Philosophie-Abi: War Sokrates Skeptiker?

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Über die philosophischen Auffassungen, die Sokrates hatte, ist wenig sicher bekannt, weil er selbst keine schriftliche Darstellung darüber geschrieben hat und Darstellungen seiner Schüler (erhalten sind vor allem Txete von Platon und Xenophon) von ihrem eigenen Denken geprägt sind.

Wenn ein sehr weit ausgedehnter Begriff des »Skeptikers« verwendet wird, kann Sokrates, der zurückhaltendend war, eigenes Wissen für sich zu beanspruchen, und sein Nichtwissen betonte, als Skeptiker verstanden werden.

Einen Skeptizismus hat Sokrates aber nicht vertreten. Denn er hat nicht grundsätzlich eine Erkennbarkeit der Dinge bestritten und verneint. Eine Annäherung an die Wahrheit hat er sich und anderen zugetraut. Sokrates hat als Ziel, soweit wie möglich Wissen über wesentliche Dinge (zumindest in der Hauptsache waren dies für ihn ethische Fragen wie die nach der Tugend), zu erreichen. Bei Menschen hat er anscheinend dabei eine nur vorläufige und nicht völlig gewisse Erkenntnis angenommen, keine endgültige Erkenntnis der Wahrheit mit unumstößlicher Gewißheit. Dagegen nimmmt er bei Gottheiten, die vollkommen sind, eine gewisse Erkenntnis an.

Sokrates hatte einige feste Überzeugungen. Dies zeigt sich vor allem im Zusammenhang seines Prozesses, als er nicht aus Gefälligkeit Standpunkte aufgibt und auf Versuche der Anbiederei und des Mitleidheischens verzichtet, später auch nicht bereit ist, einen Fluchtversuch zu unternehmen und sein Leben zu retten.

In einer weit gefaßten Bedeutung des Begriffs gibt es bei Sokrates eine skeptische Haltung darin, Behauptungen nicht ungeprüft als gültig zu beurteilen.

Frage eines Begriffs für eine Form des Anzweifelns

Scheinbare Selbstverständlichkeiten in Frage zu stellen und zu versuchen, den Dingen auf den Grund zu gehen, ist ein Merkmal von Philosophie. Es gibt eine allgemeine Eigenschaft des Philosophierens, kritisch zu sein. Ein weitergehender besonderer eigener Begriff für eine Strömung/Richtung ist mir nicht bekannt. Einen besonderen Begriff gibt es nur für eine Methode, die vor allem in den platonischen Dialogen angewendet wird: Elenktik

Elenktik ist die Kunst der Überführung (Widerlegungskunst) und Bestandteil der Hebammenkunst, der Maieutik (griechisch μαιευτικὴ τέχνη Platon, Theaitetos 148 a – 151 d, 184 b und 210 b – d), wie sie Sokrates in der Darstellung Platons ausübt. Die Maieutik ist eine kunstvolle Gesprächsführung, die anderen hilft, in ihnen schlummernde Gedanken (mit denen sie gleichsam schwanger sind) hervorzubringen und zu Erkenntnissen zu gelangen.

Eine Erörterung des Wesens der Elenktik ihres Vorgehens und ihrer Wirkung steht bei Platon, Sophistes 226 a - 232 a.

Elenktik ist von Elenchos (ἐλεγχος) abgeleitet, das „Beweis(mittel)“, „Überführung“, „Widerlegung“, „Prüfung“, „Untersuchung“ bedeutet. Es kann beim Befragen und dem Entgegenhalten von Einwänden ein Zustand der Ratlosigkeit eintreten, eine Aporie (ἀπορία).

Elenktik unternimmt die Aufdeckung von Widersprüchen zwischen Aussagen. Sie ist eine Testmethode in einem Frage- und Antwortspiel nach festgelegten Regeln. Auf eine erste Frage, was etwas ist („Was ist …?“), wird eine Antwort mit einer These/Definition angeboten. Deren Stichhaltigkeit wird dann geprüft. Ein Fragender untersucht, ob der Antwortenden mit Argumenten zur Annahme des Gegenteils seiner These gezwungen werden kann. Der Antwortende versucht, dies abzuwenden und seine These zu verteidigen.

Beispiele in kurzer Form:

Im Dialog „Charmides“ wird Besonnenheit als eine Art Ruhigsein definiert. Charmides hält zugleich Besonnenheit für etwas Schönes/Gutes. Langsamkeit, die zum Ruhigsein gehört, ist aber in manchen Fällen nicht schön/gut. Nach zugestandenen Annahmen kann Besonnenheit daher nicht einfach Ruhigsein sein.

Im Dialog „Laches“ wird Tapferkeit als Beharrlichkeit definiert. Laches hält zugleich Besonnenheit für etwas Schönes/Gutes. Es gibt aber auch unvernünftige Beharrlichkeit. Unvernünftiges ist nicht schön/gut. Außerdem ist dem Verständnis der Gesprächspartner nach Beharrlichkeit bei Geldanlagen als solche kein Bereich der Tapferkeit. Nach zugestandenen Annahmen kann Tapferkeit daher nicht einfach Beharrlichkeit sein.

Die Elenktik ist noch kein Erreichen einer richtigen Lösung in der Sachfrage, indem bei einem Thema die Wahrheit erkannt wird, sondern erst einmal nur die Beseitigung von Hindernissen für die Erkenntnis. Es geschieht eine Aufklärung des vermeintlichen Wissens (kann seinen Anspruch nicht einlösen) über sich selbst. Elenktik ist direkt erst einmal negativ, sie wird von Sokrates ergänzt durch die Protreptik (Kunst der Hinwendung). Elenktik befreit von falschen Annahmen und bereitet auf das Erfassen der Wahrheit vor.

Gegenstände des sokratischen Zweifels

Gedanken von Menschen gehören offenkundig zu den Gegenständen des sokratischen Zweifels. Denn Sokrates hält das menschliche Denken nicht für vollkommen und irrtumsfrei. Meinungen können falsch sein.

Zweifel an der Sinneswahrnehmung waren im philosophischen Denken damals schon ein Thema. Sinnestäuschungen wurden für möglich gehalten. Parmenides hat Sein und Schein entgegengesetzt, sein Schüler Zenon mit Paradoxa das Werden Zweifeln ausgesetzt. Bei den sogenannten Sophisten hat es Erörterungen gegeben, so bei Protagoras und seinem Satz vom Menschen als Maß aller Dinge. Sokrates waren solche Erörterungen bekannt. Er hat allerdings den Prozeß der Wahrnehmung nicht genau untersucht (die physiologischen Kenntnisse seiner Zeit waren dazu auch eher beschränkt, insbesondere das Wissen über das Gehirn).

Es gibt bei Sokrates keine Hinweise auf ein Bezweifeln der Welt der Dinge, die wahrhaftig sind, bzw. der Existenz der Dinge. Einen Antirealismus, wie er z. B. beim radikalen Konstruktivismus vorkommt, hat Sokrates nicht vertreten. Die Überlieferung deutet auf eine realistische Auffassung.

Beim Realismus in der Philosophie gibt es zwei grundlegende Annahmen:

1) ontologisch (auf die Seinslehre bezogen): vom Bewußtsein/vom Denken der Subjekte unabhängige Existenz von Dingen

2) erkenntnistheoretisch: grundsätzliche Erkennbarkeit der Dinge, also Möglichkeit, sich der Wahrheit zumindest anzunähern

Bei Diogenes Laertios 1, 16 wird (in Unterscheidung von den Dogmatikern) unter anderem Sokrates zu den im Urteil Zurückhaltenden gezählt wie auch Pyrrhon aus Elis (ungefähr 365 – 275 v. Chr., Begründer der radikalen Pyrrhonischen Skepsis.

Sokrates ist von der gemäßigten akademischen Skepsis (in der platonsichen Akedamie im 3. Jahrhundert v. Chr. von Arkesilaos begründet; wichtige Vertreter waren außerdem vor allem Karneades aus Kyrene und Philon aus Larisa) als Vorläufer verstanden worden.

Marcus Tullius Cicero, De natura deorum 1, 11

M. Tullius Cicero, Vom Wesen der Götter : 3 Bücher ; lateinisch-deutsch. Herausgegeben, übersetzt und erläutert von Wolfgang Gerlach und Karl Bayer. 3. Auflage. München ; Zürich : Artemis-Verlag, 1990 (Sammlung Tusculum), S. 19:  

„So ist diese Methode in der Philosophie, gegen alles zu sprechen und über nichts ein sicheres Urteil abzugeben, von Sokrates ausgegangen, von Arkesilaos wieder aufgegriffen und von Karneades gefestigt worden und hat ihre Kraft bis in unsere Zeit behalten; in Griechenland selbst hat sie, wie ich merke, augenblicklich beinahe keine Anhänger. Das aber ist meiner Meinung nach nicht durch die Schuld der Akademie, sondern als Folge der menschlichen Schwerfälligkeit eingetreten. Denn wenn es schon eine Leistung ist, sich eine einzelne Lehre anzueignen, wieviel mehr bedeutet es dann, alle zu verstehen; das aber müssen eben alle die erreichen, deren Ziel es ist, im Interesse der absoluten Wahrheitsfindung sowohl gegen wie für alle Philosophen zu sprechen.“

Marcus Tullius Cicero, De De finibus bonorum et malorum 2, 2

Marcus Tullius Cicero, Über die Ziele des menschlichen Handelns = De finibus bonorum et malorum. Herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Olof Gigon und Laila Straume-Zimmermann. München ; Zürich : Artemis-Verlag, 1988 (Sammlung Tusculum), S. 69/71:  

„Allerdings sehen wir, daß sowohl jener, den ich eben erwähnt habe, wie auch die übrigen Sophisten von Sokrates verspottet worden sind, wie man bei Platon nachlesen kann. Sokrates nämlich pflegte im Gespräch und durch Fragen die Meinung jener, mit denen er diskutierte, hervorzulocken, um dann die Gelegenheit zu haben, seine Ansicht über das, was sie gesagt hatten, zu äußern. Diese Sitte wurde von den Späteren nicht festgehalten; erst Arkesilaos erneuerte sie und richtete es so ein, daß diejenigen, die etwas von ihm hören wollten, nicht ihn befragten, sondern selber sagten, was ihre Meinung war. Nachdem jene gesprochen hatten, redete er dagegen; die anderen wiederum, die ihn hörten, verteidigten, so weit sie konnten, ihre These. Bei den übrigen Philosophen dagegen schweigt derjenige, der eine Frage gestellt hat. Dies geschieht heute sogar in der Akademie. Wenn nämlich derjenige, der etwas zu hören wünscht, die Behauptung aufstellt: „Die Lust scheint mir das höchste Gut zu sein“, und dann in fortlaufender Rede dagegen Stellung genommen wird, dann wird es sofort klar, daß derjenige, der erklärt, etwas scheine ihm so und so zu sein, gar nicht seine wirkliche Meinung vertritt, sondern dies bloß sagt, um das Gegenteil zu hören.“

Klaus Döring, Sokrates, die Sokratiker und die von ihnen begründete Tradition. In: Sophistik, Sokrates, Sokratik, Mathematik, Medizin (Grundriss der Geschichte der Philosophie. Begründet von Friedrich Ueberweg. Völlig neu bearbeitete Ausgabe. Herausgegeben von Helmut Holzhey. Die Philosophie der Antike - Band 2/1). Herausgegeben von Hellmut Flashar. Basel ; Stuttgart : Schwabe, 1998, S. 159:  

„Wenn Sokrates es für prinzipiell unmöglich erklärt, dass ein Mensch Wissen davon erlange, was das Gute, Fromme, Gerechte usw. sei – nur darum geht es ihm; in bezug auf die Dinge im allgemeinen wurde die Frage nach dem Wesen erst von seinen Schülern gestellt und erörtert -, dann meint er ein allgemeingültiges und unfehlbares Wissen, das unverrückbare und unanfechtbare Normen für das Handeln bereitstellt. Ein solches Wissen ist dem Menschen nach seiner Auffassung grundsätzlich versagt. Was der Mensch allein erreichen kann, ist ein partielles und vorläufiges Wissen, das sich, mag es im Augenblick auch noch so gesichert esrcheinen, dennoch immer bewusst bleibt, das es sich im Nachhinein als revisionsbedürftig erweisen könnte. Je nach Anstrengung kann der Mensch auf dem Weg zum wahren Wissen mehr oder weniger weit vorankommen; das Ziel zu erreichen, ist ihm auf ewig versagt."

S. 161 – 162: „Sokrates ist überzeugt, dass der Mensch, mag er sich auch noch so sehr anstrengen, nie zu einem unverrückbaren und unanfechtbaren Wissen davon gelangen wird, was das Gute ist, sondern sich prinzipiell mit einem partiellen und vorläufigen Wissen bescheiden muss. Dieses unvollkommene Wissen in der Hoffnung, sich dem wahren Wissen wenigstens anzunähern, so weit es irgend geht, zu vervollkommnen, das ist der grösste Gefallen, den sich ein Mensch nach Sokrates' Auffassung selbst tun kann, da ein jeder desto besser und glücklicher leben wird, je weiter es es bei seinen Bemühungen bringt.“

S. 164: „Hat sich eine Erkenntnis in einer Vielzahl von Prüfungen immer wieder als nicht widerlegbar erwiesen, dann kann sie zwar nicht als unumstössliches Wissen gelten - ein solches ist nach Sokrates' Auffassung ja auch allein Gott vorbehalten -, wohl aber ein hohes Maß an Gewissheit für sich beanspruchen. Zu den Erkenntnissen, denen in diesem Sinne ein hohes Maß an Gewißheit zuzusprechen ist, gehört die, daß man, wenn man sich nicht selbst schaden will, niemals wissentlich Unrecht tun (ἀδικεῖν) bzw. niemals anderen Böses zufügen (κακουργεῖν, κακῶς ποιεῖν) darf, auch dann nicht, wenn einem selbst Unrecht widerfahren bzw. von anderen Böses angetan worden ist (PLAT. Crit. 49a4-c11), und dass daher nicht, wie man üblicherweise glaubt, das Unrechtleiden (ἀδικεισθαι) das Schlimmste ist, was es für einen Menschen gibt, sondern das Unrechttun (ἀδικεῖν) (PLAT. Gorg. 508d6- 509c3). Diese Erkenntnis, von der Sokrates in Platons ‹Gorgias› sagt, dass es sich bei ihr selbstverständlich nicht um etwas handle, was er (sc. im strengen Sinne) wisse, dass sich bisher aber jeder, der das Gegenteil habe beweisen wollen, lächerlich gemacht habe (508e6-509a7), bildet den Hintergrund für die Überlegungen, die Sokrates über die Frage anstellte, wie man sich als Angehöriger einer Polisgemeinschaft den Institutionen und Organen dieser Polis und deren Geboten und Forderungen gegenüber zu verhalten habe, also für das, was man die 'politische Philosophie' des Sokrates nennen mag.“

PLAT. Crit. = Platon, Kritias  

PLAT. Gorg. = Platon, Gorgias  

sc. = scilicet (nämlich, das heißt, sprich, selbstverständlich)

KnorxyThieus 
Fragesteller
 28.05.2017, 15:27

Wow, hab vielen Dank für deine wahrlich ausführliche Antwort! :D

Also verstehe ich dich (und Wikipedia) zunächst so richtig, dass die speziell im sokratischen Sinne auf die Erkenntnis, dass nichts so zu sein scheint, wie es scheint, abzielende Vorgehensweise der "Diskussion" als Elenktik = Mäeutik bezeichnet werden kann? Die gewissermaßen eine Subdisziplin der Dialektik darstellt?

Aber Ontologie und Epistemologie sind doch irgendwie zwei Seiten derselben Medaille, die Betrachtung der (fraglichen) Realität unter den verschiedenen Gesichtspunkten "Was ist?" und "Was kann ich wissen?"?

Und zuletzt noch eine Frage: Gibt es für die sokratische Grundannahme "Scio nescio" auch einen eigenen Terminus? Schön wär's ;)

Sommerliche Grüße ...

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Albrecht  29.05.2017, 02:27
@KnorxyThieus

„Erkenntnis, dass nichts so zu sein scheint, wie es scheint,“ ist seltsam und nicht gut nachvollziehbar ausgedrückt. Vielleicht ist eine Erkenntnis, dass nichts so ist, wie es scheint, gemeint. Sokrates hat aber auch eine so weitgehende Auffassung, alles sei immer anders, als es erscheine, nicht vertreten. Diese sehr weitgehende Auffassung setzt übrigens sehr viel Wissen voraus. Denn sonst könnte eine allgemeine Abweichung zwischen Anschein und Sein nicht begründet behauptet werden.

Für den geschichtlichen Sokrates kann nur sehr wenig an erkenntnistheoretischen Auffassungen ermittelt werden. Mehr gibt es bei Sokrates als Figur platonischer Dialoge. Dies ist aber Platon als seine eigene Philosophie zuzuordnen.

Eine Meinungen überprüfende Diskussion in der Art sokratischer Gespräche kann als Elenktik bezeichnet werden. Elenktik ist nicht mit Maieutik schlechthin gleichzusetzen, sondern deren erster Bestandteil. Elenktik kann als Subdisziplin der Dialektik (in der Bedeutung einer Kunst der Gesprächsführung) verstanden werden.

Zwischen Ontologie und Epistemologie gibt es Zusammenhänge. So gibt es bei Platon (in Verbindung mit seiner Ideenlehre und Prinzipienlehre) einen Bezug von Arten der Dinge und der Erkenntnisweisen (mit Entsprechungen von Stufen).

„Scio nescio" ist sprachlich und sachlich keine gute Wiedergabe. Lateinisch ist eher „scio me nihil scire“ passend, weniger klassisch „scio quod nescio“. „Scio nescio" geht ohne ein Komma dazwischen gar nicht und auch mit Komma höchstens sehr notdürftig. Sachlich liegt eine Verfälschung vor, indem die Aussage zu weit getrieben wird und (infolge der Selbstbezüglichkeit eines Wissens über das eigene (Nicht-)Wissen) eine logische Unstimmigkeit entsteht.

zur Deutung:

https://www.gutefrage.net/frage/erklaerung-zu-ich-weiss-dass-ich-nichts-weiss

Die Aussage bei Platon, Apologie 21 d bedeutet: Einsicht in Grenzen des eigenen Wissen und damit Vermeidung von Selbstüberschätzung

Später ist in der Antike »Epoche« (griechisch: ἐποχή; das Verb ἐπέχειν bedeutet unter anderem „innehalten“, „anhalten“, „zögern“, „zurückhalten“) als philosophischer Begriff für Enthaltung/Zurückhaltung (des Urteils) verwendet worden.

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KnorxyThieus 
Fragesteller
 31.05.2017, 14:14
@Albrecht

Danke für deine Erläuterungen! :-)

‚Erkenntnis, dass nichts so zu sein scheint, wie es scheint,‘ ist seltsam und nicht gut nachvollziehbar ausgedrückt. Vielleicht ist eine Erkenntnis, dass nichts so ist, wie es scheint, gemeint.

Ich glaube, das macht schon einen Unterschied ... Dahingehend, ob diese Erkenntnis wirklich als solche stattfinden kann oder nur als Vermutung. Dazu habe ich mir inzwischen auch noch Gedanken gemacht, vielleicht magst du ja einmal diesem Link folgen: https://www.gutefrage.net/frage/gibt-es-philosophische-stroemungen-die-skepsis-an-apriorischen-erkenntnissen-aeussern?
Für Sokrates stimme ich dir dann allerdings zu, schon, weil eine Erkenntnis ja keine Vermutung, wie sie durch das Scheinen impliziert würde, sein kann.

Eine Meinungen überprüfende Diskussion in der Art sokratischer Gespräche kann als Elenktik bezeichnet werden. Elenktik ist nicht mit Maieutik schlechthin gleichzusetzen, sondern deren erster Bestandteil. Elenktik kann als Subdisziplin der Dialektik (in der Bedeutung einer Kunst der Gesprächsführung) verstanden werden.

Die Definition werde ich schon mal auf alle Fälle verinnerlichen, aber sorry, was dann Mäeutik davon Verschiedenes sein soll, ist mir einfach noch nicht klargeworden. :/

Zu scio nescio: Schon klar, ich dachte nur irgendwie, dass sei die gebräuchlichere Formulierung, weil sie mir auch auf Wikipedia begegnet ist. Aber kein Problem, mit einem AcI nehme ich immer gerne vorlieb :)
Oder was hieltest du gleich von Nesciri scitur? ;-)

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Albrecht  01.06.2017, 01:34
@KnorxyThieus

Maieutik bezeichnet umfassend eine kunstvolle Gesprächsführung, die durch geistige Anregungen anderen hilft, in ihnen schlummernde Gedanken hervorzubringen und zu Erkenntnissen zu kommen.

Elenktik ist davon ein Bestandteil. Mt der Elenktik wird noch keine Erkenntnis (in Annäherung) erreicht, sondern sie räumt in einer Überprüfung Vorurteile und vermeintliches Wisssen, das bloßer Anschein von Wissen ist, durch Überführung der Mängel weg. Sofort und direkt (ohne den weiteren Zusammenhang) wird bei der Elenktik etwas beseitigt/zerstört/zum Einsturz gebracht, nicht etwas an positiven Ergebnissen hervorgebracht (bildlich betrachtet ist noch keine Geburt geschehen). Elenktik schafft günstige Voraussetzungen, um schlummernde Gedanken hervorzubringen und zu Erkenntnissen (in Annäherung) zu kommen. Maieutik dagegen kann am Ende zu so etwas verhelfen.

ausführlicher:

https://www.gutefrage.net/frage/sokrates--philosophie

Nesciri scitur habe ich noch nicht gelesen. Es würde „Nicht gewußt zu werden wird gewußt“ bedeuten. Eine solche Formulierung ohne Objekt ist außergewöhnlich.

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KnorxyThieus 
Fragesteller
 01.06.2017, 11:59
@Albrecht

Nochmals danke!

Ich fasse also für mich zusammen:
Mäeutik ist die Methode/Intention, die Sokrates bei seinen Dialogen mit Mitbürgern anwendet, um deren implizites Wissen quasi zum Leben zu erwecken (okay, das hast du aber schöner ausgedrückt ^^). Dabei bedient er sich der Technik der Elenktik, mittels derer er seinen Gesprächspartner dafür sensibilisiert, nicht an ihren Vorurteilen und Traditionen, ihrem Vorwissen festzuhalten, indem er Widersprüche innerhalb jener Erfahrung aufzeigt, sowie jener der Protreptik, mit welcher er ihn - ganz didaktisch - durch weitere Fragen zur Erkenntnis weitergeleitet.

So einverstanden, dass ich mir das merken kann? :-)

https://www.kde.cs.uni-kassel.de/lehre/ss2004/datenbanken/folien/Maeeutik.pdf war übrigens auch ganz hilfreich als Überblick hierzu.)

Nesciri scitur habe ich noch nicht gelesen. Es würde „Nicht gewußt zu werden wird gewußt“ bedeuten. Eine solche Formulierung ohne Objekt ist außergewöhnlich.

Auf solche Formulierungen fahre ich ab! ;-)
Es war als NcI gedacht, den man ja im Deutschen auch mit "man" übersetzen kann: Man weiß, dass nicht gewusst wird. Aber Schwamm drüber, Hauptsache, es ist klar, was gemeint wird ...

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Albrecht  02.06.2017, 19:57
@KnorxyThieus

Ich stimme sehr weitgehend zu, allerdings handelt es sich um Widersprüche im Bereich der Meinungen (Erfahrung ist nicht der treffende zusammenfassende Begriff).

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Wenn man Skepsis relativ allgemein versteht, war S. sicherlich ein Skeptiker wie ander Philosophen und Sophisten auch. Aber als Philosoph sollte man eben sehen, dass Skeptizismus nicht gleich Skeptizismus ist und dass es auch da schon (nicht erst ab Descartes) unterschiedliche Auffassungen gab.

Aber Sokrates war sicherlich keine Konstruktivist oder jemand, der wie Kant das Bild vom Ding und das Ding an sich unterschieden hätte. Dazu wussten die Griechen noch nicht genug über Sinnesreize, Nervenbahnen und die Verarbeitung im Gehirn, auch wenn es da sicherlich schon Aussagen darüber gab, dass nicht alles so ist, wie wir es wahrnehmen (Sinnestäuschungen etc.). S. ging es um Tugend, nicht ihre Lehrbarkeit, wie das die Sophisten vertraten, sondern um die Vorstellung, dass man die Dinge im rechten Licht der Wahrheit sehen muss, um richtig und tugendhaft handeln zu können. Dazu musste er die Menschen lehren, den Dingen auf den Grund zu gehen, indem sie falsche Vorstellungen und Auffassungen als solche erkannten und über Bord warfen. Aber am "Grund des Dinges" befand sich immer das Ding, so wie wir es betrachten und unserm Urteil zugänglich machen können.


Der Sokrates des Platon ist mit vielen Fragezeichen zu versehen. Wer den Sokrates des Xenophon liest, bekommt einen anderen Eindruck und der Sokrates des Platon ist eher eine Kunstfigur, der Platon seine Meinungen unterschiebt. Bekannter als Sokratesschüler als Platon soll Antisthenes, der Lehrer des Diogenes von Sinope, zu Lebzeiten gewesen sein. Und ausgerechnet Antisthenes und Diogenes haben sich über Platons Ideenlehre lustig gemacht. Nach Xenophon war Sokrates ein sehr praktisch veranlagter Mensch, der zwar kritisch das Verhältnis von Begriffen und Wirklichkeit hinterfragt hat, aber nicht in der Schärfe wie Antisthenes. Nach Platon hat sich die Akademie wieder stärker der sokratischen Skepsis zugewandt. Man soll nicht aus den Augen verlieren, dass Philosophie in der Antike einen starken Zug zur Lebenspraxis hatte als Lebenskunst. Das Nachdenken in Begrifflichkeiten musste letztlich auch anwendbar sein und war dadurch immer wieder mit der Realität konfrontiert. Das war die Schwachstelle der Kyniker und übertriebenen Skeptiker. Wer alles zerredet und infrage stellt, lässt die Menschen in Ratlosigkeit zurück.