Muss ein Lehrer vorbildhaft sein?
Guten Abend,
ich beschäftige mich zur Zeit mit einem Klassentreffen, zu dem auch Lehrer kommen. Es kommt auch derjenige, von dem ich am meisten gelernt habe, gerade menschlich.
Er war kein "Vorbild-Lehrer"; er rauchte stark auch vor Schülern; es war bekannt, dass er sehr oft in Gaststätten unterwegs war; er stand dazu, Techno-Musik zu hören, fuhr einen dicken BMW, ätzte gern gegen andere Lehrer und den evangelischen Pfarrer (nicht ganz ohne Grund - er war der einzige, der sich das traute). In der Freizeit traf man ihn oft in Kneipen, Gaststätten und dort an, wo Techno-Musik gespielt wurde, obwohl er schon über 50 war. Wir haben ihn oft getroffen und er war immer cool. Er trug nicht sehr gepflegte Outfits, oft so einen alten Zweireiher, roch meist deutlich nach Rauch. Er stammte aus der DDR, ging offen damit um, sprach Sächsisch - er fiel an der (westdeutschen) Schule stark auf.
Er kommt auch, ist mittlerweile über 70, hat sofort zugesagt. Freue mich total, weil ich mit ihm damals schon das beste Verhältnis hatte. Wir haben zur Zeit viel Kontakt.
Er war als Lehrer immer nett, er hörte zu, er war der beliebteste Lehrer an der Schule - er war für uns als Jugendliche immer da, er hat uns ernst genommen, auch wenn's Krach mit der Freundin gab oder so was. Er war nicht falsch, er war direkt - er war einfach cool. Er konnte bei jeder TV-Serie mitreden und kannte Sunshine Live, der Aufkleber war auf seinem Auto zu sehen - es war aber nicht peinlich und angebiedert. Aber Eltern mokierten sich, weil er "kein Vorbild" sei ... der Lehrer, der ein Ossi ist und in der Kneipe hockt.
Dass er unser Klassenlehrer der 9./10. Klasse war und eine ganz junge Lehrerin, die damals 25 war, die Stellvertreterin (kommt auch^^) war mit das Beste, was passieren konnte - er war im Nachhinein der Lehrer, von dem ich menschlich am meisten gelernt habe, z.B. über Toleranz, Offenheit, Ehrlichkeit und andere Werte.
Auf das Klassentreffen freut er sich total und reist extra aus Sachsen an, wo er nach der Pensionierung wieder hingezogen ist.
Deswegen wollte ich mal ganz direkt fragen - muss ein Lehrer vorbildhaft sein, was zeichnet einen Lehrer aus und wie erklären sich die Spuren, die dieser eine Lehrer hinterlassen hat?
Danke und Grüße!
7 Antworten
Pädagogik und die Vermittlung von Wissen beruht im wesentlichen auf der "Erreichbarkeit" des Adressaten. Dich hat der Lehrer mit seiner unkonventionellen Lebensweise, Benehmen, Kleidung "abgeholt".
Muss ein Lehrer nun vorbildhaft sein ?
Das richtet sich u.a. nach seinem beruflichen Stand. Als verbeamteter Lehrer unterliegt dieser den Pflichten des Berufsbeamtentum, was auch außerdienstliches "Fehlverhalten" mit einbeziehen kann.
Lehrer haben eine Vorbildfunktion, sollen gelebt zur Nachahmung anleiten.
Geordnete Kleidung, Umgangsformen wahren und sich vor allem politisch neutral verhalten sehe ich als eine Grundvoraussetzung für das Lehramt an.
Wie vorbildlich müssen sich Lehrer verhalten? Impulse der sozial-kognitiven Lerntheorie von A. Bandura für Lehrerbildung und Schule Erscheint in: Friedrich Jahresheft 2002
https://pub-data.leuphana.de/frontdoor/deliver/index/docId/204/file/sieland1.pdf
https://www.yumpu.com/de/document/view/5565015/1-wie-vorbildlich-mussen-sich-lehrer-verhalten-impulse-der-sozial-
Ich sehe es so: Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps.
Lehrersein ist sein Beruf. Im Lehrerberuf sollte man schon im Unterricht, auf dem Schulhof, auf Schulveranstaltungen und Klassenfahrten gesellschaftsfähig sein.
Das Privatleben ist allerdings jedem selbst überlassen, auch Ehemaligentreffen sind Privatveranstaltungen.
Wenn Du das Rauchen und sein Privatleben anziehst, ist das der vorbildlichste Lehrer, den man sich vorstellen kann.
Wer sich da an diesen Oberflächlichkeiten aufhängt und sich entblödet, dahinter die absolut entscheidenden Qualitäten nicht mehr Wert zu schätzen, ist ein Idiot.
Es waren vor allem Eltern und andere ältere Lehrer, die gegen ihn schimpften - oder auch so "Etepetete-Mädels", die aber immer unzufrieden waren. Eigentlich haben ihn sonst alle gemocht, er war total beliebt bei den Schülern - und auch mit den jungen Lehrern kam er super klar. Er sagte, dass er mit einigen immer noch Kontakt hat. Auch in dem Dorf, in dem er gewohnt hat, war er beliebt.
So schwierig die Klasse war, er kam super an und wir hatten einen Partner auf Augenhöhe, zu dem wir echt gern gegangen sind. Er gab sich super viel Mühe, ging mit uns aufs Amtsgericht, organisierte Firmenbesichtigungen, alles Mögliche.
Der Rektor hat ihn übrigens erst dann so richtig respektiert, als der Getränke-Automat der Schule kaputtging und unser Lehrer ihn eigenhändig repariert hat.
Jedenfalls danke für diese schöne, gefühlvolle Personenbeschreibung, die mein Herz ein wenig erwärmt hat. 😉
Ich habe ihn nur so beschrieben, wie ich ihn erlebt habe - als grundehrlichen Mann, der es im Gegensatz zu den meisten Lehrern, die immer so schön taten, gut mit uns gemeint hat und uns als Menschen sah, nicht als Volltrottel oder dumme Kiddies. Genau das ließ er uns auch immer spüren.
Und dein Gespür für solche Dinge und fürs Wesentliche scheint Dich als Menschen auszuzeichnen.
Ein Lehrer muss die Gabe haben, das Gute im Menschen zu wecken und Positives Weitergeben können. Selber muss er danach nicht leben, denn Privates und Beruf kollidieren oft. Ähnlich beim Doktor, der seinen Patienten sagt, das Rauchen ist ungesund, es allerdings selber nicht einhält.
Ein Wegweiser zeigt die Richtung, geht aber selber nicht mit.
ich finde es sehr schön zu lesen, dass ihr ihn akzeptiert habt und so viel wichtiges von ihm lernen konntet.
schlussendlich ist er nicht nur lehrer und verbringt seine freizeit so, wie es ihm spass macht. klar muss ein lehrer ein vorbild sein, allerdings müssen schüler ihm nicht alles nachmachen, deshalb empfinde ich persönlich das nicht als schlimm, scheint ja wirklich ein cooler typ zu sein, der euch mochte, was ja einige "scheinbar vorbildliche" lehrer nicht unbedingt tun.
finde es auch sehr cool, dass er kommt, das zeigt dass er euch gerne alle wieder trifft.
Ich habe mich auch riesig gefreut - genauso sehr wie ich mich freute, wenn ich ihn vor rund 20 Jahren in der Kneipe sah oder in einem Club oder so. Er war einfach cool und es war uns als Jugendlichen auch nicht peinlich, wenn wir ihm begegneten, selbst wenn man "getrunken" hatte - dann saß man trotzdem zusammen und er hat das nicht verurteilt ... aber im Gegenzug auch geguckt, dass man nicht noch mehr trank.
Ja genau, er hat mich "abgeholt". Er war als Typ sympathisch und ich mochte ihn einfach - weil er sich offen gab und dazu stand, was er gemacht hat (Dialekt, Kleidung, Privatleben). Er gab sich keine Mühe bzw. wollte nicht so unnahbar wirken, sondern war der Typ, den man donnerstags im Club am Bahndamm traf, wo er mit den "Jungen" tanzte und lachte, obwohl er schon über 50 war. Er war einfach cool und es war uns als Jugendlichen auch nicht peinlich, wenn wir ihm begegneten, selbst wenn man "getrunken" hatte - dann saß man trotzdem zusammen und er hat das nicht verurteilt ... aber im Gegenzug auch geguckt, dass man nicht noch mehr trank.
Er war/ist ein grundehrlicher Mann, der es im Gegensatz zu den meisten Lehrern, die immer so schön taten und so nett wirkten, immer gut mit uns gemeint hat und uns als Menschen sah, nicht als Volltrottel oder dumme Kiddies. Genau das ließ er uns auch immer spüren.
Obwohl er objektiv nicht als "seriös" galt und manche Eltern ihn bedenklich fanden, die Etepetete-Mädels auch, war er in Sachen Toleranz, Ehrlichkeit und Offenheit in gewisser Weise Vorbild.
So hielt er auch zu uns, wenn wir Ärger mit anderen Lehrern hatten und sprach für uns - und es war legendär, als er den evangelischen Pfarrer, dessen Tochter bei uns in der Klasse war und eine üble Mobberin, öffentlich vor dem Lehrerzimmer der Scheinheiligkeit bezichtigt hat (war richtig so, stimmte auch!) und dann noch mit "hören Sie doch auf, Sie alter Pseudo-Pfaffe" betitelt hat. Klasse!