, mit der das Besondere der Naziideologie verschüttet wird. Da kann sich jetzt im Lutherjahr nicht mal Luther dagegen wehren, zum Vorläufer der Nazis gemacht zu werden. Der Nazidämon wird heraufgekitzelt und alle sind infiziert, außer den Dämonbeschwörern nicht. Ich finde, wer so fahrlässig das Nazigift aufkocht, macht sich schuldig, die fiese Ideologie der Nazis am Leben zu halten. Aber die Nazikeule zu schwingen ist ja leichter, als sich konkret mit den anstehenden Problemen auseinanderzusetzen.

Nietzsche ist ein sehr ergiebiger Philosoph, geschätzt in Italien, in Frankreich von den Existentialisten, die selbst von der Mordlust der Nazis betroffen waren. Bei Camus kann man in seinen Beiträgen lesen, wie schwer es ihm gefallen ist, mit Deutschland Frieden zu schließen, denn immerhin sind seine besten Freunde ermordet worden. Dennoch ist es ihm nie eingefallen, Nietzsche als Naziphilosophen zu lesen. Den Gefallen hat er den Nazibrunnenvergiftern nicht getan. Wie kann man Hitler und seine verqueren Vorlieben zum Maßstab machen? Ist das Feuer prinzipiell schlecht, nur weil es der Teufel liebt? Die Wertungen Hitlers sind für mich ein Dreck. Wie kann man diesem Kerl auch noch den Gefallen tun und die Ehre geben, dass sein Schmutz über seinen Tod hinaus wirksam bleibt? Ich versteh das nicht!

lucian6994 
Fragesteller
 04.03.2017, 15:04

Du bringst es auf den Punkt. Jetzt wird mir einiges klarer. Danke.

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savagedog  14.02.2019, 00:05

Absolut gleicher Gedanke als ich die Frage gelesen habe... Da sieht man was Medien und Politik für Samen in die Köpfe der Menschen pflanzen...

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Ich habe bisher nie Nietzsche gelesen, würde aber gerne eine ganz persönliche Meinung lesen, ob das empfehlenswert wäre. Einer meiner Freunde (definitiv kein Anhänger der Nazis, eher im Gegenteil) verwies mich öfter auf "Also sprach Zarathustra", verwies auf die Frage, ob es ein "gut" und "böse" gibt und verwies mich an Nietzsche. Ich gebe zu, dass ich da etwas ahnungslos bin (immerhin besser, als ohne Ahnung zu urteilen ;-)) Aber ist Nietzsche empfehlenswert zu lesen?

Kanatar  04.03.2017, 09:54

Nietzsche ist sehr interessant zu lesen. Zarathustra beinhaltet viele Ideen von ihm und kann auch ohne Vorwissen gelesen werden. Wenn man Gefallen daran gefunden hat, kann man auch die Biographie die Herr Safranski schrieb lesen, um Nietzsche noch etwas besser zu verstehen.

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Ich lese gern Nietzsche und finde, dass seine Literatur von den nazis missbraucht wurde. Adolf Hitler z.B. hat vermutlich keine einzige Seite von nietzsche gelesen, und trotzdem so gemacht als hätte er irgend eine Ahnung von Nietzsche.

Nicht nur Nietzsche, sondern auch Hegel oder Goethe fanden die Nazis gut, aber das stört niemanden.

Nietzsche war mit Sicherheit kein Nazi.

Aber seine Auffassung vom "Übermenschen", dem er auf Grund seiner geistigen und körperlichen Überlegenheit eine höheres Daseinsrecht habe als andere, und zwar ungeachtet seiner moralischen Auffassungen, ist schon wegweisend für die nationalsozialistische Rassenideologie. Die Rassenideologie der Nazis war zwar kein direktes Produkt der Philosophie Nietzsches, hat daraus aber wesentliche Impulse und gewissermaßen eine intellektuelle Legitimation entnommen.