Sind Azubis zu Geldgierig?

12 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Als ich 1992 meine handwerkliche Berufsausbildung begonnen habe hieß es noch das Handwerk Goldenen Boden hat. Aus meiner damaligen Abschlußklasse haben nahezu alle Jungs einen handwerklichen Beruf gewählt. Im kaufmännischen Bereich wurden seinerzeit Auszubildene gesucht weil keiner ins Büro wollte. Also war es im Prinzip genau anders herum als heute.

Damals wollten alle - oder die meisten - KfZ-Mechaniker (heute KfZ-Mechatroniker) werden weil sie was mit Autos zu tun haben wollten. Den war es egal das die in einer Grube standen und die Hände voll mit Öl, Schmierfett u.ä. hatten. Es gab unter den Jungs meiner Abschlussklasse aber auch Dachdecker, Maurer, Elektriker, Tischler. Die Berufsausbildung als Maurer (heute Maurer - und Betonbauer) war zu der Zeit die mit dem höchsten Verdienst.

Da gab es damals schon im 1. Lehrjahr über 1000 DM was ein absoluter Knaller war. Als Azubi zum Gas -und Wasserinstallateur habe ich im 1. Lehrjahr um die 850 DM bekommen. Auch schon nicht schlecht. Im Büro gab's weniger. Diese Jobs waren einfach gefragt, gesucht und heiß begehrt. Heute - und da schließe ich mich zum Teil den Antworten hier an - will sich wirklich keiner mehr die Hände schmutzig machen und dreckig nach Hause kommen.

Keiner will im Sommer bei über 30° als Dachdecker auf dem Dachstehen stehen, oder bei Regen und kalten Temperaturen als Elektriker im Neubau ohne Fenster Leitungen verlegen, oder sich mit dem Hammer auf die Pfoten kloppen. Das Geld kann heute wesentlich leichter Verdient werden. Hätte mir damals z.B. jemand gesagt das es mal einen Job wie Influencer gäbe, die zum Teil ne Menge Geld vom Sofa für's quasi nix tun kassieren hätte ich ihm nen Vogel gezeigt.

Es sind heute andere Zeiten, andere Umstände, andere Zustände. Das hat nichts mit Geldgierig zu tun. Es ist einfach der Wandel der Zeit. Die Welt dreht sich eben weiter. Und zum kleinen Teil sind viele Kids häufig auch gar nicht mehr in der Lage ne handwerkliche Ausbildung zu machen. Die können mit ihrem Smartphone bestimmt Sateliten in der Umlaufbahn hacken, Wissen aber nicht was ein Messschieber oder eine 13er Nuss ist, wie man bei einer Bohrmaschine mit Schnellspannfutter den 8er Steinbohrer einsetzt und ein Loch in die Wand bohrt

Und viele brechen schon zusammen und heulen rum wenn sie eine Kiste Wasser tragen müssen. Oft sind es auch absolute Rotznasen die sofort Austicken und sich nichts sagen lassen. Das wäre damals wie heute im Handwerk gelinde gesagt Ungünstig. Auf dem Bau z.B. geht's da schon anders zu als in klein Johnny's Zimmer vor der PS5 wo Mama dann noch das Nutella Schnittchen schmiert.


Lottl07 
Fragesteller
 14.10.2021, 00:08

Da kann ich dir nur bepflichten, gerade die zwei letzten Abschnitte deiner Antwort. Wenn ich lese 1000DM, gut das war schon 92, aber doch schon recht viel. Bei mir war es 35DM im Jahr 63 und das lag auch unter dem Lehrgeld von einem Schreiner.

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AlterHaudegen75  14.10.2021, 00:36
@Lottl07

1000 DM waren ein echter Hammer. Und überhaupt, wenn wir zur Berufsschule mussten konnte man genau sehen wer zum kaufmännischen Gebäude gehen muss und wer zum technisch-gewerblichen Gebäude. Denn die hatten schon mitte des 1. Lehrjahres fast alle 1 Auto. Gut, heute würde da wahrscheinlich kein Kid von heute mehr Einsteigen, aber in meiner Berufsschulklasse gab es welche die z.B. einen älteren Ford Fiesta, Opel Ascona, VW Polo ll und Golf ll (einer fuhr sogar einen Golf ll Synchro), VW Derby, Datsun Sunny... Ich hatte zuerst einen lind-grünen 4-Türigen Audi 80 B2 aus 1983 mit 90 PS. Mit dem war ich ganz weit vorne..

Die anderen hatten alle zwischen 50/55, 75, 80 PS.. Einer hatte mal satte 120 PS. Damals ein Rennwagen. Wenn die Karren kaputt waren haben wir die alle Samstags Nachmittags im Schuppen oder Garage und dem Handbuch in der Hand selber wieder fit Geschraubt. So lange bis das Ding wieder fuhr. Aber es gab natürlich keine Klimaanlage, Servolenkung, Soft-Close Doors, Einparkhilfen und ein Radio mit USB-Schnittstelle damit man per Smartphone seine YT-Playlist zu hören konnte gab's auch nicht weil keiner ein Scheiss Smartphone/Handy hatte. Und wer oder was war YouTube?

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Keine Ahnung wo du die Ausbildungsvegütung her bekommst. Mein Sohn ist gerade in Ausbildung als Lagerlogistiker, da ist die Vergütung höher. Er hatte auch ein Angebot als Gebäudeelektriker, auch da lag die Vergütung höher.


Lottl07 
Fragesteller
 13.10.2021, 23:11

Das ist schön, freut mich und woher ich die Zahlen habe, das kam gerade vor etwa 10 min im TV. Da ging es um Handwerker die überall dringend gesucht werden.

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Man muss unterscheiden.

Es gibt die die nur auf die Ausbildung schauen und vergessen das die zum einen irgendwann endet und zum anderen das z.b. Studenten und Schüler nicht bezahlt werden und auch einen ähnlichen Zeitaufwand leisten. Die schauen mehr aufs Geld jetzt als auf die Zukunft.

Die anderen schauen weiter, sehen die gehälter und haben ggf keine Lust erst nen Meister zu machen (inkl. der Verantwortung) um in die richtig guten Gehaltsklassen zu kommen.

Ersteres ist kurzsichtig, letzteres Legitim.

Vielleicht ist man in der heutigen Zeit einfach nicht mehr so sehr dazu bereit, sich für einen Hungerlohn ausbeuten zu lassen? Irgendwie müssen Rechnungen, Essen und die Miete auch bezahlt werden, mit 1800€ brutto geht das jedenfalls nur als Single. Und selbst dann muss man darauf achten, dass man möglichst nicht in einer Großstadt wohnt, was ein Auto schon fast verpflichtend macht. Auch das kostet.

Würden die Betriebe einfach mal vernünftig bezahlen, dann würden sie auch Leute finden.


Lottl07 
Fragesteller
 14.10.2021, 22:44

Du meinst also das man als Lehrling schon eine eigene Wohnung hat und Miete zahlen muss, mit 16/17 Jahren? Da stimmt deine Rechnung nicht. Und Rechnungen, Essen, du übertreibst. Und in dem alter fährst du auch kein Auto. Das kannst du dir von deinem Lehrgeld zusammensparen und mit 18, wenn du dann den FS hast kaufen. Und nebenbei, es muss ja kein Porsche sein, ein Kleinwagen reicht für den Anfang nämlich auch.

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Paejexa  14.10.2021, 22:48
@Lottl07

Die Wahrscheinlichkeit, dass man ohne Auto für die Ausbildungsstätte umziehen muss ist hoch. Ganz besonders dann, wenn man nicht in einem Ballungsgebiet zuhause bei den Eltern wohnt und noch kein Auto hat. Also ist das definitiv denkbar. Über die Mieten heutzutage müssen wir wohl nicht sprechen, über die derzeitige Inflation auch nicht

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Lottl07 
Fragesteller
 14.10.2021, 22:56
@Paejexa

Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.

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Weil es nicht das ist was dir die Schule oder deine Eltern idR vermitteln.

Ob Handwerk oder nicht sei mal dahingestellt, aber die Schule hilft gar nicht bei der Interessensfindung. Ein Großteil der Eltern wünscht sich auch von den Kindern, dass diese den akademischen Weg einschlagen, "bequem" und gut bezahlt. Nur wenige Eltern lassen den Kindern freie Wahl und auch wenn es bei einigen so scheint, wird unterbewusst evtl. trotzdem etwas erzwungen. Mittlerweile ist es dann noch so, dass nahezu alle Abitur machen und das einem regelrecht hinterhergeschmissen wird und wenn man schon ein Abitur hat, warum nicht auch studieren gehen?

Finanziell betrachtet hat man während dem Studium die Nase vorn und auch im Anschluss. Bekommst du den Höchstsatz BAföG, bekommst du idR auch mehr wie ein Azubi im ersten Lehrjahr, hinzu kommen 4 Monate Semesterferien und die Möglichkeit Vollzeit in der Zeit zu arbeiten. BAföG gibt es fürs immatrikuliert sein in Kombination mit Eltern die nicht allzu viel verdienen. Für die Ausbildungsvergütung muss man sich 40h abrackern und das nur auf dem Papier, den Überstunden gibt es auch und gute Azubis sind nach dem ersten Lehrjahr schon so gut, dass sie größtenteils die reguläre Arbeit machen, aber im Vergleich dazu trotzdem nichts verdienen. Nach dem Studium ist das Einstiegsgehalt höher und Aufstiegschancen besser.

Hinzu kommt, dass "bequemer" ist, sowohl während dem Studium als auch danach. Warum also ins Handwerk gehen, sich abrackern und dann arm sein, wenn man stattdessen entspannt studieren kann und danach Haufen Kohle scheffeln kann? Ins Handwerk gehen weil's gebraucht wird? Bringt einen persönlich nicht viel, außer dass man leicht genommen wird. Ist es Gier? Logisches Denkvermögen oder Selbsterhaltungstrieb würde ich eher sagen.

Ich habe auch mal studiert, aber abgebrochen, weil ich gemerkt habe, dass es nichts für mich ist. Jetzt mache ich eine Kochausbildung: 6-Tage Wochen, 12+ Stunden Schichten, Pausen: keine. Im Vergleich dazu: ehemalige Kommilitonen die sich über 15 Minuten Überstunden beschweren. Die Grenzen der Legalität sind bei mir schon lange überschritten worden und wenn man das anderen erzählt, dann ist es für die unvorstellbar. Wenn du 100 Menschen in diese Situation bringst, würden 97 kündigen. Warum bin ich noch dabei? Leidenschaft. Und genau das fehlt der Jugend von heute.

Viele wissen gar nicht was sie wirklich wollen und haben auch nie darüber nachgedacht und dann geht man eben stumpf studieren, weil das eine sichere Sache ist. Reich kann man mit Einsatz und kaufmännischem Denken in jeder Branche werden, aber nicht jeder kann das und dann steht man finanziell sicherer als Akademiker.