Vom Angstpferd zum Verlasspferd?

8 Antworten

Meint ihr dass kann generell immer funktionieren?

Kommt auf´s Trauma an und was mit dem Pferd passiert und gemacht wurde. Kann funktionieren, aber eine Garantie dazu gibt es definitiv nicht und schon gar nicht immer und in jedem Fall.

Oder gibt es einfach Pferde die Ängstlich bleiben?

Vieles kann man mit Vertrauen und Dressur wieder gerade biegen, aber eben nicht alles.

Schaue ich mir meinen Hengst an, der nun seit 7 Jahren bei mir ist, muss ich ehrlich sagen, er hat sich um 180° gedreht und dennoch hat er manchmal Aussetzer, die wie aus dem Nichts kommen. Das kann eine schwarze Gerte sein, die irgendwo rum liegt, das kann ein Müllsack sein der verdächtig an der Ecke lauert oder ein "fleischfressender" Schmetterling, der vor den Nüstern vorbei fliegt.

Mein Schecke ist ein Traumahengst, er wird 2x die Woche professionell beritten und ich nehme auch guten Reitunterricht mit ihm. Meist schafft er die gestellten Aufgaben mit Bravour, sogar unterm Damensattel legt er S-reife Lektionen an den Tag OHNE, dass er damit überfordert wäre.

Dennoch, ein Verlasspferd der einen quasi nach Hause trägt, so wie meine Kalte wird er nie werden. Zu viel musste er mitmachen in seinen ersten 5 Lebensjahren, zu viele Menschen haben ihn körperlich und seelisch verletzt und von daher bin ich auch eher nachsichtig mit ihm, wenn er heute mal keine Lust hat, konzentriert mitzuarbeiten, wenn es zu arg regnet und der Wind an der Halle rüttelt.

Er kam zu mir, da war er fünf. Eine Bereiterin hatte mir von dem Barockpinto erzählt, der nun zum Schlachter kommen sollte, denn niemand wurde mit ihm fertig. Wir fuhren zu dem Hof, wo eben er zu der Zeit stand und ich war beeindruckt von der Eleganz, der Schönheit und dem Schwung, den dieses Pferd an den Tag legte. Der Mann, der ihn ritt hatte ihm ein Pelham mit Ausbindern (!!!) in´s Maul geklatscht, ich konnte das Weiße in den Augen sehen und die Schmerzen fühlen, die das Tier aushalten musste. Es war die Angst, die ihn zum Durchgehen brachte.

Der Schlachter/Abdecker war bereits an der Bande gestanden, neben ihm der Bolzenschußapparat. Ich entschloß mich, ihn zu kaufen. Es war auch ein wenig ein Mitleidskauf,das gebe ich ganz offen zu. Er wurde nie gelegt, musste in der hintersten Box ohne Weide und soziale Kontakte dahinvegetieren, keiner streichelte ihn, keiner kümmerte sich um ihn, keiner wollte mit ihm was zu tun haben.

Bis der Hengst in meinem Hänger war, hatte ich drei gebrochene Finger, zwei angeknackste Rippen und einen Bänderriss im rechten Unterschenkel.... Zu Hause angekommen, haben wir ihn zuerst separat gestellt, nach 7 Tagen kam er dann zu den anderen Hengsten und er war wie ausgewechselt. Er hat gelernt, sich unterzuordnen und auch sich durchzusetzen, hat Kumpels gefunden und er erfreut sich an seiner neuen Freiheit im Offi.

Das Vertrauen wuchs langsam, nachdem einfach auch für ihn Routine eingekehrt war, das Futter verlässlich immer zur selben Zeit kam, zur selben Zeit abgemistet wurde und er auch merkte, dass man ihm hier nichts böses will, er darf Hengst sein.

Heute ist er immer noch mißtrauisch, gerade wenn fremde Männer auf ihn zu gehen oder ihm eineSituation unheimlich ist. Das ist in Ordnung, denn wir haben´s eh weit geschafft, wenn auch mit wesentlich mehr Zeit und Engagement, wie man´s normal für ein Pferd braucht.

Ich akzeptiere ihn so, wie er mittlerweile ist, auch wenn er mich manchmal zur Weißglut treibt ;-)

Er ist mein Salamigalopper (Kosename, den mein Mann ihm verpasst hat), hat mich oft "verloren", ich bin ihm nicht böse, eher dankbar dass ich auch an mir arbeiten konnte.

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So kann´s laufen, wenn man viel Zeit, Geduld und auch Geld investiert. Ansonsten rate ich jedem der hauptsächlich auf´s Reiten/Fahren scharf ist, sich ein "normales" Pferd zu kaufen, denn in einer Relation steht das nicht mehr, für das, dass man hernach immer noch auf einer Zeitbombe hockt. Das hat auch nix mit irgend welchen Wendy-geschichten zu tun, denn bis man da am Ziel ankommt (oder auch gar nicht), vergehen Jahre und gehen einige tausend Euro über die Theke.

Machbar ist es, aber es ist teilweise sehr schwer und deprimierend.

Woher ich das weiß:Berufserfahrung – Dressur bis Klasse S*, über 30 Jahre Erfahrung
VanyVeggie  24.01.2018, 21:52

Sehr schön beschrieben! :)

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Das kommt drauf an, was man als Verlasspferd bezeichnet. Meiner ist früher im Gelände durchgegangen, hat sich losgerissen etc. Mittlerweile kann man überall hin reiten, auch durch die Stadt und über Autobahnbrücken und auch zu Fuß bleibt er zu 99% höchstens stehen und glotzt.

Da meiner allerdings schwer traumatisiert war, wird immer die kleine Restgefahr bleiben, dass es ihm doch den Schalter raushaut.

Und wie hier schon geschrieben wurde - man muss der Typ dafür sein.

Mit "normalen" Pferden, die einfach nur ängstlich sind, würde ich behaupten, dass der richtige Mensch ein Verlasspferd draus machen kann, ja.

ich sag mal so: im prinzip kann es funktionieren. mit der richtigen person. das heißt noch lange nicht dass das pferd nach einem guten trainer beim besitzer genauso brav ist. man muss einfach dieses gewisse gefühl und einschätzungsvermögen besitzen. meiner meinung nach spielt es eine sehr große rolle, was anfangs mit dem pferd gemacht wurde. fohlen und jungpferde die oft mit ins gelände genommen wurden und sofort mit allem konfrontiert wurden, sind "meist" die ruhigeren.

Hallo,

das kann durchaus funktionieren. Kommt immer aufs Pferd an, manche können mit der richtigen Führung ein Verlasspferd werden. Es gibt aber auch Pferde, die haben von Natur aus ein eher scheueres Gemüt.

Man kann eine Menge Eigenschaften von sich selber aufs Pferd übertragen - bin ich denn auch der Verlassmensch für mein Pferd? Ich kann schließlich nicht von meinem Pferd erwarten, dass es mir folgt während ich Angst ausstrahle und ihm keine Sicherheit biete. Woher soll das Pferd dann Gelassenheit nehmen? Wie man so schön sagt: "Das Pferd ist dein Spiegel" - sei ein guter, gelassener, empathievoller, konsequenter Partner und dein Pferd wird es auch sein.

Oder möchtest du damit traumatisierte Pferde ansprechen? Das wäre dann nochmal eine ganz andere Nummer...

Mit freundlichen Grüßen

VanyVeggie

Nimaia 
Fragesteller
 22.01.2018, 20:29

hallo :) vielen Dank für die Antwort. nein, es geht um kein traumatisiertes Pferd, sondern um eine 5-jährige Stute, mit der einfach noch nicht viel gemacht wurde. sie lässt sich führen, es ist wohl schon auch Mal wer draufgesessen aber so im Umgang dich eher ängstlicher (bis jetzt aber immer kontrollierbar) da ich momentan auf der Suche nach einem zweiten Pferd bin, bin ich am überlegen, da sie so im umgang eine ganz liebe ist, aber doch irgendwie komplett anders wie mein 10 jähriger Wallach, den ich schon von Fohlenalter an habe. ich bin auch eher Ter Typ für ruhigere Pferde, was nicht heißt, dass ich mit schwierigeren und nervösen Pferden nicht klar komme (auch mit denen habe ich viel Erfahrung) aber mir sind die gemütlichen eigentlich lieber. und bei der Stute habe ich eigentlich schon das Gefühl, wenn sie eine Bezugsperson hat und Vertrauen fasst, dass sie sich auch in dieser Richtung bewegt

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Jain.

Ich glaube schon dass man ein "Problempferd" insofern korrigieren kann dass es wieder mehr Vertrauen zum Menschen, wieder mehr Sicherheit, Verlässlichkeit etc. bekommt und sich dann immer mehr in Richtung Verlasspferd entwickelt.

Ob ich auf so ein Pferd dann aber z.B. einen sehr unsicheren Reiter draufsetzen würde weiß ich nicht. Ich glaube dass solche Pferde dann schon Reiter brauchen die ihnen die Sicherheit geben können die sie brauchen. Meisten entwickeln solche sich dann auch eher zu 1-Mann Pferden.

Ist aber natürlich alles immer sehr individuell vom einzelnen Pferd abhängig - eine Pauschalaussagen würde ich da nicht treffen wollen.