Seelenmodell von Aristoteles

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Zur Klärung ist als Hauptwerk zum Thema Aristoteles, Πε�?ὶ ψυχῆς (Über die Seele; lateinisch: De anima) heranzuziehen.

1) Annahme der Belebung

Die Annahme der Belebung (nach Auffassung des Aristoteles über die Seele belebe ein hinzutretender unsterblicher Teil, die schaffende Vernunft, die gesamte Geistseele und besonders den empfangenden Geist) ist keine zutreffende Deutung.

Aristoteles bestimmt in einer allgemeinen Darlegung, was die Seele ist, die Seele als Lebensprinzip und Formursache eines Lebewesens.

Die Seele versteht Aristoteles als die erste Entelechie (Verwirklichung/Erfüllung/Vollendung) eines natürlichen, der Möglichkeit nach Leben habenden, mit Organen versehenen Körpers (ψυχή �?στιν �?ντελέχεια ἡ π�?ώτη σώματος φυσικοῦ δυνάμει ζωὴν ἔχοντος Aristoteles, Πε�?ὶ ψυχῆς/Über die Seele/De anima 2, 1, 412 a 27 - 28; �?ντελέχεια ἡ π�?ώτη σώματος φυσικοῦ ὀ�?γανικοῦ Aristoteles, Πε�?ὶ ψυχῆς/Über die Seele/De anima 2, 1, 412 b 5 - 6).

Der Körper/Leib ist der Möglichkeit nach (δυνάμει), was aus ihm in Verbindung mit der Seele wird. Als Verwirklichung (Aktualität) des Körpers ist die Seele dessen (wesensmäßige) Form, Zweck, Bewegungs- und Lebensprinzip.

Aristoteles nimmt eine Stufung von Seelenkräften an:

a) nährende/nährfähige (vegetative) Seele (θ�?επτικὴ ψυχή), zuständig für Ernährung/Stoffwechsel, Wachstum, Fortpflanzung (sie haben alle Lebewesen, einschließlich der Pflanzen)

b) wahrnehmende (sensorische/sensitive) Seele (αἰσθητικὴ ψυχή), zuständig für Sinneswahrnehmung, verbunden mit Empfinden (sie haben Tiere)

c) denkende (rationale) Seele (νοητικὴ ψυχή), zuständig für das Denken (sie haben Menschen)

Nach der von Aristoteles angenommenen Stufenleiter der Natur verfügen die höheren Lebewesen auch über die niederen Lebensfunktionen und verändern sie zugleich nach Maßgabe ihrer höheren Lebensfunktionen. Die Seele ist der Inbegriff der Lebensfunktionen.

Lebewesen wie Pflanzen und Tiere haben nach Aristoteles keine denkende Seele, sind aber beseelt und lebendig. Wenn erst ein schaffender Geist eine Belebung der Geistseele bewirkte, hätten Pflanzen und Tiere keine belebte Seele. Denn dies gehörte zur denkenden Seele, die nach Aristoteles Pflanzen und Tiere nicht haben. Die Annahme steht in Widerspruch zur Lehre des Aristoteles.

Lebewesen sind nach Aristoteles eine zusammengesetzte leib-seelische Einheit. Zwar sind Aspekte der Seele nicht an Körperlichkeit gebunden, aber sie wird von den Sinnen affiziert (ist ihrer Einwirkung ausgesetzt). Der Leib ist von seelischen Vorgängen nicht bloß mitbetroffen, sondern auch an ihnen wesentlich beteiligt. Die Seele ist kein besonderes, körperliches oder unkörperliches Ding, vielmehr der Unterschied zwischen einem toten und einem lebendigen Leib. Die Seele als Ganzes existiert nicht abgetrennt vom lebendigen Leib. Weil sie die Entelechie der leib-seelischen Ganzheit ist, gibt es nach Aristoteles für sie kein vom Leib abgelöstes Dasein. Eine Ausnahme - die nur für einzelne Seelenvermögen, Teile des Ganzen, in Frage kommt - stellt der nicht an ein Organ gebundene Geist dar. Bei ihm ist zwischen einem vergänglichen, an den Körper gebundenen und mit ihm untergehenden und einem körperlosen, daher unvergänglichen und göttlichen, aber auch unpersönlichen/nichtindividuellen Bestandteil zu unterscheiden. An ihm hat die Seele wohl teil, ist aber einzelne Seele nur durch ihre Verbindung mit einem Leib und als einzelne/individuelle folglich mit diesem sterblich (vgl. vor allem Aristoteles, Über die Seele 2, 2, 413 b 24 – 29; 3, 4, 429 b 4 – 5; 3, 5, 430 a 22 – 25).

Aristoteles, Über die Seele 3, 5, 430 a 17 – 18 und 22 – 25 über die Vernunft (νοῦς), die alles wirkt/macht (in der Fragebeschreibung als schaffender Geist bezeichnet) Aristoteles, Über die Seele : griechisch-deutsch. Mit Einleitung, Übersetzung (nach Willy Theiler) und Kommentar hrsg. von Horst Seidl. Griechischer Text in der Edition von Wilhelm Biehl und Otto Apelt, Hamburg : Meiner, 1995 (Philosophische Bibliothek ; Band 476), S. 173:

„Und diese Vernunft ist abtrennbar, leidensunfähig und unvermischt und ihrem Wesen nach in Wirklichkeit.“

„Abgetrennt nur ist sie das, was sie (ihrem Wesen nach) ist, und nur dieses (Prinzip) ist unsterblich und ewig. Wir haben (dann) aber keine Erinnerung, weil dieses leidensunfähig ist, die leidensfähige Vernunft hingegen vergänglich ist, und ohne diese jene nichts (von dem Erinnerbaren) erkennt.“

Albrecht  22.10.2013, 04:50

2) empfangender Geist

Zentrale Aussagen stehen bei Aristoteles, Περὶ ψυχῆς/Über die Seele/De anima 3, 4 – 5, nebst Ergänzungen und zusammenfassenden Bemerkungen 3, 6 – 8. Der Geist/die Vernunft kann sowohl rezeptiv/aufnehmend/empfangend/passiv/erleidend als auch spontan/aktiv/wirkend/tätig sein.

Aristoteles unterscheidet:

a) rezeptiver/aufnehmender/empfangender/passiver/erleidender Geist (νοῦς παθητικός), der Gegenstände nicht in ihrer Materialität, sondern in ihrer (wesensmäßigen) Form aufnimmt

b) spontaner/aktiver/wirkender/tätiger Geist (könnte νοῦς ποιητικός genannt werden, auch wenn Aristoteles nicht genau diesen Ausdruck verwendet)

Aristoteles, Περὶ ψυχῆς/Über die Seele/De anima 3, 5, 430 a 14 – 15: καὶ ἔστιν ὁ μὲν τοιοῦτος νοῦς τῷ πάντα γίνεσθαι, ὁ δὲ τῷ πάντα ποιεῖν, ὡς ἕξις τις, οἷον τὸ φῶς· τρόπον γάρ τινα καὶ τὸ φῶς ποιεῖ τὰ δυνάμει ὄντα χρώματα ἐνεργείᾳ χρώματα.

Aristoteles, Über die Seele : griechisch-deutsch. Mit Einleitung, Übersetzung (nach Willy Theiler) und Kommentar hrsg. von Horst Seidl. Griechischer Text in der Edition von Wilhelm Biehl und Otto Apelt, Hamburg : Meiner, 1995 (Philosophische Bibliothek ; Band 476), S. 173:

„[…] und es gibt eine Vernunft von solcher Art, daß sie alles (Intelligible) wird, und eine von solcher, daß sie alles (Intelligible) wirkt/macht, als eine Haltung, wie das Licht; denn in gewisser Weise macht auch das Licht die Farben, die in Möglichkeit sind, zu Farben in Wirklichkeit.“

Die Vernunft/den Geist der Seele (τῆς ψυχῆς νοῦς) nennt Aristoteles das, womit die Seele nachdenkt und Annahmen macht.

Die Vernunft/der Geist erkennt potentiell (der Möglichkeit nach) und aktuell (der Wirklichkeit/Verwirklichung nach) das Intelligible (Erkennbare/Einsehbare/geistig Erfaßbare).

Vernunft/Geist ist dabei nicht mit Materiellem/Körperlichem zu einer Mischung vermischt.

Vernunft/Geist ist auch ein eigentlich erleidensunfähiges Vermögen. Ihre erste Erfassung des Objekts (des Erkenntnisgegenstandes) ist zwar rezeptiv (aufnehmend) und daher vom Objekt bestimmt und informiert, aber das Erkennen geschieht nicht rein passiv.

Es gibt ein Erleiden uneigentlicher Art, ein nicht-materielles, nicht-physisches. Durch dieses uneigentliches Erleiden gibt es etwas Gemeinsames zwischen Objekt und Erkenntnisvermögen. Die Vernunft/der Geist nimmt von den Dingen die intelligiblen Formen ohne deren Materie auf .

Mit intelligiblen Formen meint Aristoteles durchaus etwas Wesentliches an einer Sache. Der Begriff εἶδος (eidos) bedeutet eine geistig erkennbare Form. Ein davon unterschiedener und εἶδος entgegengesetzter Begriff ist ὕλη (hyle), die Materie, ungeformter Stoff, der nur der Möglichkeit nach etwas Bestimmtes ist. Die Vernunft/der Geist hat die Natur, zum Erkennen vermögend zu sein, das heißt fähig zu sein, von allem Seienden die intelligiblen Formen aufzunehmen und es der Möglichkeit nach zu erkennen. Die Vernunft/der Geist ist aber nichts von dem Seienden in Wirklichkeit/der Wirklichkeit nach, bevor sie/er diese erkennt.

Aristoteles verwendet ein Begriffspaar:

Das Möglichkeitsprinzip ist Dynamis: δύναμις (lateinisch potentia; Möglichkeit; Vermögen, etwas zu werden; Fähigkeit, in einem neuen Zustand überzugehen)

Das Wirklichkeitsprinzip ist Energeia: ἐνέργεια (lateinisch: actus; Ins-Werk-Setzen, Wirksamkeit, Tätigkeit, Verwirklichung/Wirklichkeitsvollendung einer Möglichkeit)

Die Vernunft/der Geist muß nicht in den Dingen sein, sondern die Dinge sind in ihr, aber nur als intelligible Formen, ohne die Materie.

Die Vernunft/der Geist ist vor dem Erkennen/geistigem Erfassen das Intelligible gewissermaßen in Möglichkeit. Aristoteles vergleicht dies mit einer leeren Schreibtafel, auf der noch nichts in Wirklichkeit geschrieben steht.

Dies sollte nicht mißverstanden werden, als gebe es nach Auffassung des Aristoteles keine der Sinneswahrnehmung vorausgehenden Denkprinzipien oder keine anderen Erkenntnisinhalte als durch Sinneswahrnehmung gegebene Erkenntnisinhalte der Erscheinungswelt.

Nach der Lehre des Aristoteles gibt es Objekte, die ohne Materie bestehen und bei denen das vernünftige Erkennende und das Erkannte dasselbe ist, und Objekte, die Materie haben und bei denen das Intelligible nur der Möglichkeit nach da ist.

Die Seele wird in der Erkenntnis den Dingen gleich und zwar ihren erkennbaren Formen nach. Die Vernunft verwandelt sich in einer Angleichung des Subjektes an das Objekt die Objekte an, nimmt sie in intelligiblen Formen an, welche die Objekte in der Seele repräsentieren und auf die erkennbaren Gehalte in den Objekten selbst verweisen.

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Albrecht  22.10.2013, 04:53

Zu der aktiven/wirkenden/tätigen Vernunft gibt es, wie es zu jedem Ding der Natur ein Materialprinzip und ein wirkendes Formprinzip gibt, als Ergänzung eine passive/rezeptive/aufnehmende Vernunft. Die passive/rezeptive/aufnehmende Vernunft ist darin ein Materialprinzip, der aktiven/wirkenden/tätigen Vernunft Denkinhalte als Material zu geben. Sie dient gleichsam als Organ, nimmt die Inhalte auf, an denen die aktive Vernunft tätig ist.

Die aktive Vernunft kann nicht ohne Verbindung mit der passiven Vernunft (die zur Sinneswahrnehmung hin vermittelt) Inhalte gewinnen und sich der mit ihr vollzogenen Erkenntnisse erinnern.

Aufgaben der passiven/rezeptiven/aufnehmenden Vernunft (des empfangenden Geistes) sind also:

  • Verbindungsglied zwischen Sinneswahrnehmung und aktiver/wirkender/tätiger Vernunft

  • Aufnahme der intelligiblen Formen der Dinge, wobei sie eine Veränderung erleidet, indem sie vom Intelligiblen aus den Vorstellungsbildern beeindruckt wird

  • Ermöglichung eines Zugriffs der aktiven/wirkenden/tätigen Vernunft auf Gehalte aus der Wahrnehmung, Erinnerung, Vorstellung, Erfahrung und Meinung

  • Bereitstellung von Denkinhalten als Material für die aktive/wirkende/tätige Vernunft

3) Verbindung zwischen empfangenden Geist und Tierseele

Die passive/rezeptive/aufnehmende Vernunft ist eine Verbindung zur wahrnehmenden Seele und leistet so eine Vermittlung der aktiven/wirkenden/tätigen Vernunft zur wahrnehmenden Seele hin, die auch Tiere haben.

Die passive/rezeptive/aufnehmende Vernunft nimmt durch ein Erleiden aus Vorstellungsbilden der wahrnehmenden Seele intelligible Formen auf. Sie kann jede intelligible Form werden. Die Vernunft ist auch schon auf Stufe der Sinneswahrnehmung, wenn auch auf eine gebundene Weise Subjekt, indem durch Unterscheiden (Grundhandlung des Denkens) eine Erkenntnisleistung (die Vernunft erkennt mit den Sinnen) vollbracht wird. Die Sinneswahrnehmung ist nicht rein passiv. Wahrnehmbare Formen werden erkannt, nicht einfach gegebene Objekte als konkrete materielle Dinge aufgenommen. In den sinnlichen Formen sind die intelligiblen Formen potentiell enthalten. Die Vernunft erfaßt auch intelligible Formen des zu Erstrebenden und zu Meidenden in den Vorstellungsbildern.

In Büchern gibt es Darstellungen zum Seelenmodell, z. B.:

Aristoteles, Über die Seele : griechisch-deutsch. Mit Einleitung, Übersetzung (nach Willy Theiler) und Kommentar herausgegeben von Horst Seidl. Griechischer Text in der Edition von Wilhelm Biehl und Otto Apelt, Hamburg : Meiner, 1995 (Philosophische Bibliothek ; Band 476), S. XII – 17, S. XXII – XXVIII (Einleitung) und S. 260 – 273 (Kommentar)

Hellmut Flashar, Aristoteles. In: Ältere Akademie, Aristoteles, Peripatos (Grundriss der Geschichte der Philosophie. Begründet von Friedrich Ueberweg. Völlig neu bearbeitete Ausgabe. Herausgegeben von Helmut Holzhey. Die Philosophie der Antike - Band 3). Herausgegeben von Hellmut Flashar. 2., durchgesehene und erweiterte Auflage Basel ; Stuttgart : Schwabe, 2004, S. 371 – 379 (Psychologie)

Hellmut Flashar, Aristoteles : Lehrer des Abendlandes. München : Beck, 2013, S. 297 - 318 (Psychologie - Die Seele als Vollendung des Körpers)

Otfried Höffe, Aristoteles. Originalausgabe. 3., überarbeitete Auflage. München : Beck, 2006 (Beck'sche Reihe : Denker ; 535), S. 137 – 141 (Die Seele)

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laluat 
Fragesteller
 22.10.2013, 17:24

Vielen Dank für die Antwort, es scheint, Sie sind vom Fach.

Jedoch gibt es für mich Ungereimtheiten. Ich würde das gerne für mich resümieren.

Der empfangende Geist bildet den Mittler zwischen der Tier- bzw. Sinnenseele und dem schaffenden Geist. Dieser kann hierdurch auf Wahrnehmung und Denkinhalte zurückgreifen. Dies würde folglich doch bedeuten, dass er der wirklich denkende Teil ist, während der empfangende Geist ihm die Möglichkeit des Denkens durch Inhalte beschafft (?). Der schaffende Geist ist nach dem Ableben des Körpers und der Seele, die in gegenseitiger Abhängikeit zueinander stehen, weiterhin lebendig. Jedoch ist er nicht individuell. Die Belebung ist ihrer Ausführung nach nicht zutreffend, weil dies im Widerspruch zu der Lebendigkeit von Pflanze und Tier stünde. Somit kann der schaffende Geist keine lebensverleihende Wirkung haben.

Jedoch verstehe ich den Widerspruch nicht gänzlich: Wenn wir davon ausgehen, dass der schaffende Geist nur die Geistseele, also nur den dritten und dem Menschen eigenen Teil "belebt" (eventuell ist die Wortwahl missverständlich) würde das ja nicht ausschließen, dass Tiere und Pflanzen lebendig sind. Hiermit wäre der schaffende Geist ausschließlich eine externe Instanz, die die Menschwerdung ermöglicht, oder?

Vielen Dank, laluat

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Albrecht  22.10.2013, 23:44
@laluat

Inwiefern Unreimtheiten vorliegen, wird für mich aus den Bemerkungen nicht deutlich. Ich halte die Fragen für etwas, wo an Aristoteles gerichtet noch weitere Klärung gewünscht werden kann, auch weil seine Darstellung dazu ziemlich knapp ist.

Beim Verhältnis zwischen passiver/rezeptiver/aufnehmender Vernunft (empfangenden Geist) und aktiver/wirkender/tätiger Vernunft (schaffendem Geist) gibt es Deutungsspielraum, ob es sich um verschiedene Ebenen, Gesichtspunkte, Vermögen oder Prinzipien der Vernunft/des Geistes (νοῦς) handelt. Die aktive/wirkende/tätige Vernunft ist wirklich denkend. Die passive/rezeptive/aufnehmende Vernunft ist aber auch denkend, entweder der Möglichkeit nach oder der Wirklichkeit nach. Das Gewinnen intelligibler Formen aus der Erfahrung ist eine Denkleistung, und wenn passive/rezeptive/aufnehmende Vernunft dies vollzieht, ist er der Wirklichkeit nach denkend. Bei ihm liegt ein Teil der Denkleistungen der Vernunft/des Geistes.

Die Seele überhaupt, als Ganzes, ist lebendig. Wozu dann noch zusätzlich Bedarf für eine Belebung eines einzelnen Seelenteils/Seelenvermögens bestehen sollte, ist nicht gut nachvollziehbar. Hier könnte angezweifelt werden, ob „Belebung“ der passende Begriff ist. Eine mögliche Deutung bei der aktiven/wirkenden/tätigen Vernunft (dem schaffenden Geist) ist die einer Teilhabe des individuellen Menschen an einem allgemeinen geistigen Prinzip. Von Aristoteles gibt es kaum Aussagen dazu, wie dies genau stattfindet. Ich habe nur eine Äußerung gefunden, in einer biologischen Schrift: Aristoteles, Περὶ ζῴων γενέσεως (Über die Entstehung der Lebewesen; lateinischer Titel: De generatione animalium) 2, 3, 736 b 13 – 34 sagt, wann und wie die Vernunft/der Geist in den Embryo (in die Sinnesseele/wahrnehmende Seele des Embryos) hinzukomme, sei ein schwieriges Problem. Nach einer Erörterung, welche Ansätze denkbar sind, erklärt er: Es bleibt aber nur, daß die Vernunft/der Geist allein von außen her hinzu hereinkommt und allein göttlich ist (λείπεται δὲ τὸ νοῦν μόνον θύραθεν έπεισιέναι καὶ ϑεῖον εἶναι μόνον• Aristoteles, Περὶ ζῴων γενέσεως/Über die Entstehung der Lebewesen/De generatione animalium 2, 3, 736 b 27 – 28). Das Denken ist eine Lebensfunktion des Menschen. Das Ausbilden eines solchen Seelenvermögens (die Entstehung der Anlage und ihre Entfaltung) kann insofern als Menschwerdung verstanden werden, als dies etwas ist, das nach Aristoteles zum Wesen des Menschen gehört. Aristoteles, Πολιτικά (Politische Schriften/Politik; lateinischer Titel Politica) 1, 2, 1253 a 10 sagt auch: Von den Lebewesen aber hat nur der Mensch Logos (λόγον δὲ μόνον ἄνθρωπος ἔχει τῶν ζῴων• Logos bedeutet unter anderem vernünftige Rede und Überlegung und die Aussage kann so verstanden werden, daß Aristoteles den Menschen als ein sprach- und vernunftbegabtes Lebewesen kennzeichnet.

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laluat 
Fragesteller
 23.10.2013, 13:57
@Albrecht

Vielen Dank für die Beantwortung meiner Fragen!

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