Organische oder Anorganische Chemie schwieriger?

2 Antworten

Ich habe auch in Anorganik promoviert, ich hatte u.a. auch Festkörperchemie. Dennoch gehörten auch Organikkenntnisse zwingend dazu, und oft gibt es keine klare Trennung Anorganik/Organik, es gibt ja metallorganische Verbindungen (z.B. Grignard) und Metallkomplexe mit organischen Liganden (z.B. Ferrocen).

Zwar gilt die Grignard-Reaktion als organische Reaktion, aber da ist auch Mg beteiligt (und beim Ferrocen natürlich Fe).

Ich kann nicht mal sagen, was von den beiden nun "komplexer" ist, meine Wahl der Anorganik hatte praktische Gründe (an der Komplexität lag das nicht). Es waren auch zwei Zufälle daran beteiligt. Meine erste Vorlesung in Festkörperchemie war nur als "Lückenfüller" gedacht, das war damals noch gar nicht geplant, dass ich Anorganik machen würde.

Auch spielte der Professor eine Rolle, der damals Stellen in der Anorganik anbot. Und es spielte eine Rolle, dass man bei einem Organik-Prof bei uns angeblich "ewig" promovierte, bis man fertig war. Das kann man aber nicht verallgemeinern.

In der Anorganik gibt es manchmal subtile Unterschiede wie zwischen TiO2 (Rutil) und TiO2 (Anatas), welche sich alleine in der Kristallstruktur zeigen. Der Unterschied zwischen Diamant und Graphit ist die Kristallstruktur.

Und die Ligandenfeldtheorie mit high-spin und low-spin Komplexen ist nicht ganz ohne, und das ist durchaus interessant.

Auch elektrische und magnetische Eigenschaften sind u.U. damit verbunden.

Ich hatte auch elektrochemische Untersuchungen in meiner Arbeit (zweikernige Cobaltkomplexe mit O2(2-) und O2(-) Brücke, Peroxo- und Superoxo-Komplexe). Hatte sich so ergeben. Man kann z.B. mit Ce(4+) so eine Peroxo-Brücke oxidieren zur entsprechenden Superoxo-Brücke, die zwischen zwei Co-Atomen stabil ist.

Ideal ist ein fünfzähniger Polyamin-Ligand dazu. Mit den sechszähnigen Polyaminen ging das nicht (die hatte ich aber auch untersucht).

Ich erinnere mich auch an die "Verdunkelung". Ich musste ein Labor lichtdicht machen, und dann hatten wir ein lichtempfindliches Mangancarbonyl im Dunkeln unter leichtem Rotlicht hantiert. Das hatte irgendwie Spass gemacht. Wie in einem alten Fotolabor.

Natürlich ist Organik auch spannend, aber ich mochte immer die Verbindungen, wo auch mindestens ein Metall drin ist. :)

Woher ich das weiß:Berufserfahrung – angestellter Chemiker (Dr. rer. nat.)
schrauberking 
Fragesteller
 02.04.2021, 20:48

Vielen Dank für deine ausführliche Schilderungen. Dass die Anorganik ein bisschen "interessanter" ist hatte ich mir schon fast gedacht xD. Ich wünsche dir auf jeden Fall auch weiterhin viel Spaß in deinem Beruf!

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Die organische Chemie ist auf jeden Fall um Welten komplexer. Es gibt etwa Hunderttausend bekannte Verbindungen, die man mit den verschiedenen Elementen des Periodensystems (außer Kohlenstoff) bilden kann. Dagegen gibt es mehrere Millionen Verbindungen, die auf Kohlenstoff basieren. In der organischen Chemie bringt einem Auswendiglernen nichts mehr. Man muss die Sachen wirklich verstehen.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung
schrauberking 
Fragesteller
 31.03.2021, 20:06

Werden die Leute schief angeguckt, wenn sie sich für anorganische Chemie entscheiden? xD

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Rhenia  31.03.2021, 21:31

Was ist mit Komplexen mit organischen Liganden, MOFs und Carbiden? Graphenforschung? Gehört alles zur Anorganik. Und ich würde mal ganz dreist bezweifeln, dass in der AC kein Verständnis der Inhalte nötig ist ^^

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JoshuasFragende  31.03.2021, 21:39
@Rhenia
Was ist mit Komplexen mit organischen Liganden, MOFs und Carbiden? Graphenforschung?

Nichts ist mit denen. Die Bereiche gibt es. Ich sagte nicht, dass die AC keine Komplexität hätte. Aber OC ist nunmal komplexer. Trotzdem gibt es natürlich themen Felder, die nur in der AC vorkommen und umgekehrt.

Natürlich braucht man auch für AC verständnis des stoffs. Das war evt. etwas holbrig formuliert. Ich meinte damit eher, dass einem in der OC Auswendiglernen von Reaktionen etc kaum noch was bringt. In AC geht das noch eher. Jedenfalls meiner Erfahrung nach.

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Invictus0308  01.04.2021, 11:17

Die Durchfallquoten in dem Chemiestudium bestätigen das. In der organischen Chemie liegt die Durchfallquote regelmäßig bei 60-80%, während es bei AC bei 40-60% liegt, auch in höheren Semestern (AC3/OC3). Da war ich in einer Klausur mit einer 3.3 glatt der 3 beste :D

"Schwieriger" ist auch eine relative Aussage. Das trifft für das Verständnis denke ich zu, wenn es um die Grundzüge geht. Später, wenn du in der Forschung bist und Entdeckungen machen möchtest ist alles schwierig, egal ob AC/OC oder PC. Daher verstehe ich die Aussage: "Werden die Leute schief angeguckt, wenn sie sich für anorganische Chemie entscheiden? xD" auch überhaupt gar nicht. Ganz verschwommene Sichtweise der Dinge.

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JoshuasFragende  01.04.2021, 14:19
@Invictus0308

Kann ich gut nachvollziehen. Bei meiner Eingangsklausur hätte ich ohne den OC-Teil vermutlich 15-20% (von den Punkten her) besser dagestanden ^^

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