Personalmangel im Ehrenamt?

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Das Ehrenamt ist eine wichtige Säule unserer Kultur und Gesellschaft. Ehrenamtliche nehmen einerseits Pflichtaufgaben der Bürger wahr (z.B. Stadt-/Gemeinderäte, Wahlhelfer, Schöffen, Schiedsleute, Feuerwehrleute usw.) und auf der anderen Seite Aufgaben in Vereinen und Verbänden die dafür sorgen, dass viele Dinge möglich sind, die sonst nicht möglich wären (z.B. im Bereich Sport, Kultur, Sozialarbeit usw.).

Woran könnte das liegen?

Richtig, die Bereitschaft der Menschen, sich ehrenamtlich zu engagieren, nimmt stetig ab. Woran das liegt? Schwer zu sagen... meiner Meinung nach kommen da mehrere Dinge zusammen.

Der größte Faktor dürfte dabei die Zeit spielen. Unser beruflicher und privater Alltag ist in den letzten Jahrzehnten deutlich hektischer und schnellebiger geworden. Man fährt nicht selten täglich 30, 50 oder auch 100 Kilometer zur Arbeitsstätte. Dienstreisen rund um den Globus und "lebenslanges Lernen" sowie ein insgesamt durch Internet, Email usw. beschleunigter Arbeitsalltag gehören dazu. Unterm Strich bleibt dabei weniger frei verfügbare Zeit als früher. Zudem wird heute deutlich häufiger der Job gewechselt oder man wird innerhalb eines Unternehmens an einen anderen Standort versetzt. Das steht einem "langfristigen" Hobby oft entgegen, außerdem fehlt dadurch die feste Bindung zu einem bestimmten Ort und seinen ortsansässigen Vereinen und Verbänden.

Dann kommen aber noch andere Dinge hinzu. Beispielsweise die Tatsache, dass die Menschen sich mehr und mehr eine "All-inklusive-Mentalität" zulegen. Früher war einem bewusst, dass man selbst ein Teil des Staates ist und jeder seinen Beitrag zum Funktionieren des Staates beitragen muss. Heute erwartet der Bürger, dass alles für ihn erledigt wird. Konkretes Beispiel: Früher wurde die Feuerwehr fast nie wegen eines umgestürzten Baumes alarmiert. Da hat einfach jemand die Motorsäge oder notfalls die Handsäge aus der Garage geholt und gemeinsam mit Nachbarn war die Straße nach wenigen Minuten wieder frei geräumt. Heute erlebe ich es regelmäßig, dass die Feuerwehr für einen Ast gerufen wird, den jeder normale Mann mit einer Hand hätte beiseite räumen können. Und nicht selten sitzt der Anrufer bei Anunft der Feuerwehr noch in seinem Auto und antwortet auf die Frage, ob er den Ast nicht eben selbst hätte zur Seite räumen können mit "Nein, es regnet draußen und ich habe gute Kleidung an, die wäre dann schmutzig geworden".

Hinzu kommt, dass die Bürger mehr und mehr unzufrieden mit "dem Staat" sind, was sich dann vor allem negativ auf öffentliche und politische Ehrenämter auswirkt.

Seid ihr ehrenamtlich tätig?

Ja. Seit mehr als 20 Jahren aktiv in der Freiwilligen Feuerwehr, seit 15 Jahren aktiv in der Kommunalpolitik und früher auch für den Sportverein.

Grüß Dich Obstsalatsosse

Viele haben eine Anspruchshaltung, die lediglich im Konsum endet. Dabei geht es nicht allein um das Kaufen, sondern auch den Empfang von Dienstleistungen die ja über die ehrenamtliche Tätigkeit bereitgestellt wird. Das Ehrenamt hat etwas mit Ehre zu tun, um die Ehre, sich für andere einzusetzen. Das ist ein nicht zu überschätzender Klebstoff der die Gesellschaft zusammenhält. Und die Gesellschaft ist unser Volk.

Das Zusammengehörigkeitsgefühl und der daraus resultierende innere Drang, sich aus Einsicht für andere einsetzen zu wollen, ist politisch zu bewerben und das wesentlich mehr als bisher. Und da werden ganz sicher auch die Medien mitmachen, zusätzlich sowieso erst recht, wenn für die Werbung gezahlt wird.

Das alles hat natürlich auch etwas ganz allgemein gesehen damit zu tun, das wir eine andere Haltung dem Leben gegenüber einnehmen müssen, was sich gesamtgesellschaftlich in allen Bereichen auswirkt. Und das heißt, das sich auch die Haltung uns selbst gegenüber ändern muss, ohne das geht es nicht. Und dazu gehört meines Erachtens dazu zu verstehen, das jede Arbeit eine Dienstleistung ist, ohne Ausnahme und unabhängig davon, ob sie bezahlt wird oder nicht, denn Arbeit kommt uns allen zugute und zeigt, das wir alle voneinander abhängig sind. Und dazu gehört ebenso, sich als Teil der Gesellschaft auch ihr zugehörig zu fühlen. An uns liegt es, ob wir daraus die Motivation ziehen, uns für andere einzusetzen. Und da sind wir wieder bei dem, was ich am Anfang schrieb. Wir alle, jeder Einzelne schafft die Bedingungen, aus denen die Einsatzwilligkeit gefördert wird.

Aber oft fehlt vielen auch die Zeit und müssen Geld verdienen und sind zu kaputt für ein Ehrenamt. Und daher gilt es, dieses Ehrenamt politisch zu fördern.

Herzlichen Gruß

Rüdiger

Parteimitglied bei Bündnis90/Die Grünen

Ich selbst bewerbe mich gerade um ein Ehrenamt, das zu dieser Weltanschauung die ich beschrieb, Einfluss ausübt.

Die Bereitschaft, sich langfristig zu engagieren, sinkt. Werte wie Pflicht und Dienst stehen nicht hoch im Kurs. Es fehlt wahrscheinlich auch an der Wertschätzung; viele Vereinsmitglieder nehmen die Leistung gerne mit, aber ohne viel Dank und mäkeln womöglich noch.

Viele Familien kommen nur noch mit mehreren Jobs über die Runden. Da bleibt immer weniger Zeit für das Ehrenamt.

Weil die Anerkennung fehlt.

Warum nicht Rentenpunkte, wenn jemand wirklich gemeinnützig über Jahre in einem Verein arbeitet? Eine Ehrenamtlerin, die vom Landkreisamt für 30 Jahre Ehrenamt in Sanitüätsdienst "geehret" wurde, bekam ein bemaltes Holzbrett! Das ist schon fast zynisch.

Ich arbeite schon fast mein ganzes Leben lang ehrenamtlich. Habe meinen ersten "Verein" (Tierschutz) schon mit 12 gegründet - das war noch in der DDR. Ganz fernab jeglicher "staatlichen Unterstützung" habe ich von Freunden Geld eingesammelt, angefahrene Katzen von der Straße gekratzt und zum Tierarzt gebracht. Auch nach der Wende war ich lange im Tierschutz. Später dann im DRK und im Katastrophenschutz. Heute kümmere ich mich eher um Eisenbahngeschichte, leite einen Verein und bin in einem weiteren 2. Vorsitzender.

Aber ich finde es bitter, dass ich trotzdem einem gruseligen Rentenalter engehen gehe; obwohl ich zeitlebens nicht nur Zeit und Herzblut, sondern auch Geld in Dinge investiert habe, die auch anderen nützen. Und so kann ich die Abkehr vom Ehrenamt leider niemandem übelnehmen. Und - meine Generation stirbt aus...

Viele Leute sind genug mit sich selbst beschäftigt, haben durch Corona und allgemein zunehmenden Druck und Stress auf der Arbeit psychische Probleme bekommen oder haben einfach gar keine Energie, sich noch freiwillig für etwas einzusetzen.

Grundsätzlich nimmt die Bereitschaft zur Verpflichtung ab - Leute gehen vielleicht eher mal spontan auf eine Demo, aber langfristig ein Amt z.B. in einer Partei, Sportverein o.Ä. machen viele nicht mehr gern, weil man lieber flexibel sein möchte und jederzeit das machen, worauf man Bock hat.

In ländlichen Gebieten zieht die jüngere Generation immer häufiger zum Studieren weg (da viel mehr junge Menschen Abitur machen als früher), weshalb freiwillige Feuerwehren z.B. mit Nachwuchsmangel zu kämpfen haben.

Der Zuspruch zur Kirche nimmt ab, ansonsten hätten sich einige vielleicht auch dort ehrenamtlich engagiert, aber da generell kaum noch jemand gläubig ist, ist das auch nicht mehr aktuell.

Einige sind vielleicht frustriert, weil es kaum Anerkennung für diese Arbeit gibt. Wenn man so etwas macht, dann eigentlich nur wegen der eigenen Werte, politischen Interessen oder weil man der Welt etwas Gutes tun möchte. Aber wenn viele mehr auf ihr Geld, Karriere, Familie, vielleicht noch ihr eigenes Glück bedacht sind - was man ja (bis auf Geld und Karriere was meiner Meinung nach eher mit Geltungsdrang und Sucht nach Status zu tun hat) niemandem negativ ankreiden kann... Vielleicht sind einige Menschen immer noch unpolitisch (wegen Klimakrise z.B.), andere schon resigniert gegenüber den vielen Krisen, wo man sich auch machtlos fühlt oder nicht weiß, wo man anfangen soll.