War der zweite Punische Krieg ein gerechter Krieg (bellum iustum)?

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Das Geschehen kann nach dem Maßstab der von Cicero dargestellten Theorie des gerechten Krieges (bellum iustum) überprüft werden.

Anforderungen sind (Marcus Tullius Cicero, de officiis 1, 34 – 40):

  • förmliche Androhung und Kriegserklärung (bellum iustum bedeutet vor allem einen regelgerechten Krieg)

  • von politisch Zuständigen geführter Krieg

  • Reaktion auf ein vorangegangenes erlittenes Unrecht/einen vorangegangenen erlittenen Schaden

  • erst nach dem Scheitern von Verhandlungen, in denen Genugtuung/Wiederherstellung des verletzten Rechtszustandes gefordert worden ist, geführt (als letztes Mittel, wenn kein anderer Weg zur Durchsetzung der Rechtsansprüche möglich)

Als Rechtsverletzungen, die einen Krieg als letzte Zuflucht rechtfertigten, haben die Römer vor allem beurteilt:

  • Angriff auf Rom/römisches Gebiet

  • Angriff auf römische Verbündete

  • Vertragsbruch

  • Abfall von einem Bündnis

  • Unterstützung für Feinde Roms, die sich im Krieg mit den Römern befanden

  • Verweigerung der Auslieferungen von Personen, deren Auslieferung als am solchen Vorgängen Schuldige die Römer gefordert hatten

Die Überlieferung über die Vorgeschichte und die Gründe des Zweiten Punischen Krieges enthält eine Anzahl von Unklarheiten und der genaue Ablauf ist nicht immer ganz sicher. Eine Darstellung von karthagischer Seite ist nicht erhalten. Die Darstellungen von römischer oder eher romfreundlicher Seite haben anscheinend manche Dinge verschleiert oder umgebogen. An der Darstellung ist manches nicht stimmig und überzeugend zusammenpassend. Daher stehe nicht alle wichtigen Tatsachen völlig sicher fest.

Umstritten sind in der Forschung beispielsweise Authentizität, Inhalt und Grad der Verbindlichkeit eines Vertrages, den die Römer 226 mit Hasdrubal abschlossen (Hasdrubal-Vertrag, Feldherrnvertrag oder Ebrovertrag genannt), die Lage des Iber-Flusses (ist eine Gleichsetzung mit dem heutigen Ebro richtig oder nicht? – davon hängt ab, ob Sagunt südlich davon liegt), das genaue Verhältnis der Stadt Sagunt zu Rom und der Zeitpunkt, seit dem es bestand, sowie die genaue Chronologie, vor allem in Bezug auf das zeitlich Verhältnis bei der Belagerung Sagunts, der römische Gesandtschaft in Karthago und der Kriegserklärung und dem Überschreiten des Iberflusses durch Hannibal mit einem karthagischen Heer.

Polybios 3, 30 und Livius 21, 16, 2 haben die Stadt Sagunt als Verbündeten (σύμμαχος/socius) Roms dargestellt. Ein offizielles Bündnis (foedus) hat es aber wohl nicht gegeben, ebensowenig eine formelle Übergabe als Schutzbefohlene. Möglicherweise bestand erst seit wenigen Jahren loses Freundschaftsverhältnis (amicitia) zwischen Sagunt und Rom (wobei Rom anscheinend in einer Rolle als Vermittler/Schiedsrichter – von einer Seite angerufen? - in einem inneren Streit an der Ausschaltung karthagofreundlicher Männer beteiligt gewesen ist).

Unter der wahrscheinlichen Voraussetzung, mit dem Iber-Fluß sei der Ebro gemeint, hatten die Römer nach dem „Ebrovertrag“ keinen rechtsgültigen Anspruch, ein Fernhalten der Karthager von Sagunt zu verlangen. Sagunt hatte durch einen Angriff auf einen mit Karthago Verbündeten iberischen Stamm ein Vorgehen Hannibals herausgefordert.

Hannibal hat wahrscheinlich (Angaben bei Polybios 3, 34, 5 und 3, 40, 2 sprechen dafür) den Ebro erst nach der römischen Kriegserklärung überschritten.

Die römische Seite (z. B. Livius 21, 18, 1) hat den von den Römern geführten Krieg als gerechten Krieg hingestellt. Formal ist der Krieg regelgerecht eröffnet worden, aber die inhaltlichen Begründungen der Römer sind nicht überzeugend.

Albrecht  10.09.2011, 05:33

Pro-Argumentation:

  • formal regelgerechter Krieg (Kriegserklärung, Beendigung mit einem Friedensvertrag)

  • von Senat und Volk in Rom (Senatus Populusque Romanus) geführter Krieg

  • vorausgehende Verhandlungen durch römische Gesandtschaften an Hannibal und an die Ratsversammlung in Karthago und Kriegserklärung erst nach Scheitern

  • Angriff Hannibals/Karthagos auf Sagunt (Belagerung und Eroberung), einen römischen Verbündeten

  • Vertragsbruch aufgrund eines Überschreiten des Ebros

  • Ablehnung der von den römischen Gesandten verlangten Auslieferung Hannibals und seiner Ratgeber durch die Ratsversammlung in Karthago

Kontra-Argumentation:

  • Fehlen einer tatsächlichen unrechtmäßigen Schädigung Roms durch Hannibal/Karthago

  • Scheitern der Verhandlungen durch unberechtigte und zu weitgehende Forderungen der Römer verursacht

  • starke Einmischung der Römer in den karthagischen Einfluß- und Herrschaftsbereich in Iberien (wenn die Römer nach Belieben jemand zum Freund und Bundesgenossen erklären und karthagische Aktionen gegen diese verbieten konnte, drohte den Karthagern der Einsturz ihrer Stellung, was das Ausmaß des für eine Großmacht Hinnehmbaren deutlich überschritt)

  • Sagunt war kein Bundesgenosse Roms, weil kein offizielles Bündnis bestand, nur ein lockeres Freundschaftsverhältnis, außerdem konnten nur in einer Liste zum Friedensvertrag 241 v. Chr. (Lutatius-Vertrag) genannte Bundesgenossen Roms und Karthagos Anspruch auf Schutzsicherheit haben; die Römer haben während der 8 Monate der Belagerung militärisch nichts zur Unterstützung Sagunts unternommen

  • kein Angriff auf Rom/römisches Gebiet durch Hannibals vor Ausbruch des Krieges, die Römer waren nicht die Angegriffenen

  • Überschreiten des Ebro erst nach der Kriegserklärung

  • Politik römischer Expansion (bald nach Ende des Ersten Punischen Krieges hat Rom schon in Ausnutzung einer Notlage die Inseln Korsika und Sardinien besetzt und Karthago zur Zahlung von 1200 Talenten genötigt; die Römer haben in der Folgezeit eine Herrschaft in Iberien errichtet, die sich immer mehr ausdehnte, unter Unterdrückung und Ausbeutung – z. B. Bereicherung an Bergwerken für Gold-, Silber, Kupfer und Eisenvorkommen)

In Büchern stehen Überlegungen, aus denen Argumente gewonnen werden können, z. B.:

Jochen Bleicken, Geschichte der römischen Republik. 6. Auflage. München : Oldenbourg, 2004 (Oldenbourg-Grundriss der Geschichte ; Band 2), S. 45 – 46 und S. 155 – 158

S. 45 – 46: „Nach dem Tode Hasdrubals (221) wurde der 25jährige Sohn Hamilkars, Hannibal, dessen Nachfolger. Hannibal setzte die kriegerischen Operationen seines Vaters energisch fort, eroberte weite Gebiete Innerspaniens und bemächtigte sich u. a. nach achtmonatiger Belagerung im Spätherbst 219 der Hafenstadt Saguntum, die südlich der Mündung des (nördlichen) Ebro lag und schon aus der Zeit vor dem Ebro-Vertrag mit Rom verbündet war. In der Forschung ist umstritten, ob die Eroberung Sagunts die Römer zur Kriegserklärung veranlaßte, wie diese es später darstellten und damit den Krieg, weil wegen eines Bundesgenossen geführt, als ‚gerechten Krieg‘ (bellum iustum) hinstellten, oder ob die Überschreitung des Ebro durch Hannibal und also die Verletzung des Ebrovertrages nicht eher der unmittelbare Anlaß bildete. Wie immer es damit steht: Die Römer waren offensichtlich entschlossen, den karthagischen Expansionsdrang in Spanien zu bremsen. Als eine römische Gesandtschaft in Karthagos die Auslieferung Hannibals und die Karthager dies ablehnten, damit also das Verhalten Hannibals deckten, erklärten die Römer den Karthagern den Krieg. Die Römer haben diesen ihren größten und für die weitere Geschichte der Mittelmeerwelt folgenreichsten Krieg demnach nicht als Angegriffene begonnen.“

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Albrecht  10.09.2011, 05:36

Werner Huß, Die Geschichte der Karthager. München : Beck, 1985 (Handbuch der Altertumswissenschaft : Abteilung 3 ; Teil 8), S. 284 – 293

S. 291 – 293: „So scheinen die Saguntiner weder dediticii noch socii der Römer gewesen zu sein. Das zwischen Rom und Sagunt bestehende staatsrechtliche Verhältnis war vermutlich nur das Verhältnis einer amicitia.

Wie bereits angedeutet, ist aber durchaus mit der Möglichkeit zu rechnen, daß die Römer während der diplomatischen Vorgeplänkel des Krieges den Titel socius in die Diskussion einführten und dadurch römisch-saguntinische Verhältnis enger faßten, als es von den rechtlichen Voraussetzungen her möglich war. Dieses Vorgehen würde auch erklären, warum damals - auf der Grundlage des Lutatius-Vertrages – eine Frage über die beiderseitigen Bundesgenossen geführt wurde. Da die römischen Diplomaten mit dem Hasdrubal-Vertrag nicht operieren konnten - dies war ihnen so klar wie ihren karthagischen Gegenspielern - , zogen sie den Lutatius-Vertrag als Diskussionsgrundlage heran; denn dieser Vertrag enthielt eine Garantieerklärung für die Sicherheit der Bundesgenossen beider Vertragspartner. Offensichtlich versuchten die karthagischen Senatoren nicht, die Behauptung zu widerlegen, daß die Saguntiner socii der Römer gewesen waren – wie hätte dies ihnen auch möglich sein sollen? - , sondern begnügten sich damit, den Nachweis zu erbringen, daß der Name der Saguntiner nicht in der Liste der Bundesgenossen enthalten war, die dem Lutatius-Vertrag beigefügt worden war. Offenbar hielten sie diesen Nachweis als Rechtfertigung ihres Vorgehens gegen Saguntum für hinreichend. Und es hat den Anschein, als habe ihre Argumentation die römischen Gesandten nicht unbeeindruckt gelassen; denn diese verzichteten auf eine weitere Erörterung der Rechtslage.

Aus den bisherigen Ausführungen ist zu ersehen, daß die Römer keinen Grund, der vor den Normen des internationalen Rechts hätte bestehen können, namhaft machen konnten, als sie i. J. 218 in den Krieg eintraten, der über die Herrschaft über die Länder des westlichen Mittelmeers entscheiden sollte. Diese schlichte Tatsache wurde aber durch die Aussagen römischer Politiker und Historiker vernebelt, die es zum einen für inopportun hielten, die ungeschminkte Wahrheit zu sagen, und die zum anderen von der ideologisch begründeten Überzeugung durchdrungen waren, nach der jeder Krieg, den Rom führte, ein bellum iustum war. Daher sind die Aussagen der den römischen Standpunkt vertretenden antiken Autoren über die Gründe, die zum 2. Römischen Krieg führten, wenig hilfreich.

Wenn aber die Römer sich gezwungen sahen, vor dem Ausbruch des Krieges mit einem juristischen Scheingrund – der angeblich bestehenden Bündnispflicht gegenüber Saguntum - zu operieren, dann zeigt dies nicht nur, daß sie sich der Unrechtmäßigkeit ihres Tuns bewußt waren, sondern läßt auch ahnen, daß sie sich über die weitreichenden Folgen ihres Entschlusses völlig im klaren waren.“

Jakob Seibert, Hannibal. Darmstadt Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1993, S. 63 – 87 (hält das römische Verhalten nicht für einem gerechten Krieg entsprechend)

Klaus Zimmermann, Rom und Karthago. 2., durchgesehene Auflage. Darmstadt : Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2009 (Geschichte kompakt : Antike), S. 42 – 67 (beurteilt das römische Vorgehen als Streben nach Expansion und aggressiv)

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Konstantin51382  13.11.2023, 20:40
@Albrecht

Kurze Frage, hast du den Text, der ganz oben in deiner Antwort steht, selbst geschrieben? Wenn ja hat mein Lehrer Abschnitte von dir übernommen, aber ohne Quellenangabe. Und danke übrigens für diese Antwort zu den Punischen Kriegen, hoffe ich habe sie soweit verstanden. Nur mit der Sagunt-Klausel komme ich nicht so gut zu recht, falls es die tatsächlich gegeben hätte.

„Also habe ich richtig verstanden, dass die Römer argumentierten, die Punier hätten mit der Eroberung Sagunts - anscheinend ein römischer Bundesgenosse - einen Vertragsbruch begangen, denn aufgrund der Sagunt-Klausel gehörte die Stadt, obwohl sie südlich des Ibers und damit in der punischen Zone liegt, nicht den Puniern. Sie wurde mit dieser Klausel den Römern zugeschrieben.

Wobei auch ungeklärt ist, welcher Fluss mit dem antiken Iber tatsächlich gemeint ist, was die Frage, ob die Klausel existiert hat, überflüssig machen könnte. Andererseits ist auch umstritten, ob die Punier den Ebro-Vertrag überhaupt ratifiziert haben. Hätten sie das nicht, dann würde der erste Friedensvertrag gelten, nach dem römische Bundesgenossen nicht angegriffen werden dürfen. Sagunt war aber bei Schließung des Vertrags nachweislich kein Bundesgenosse.

Insofern ist unklar, wer tatsächlich Schuld an dem Krieg ist.“

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Albrecht  13.11.2023, 22:24
@Konstantin51382

Die Antwort habe ich selbst geschrieben. Wo in Kommentaren etwas aus Büchern übernommen ist, sind diese angegeben und das Zitat mit Anführungszeichen gekennzeichnet.

Von römischer Seite ist anscheinend 219/218 v. Chr. bei der Forderung, die Belagerung der Stadt Sagunt durch das karthagische Heer zu beenden, mit einer freundschaftlichen Verbindung Roms zu Sagunt argumentiert worden. Vielleicht hat es damals auch schon auch römische Versuche gegeben, Sagunt als römischen Bundesgenossen darzustellen. Aus den Quellen ergibt sich bei einer Überprüfung mehr ein Eindruck, tatsächlich sei Sagunt kein formeller Verbündeter Roms gewesen. Später ist allerdings von Römern so etwas behauptet worden und  Hannibal und den Karthagern auch unter Berufung darauf Unrecht vorgeworfen worden.

Eine Sagunt-Klausel mit einem Inhalt, der Sagunt trotz einer Lage im karthagischen Einflussbereich Freiheit und Unabhängigkeit zusicherte, halte ich für eine spätere römische Erfindung. 219/218 v. Chr. haben somit die Römer nicht mit einer solchen Klausel argumentieren können.

Polybios 2, 13, 7 erklärt, in den Vereinbarungen der Römer mit Hasdrubal sei das übrige Iberien (außer dem Fluss Iber als eine Grenzlinie) nicht erwähnt worden. Der eher romfreundliche griechische Geschichtsschreiber Polybios hätte eine echte Sagunt-Klausel nicht einfach unterschlagen.

Einige spätere römische Autoren behaupten eine Sagunt-Klausel. Dies wirkt wie ein Ergebnis eines Bedürfnisses, die römische Rechtsposition aufzuschönen.

Der genaue Schuldanteil an dem Krieg ist nicht so klar zu bestimmen. Die Urheberschaft liegt meines Erachtens in der Hauptsache bei Rom, weil die Kriegserklärung von den Römern kam und die Römer sich stark in den karthagischen Einflussbereich eingemischt haben.

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Für die gerechtigkeit des Krieges: -Hanibal hat ohne eigentlichen Grund, aus purem Hass, die Römer angegriffen, welche sich verteidigt haben -Karthago musst seine Kolonien in Spanien verteidigen, da die Römer diese wohl auch angegriffen hätten

Dagegen: - Die Römer hatten vorher aus nichtigem Anlass Krieg gegen die Karthager geführt(1. Punischer Krieg) - Am Ende wurden den Karthagern hohe Tribute und nahezu nichteinhaltbare Bestimmungen auferlegt -Die Römer töteten und versklavten die Karthagische Zivilbevölkerung, was die Karthager nicht mit der ihren getan hatten

Anmerkung -Da Cicero Römer war, die Römer den Krieg gewannen und Cicero lange nach dem Krieg lebte, ist seine Theorie alles andere als verlässlich.

Fazit: Cicero hatte unrecht, es war ein ungerechter Krieg