Märchen - warum stirbt in vielen Märchen anfangs die Mutter und dann kommt die böse Stiefmutter?

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In Maerchen lernen Kinder sehr gut zwischen gut und boese zu unterscheiden und die eigene Mutter als boese darzustellen ist fast nicht moeglich, also muss die Stiefmutter her, welche ja tatsaechlich auch in der Realitaet nicht unbedingt dieser Maerchenrolle widerspricht. Das ist uebrigends auch bei Stiefvaetern so. Vielleicht stirbt ja auch die Mutter in so manchen recht prominenten Maerchen gleich am Anfang, weil das die Aufmerksamkeit der Kinder fesselt und die Geschichte dann erst die richtige Spannung erhaelt, wo das benachteiligte Kind, dessen Mutter gestorben ist, trotz aller Widrigkeiten zu einer strahlenden Prinzessin wird. Das Gute gewinnt und das ist entscheidend in jedem Maerchen. Kinder und Erwachsene lieben den guten Ausgang und das macht die oft auftretende Grausamkeit in gewisser Weise wieder wett. Ist das nicht der Fall wie zum Beispiel bei der Originalversion von der "kleinen Meerjungfrau", wo sie sich am Ende zu Meeresschaum verwandeln muss, weil der Prinz sie nicht vor Sonnenuntergang gekuesst hat, ja das war nicht zufriedenstellend. "Ariel" ist im Prinzip diesselbe Geschichte nur mit positiven Ausgang, wie jeder weiss.

kaluma 
Fragesteller
 01.12.2011, 23:13

Ja, das wirkt logisch. Danke für den Hinweise.

Du meinst also, es handelt sich um eine Abspaltung der "bösen" (unbewußten/ bewußten negativen) Anteile der leiblichen Mutter?

Dann könnte man doch einen Schritt weiter gehen und sich fragen, was sagt das über ein Kind aus , wenn es sich immer wieder mal phasenweise Lieblingsmärchen hat? Zum Beispiel Schneewittchen und Rapunzel?

Kennst Du gute Literatur zum Thema Märcheninterpretationen? Oder sonstige Literatur zur Vertiefung in die Materie?

Würde mich freuen, von Dir zu lesen....

Liebe Grüße von Kaluma

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redstripe  02.12.2011, 04:43
@kaluma

Danke erst mal fuer den Stern, jetzt fuehle ich mich tatseachlich ein bischen wie eine Prinzessin ;) Also ehrlich gesagt kenne ich jetzt keinen Titel von echter Literatur zur Maercheninterpretation im Sinne von wissenschaftlicher Analyse und Interpretation. Ich denke aber dass es durchaus so etwas gibt und wenn Du das gern wissen willst so lass Dir doch einen Besucherausweiss an einer Universitaet anfertigen, damit bekommst Du sicher Zugang zum wissenschaftlichen Ansatz. Doch wie das halt so ist, Maerchen sind so faszinierend ( Ich hab auch schon selber welche geschrieben) dass ihre Symbolik auch andere Interpretationsweisen zulaesst. Dazu kannst Du einfach googeln. Ein nettes Beispiel, findest Du unter folgendem Link:

http://www.treblin-johannes.de/40743.html

Ich finde es interessant verschieden Sichtweisen zu kennen und sich auf verschiede Weise an dass schwierige Thema der Maercheninterpretation zu wagen. Ich denke es ist immer gut die Zeit und den Ort zu kennen, wann das Maerchen entstanden ist, dann versteht man schon viel mehr, auch wenn manche Maerchen zeitlos sind. Also dann noch viel Spass.

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Juno58  03.12.2011, 09:48
@kaluma

LITERATUR:

Tiefenpsychologische Märcheninterpretationen gibt es von Eugen Drewermann (Psychoanalytiker); toll zu lesen. Und allgemein zum Thema empfiehlt sich freilich der gute alte Bruno Bettelheim mit seinem Klassiker "Kinder brauchen Märchen"

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Hardy3  09.12.2020, 11:29
@kaluma

Wilhelm Solms, Die Moral von Grimms Märchen, WBG Darmstadt, 1999

Bruno Bettelheum, Kinder brauchen Märchen, Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart, 1977 (es gibt neuere Auflagen, ich habe diese)

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Anastasia65  09.12.2020, 11:23

Die kleine Meerjungfrau ist ein Kunstmärchen, und dort gilt das Prinzip des Volksmärchens, dass das Gute gewinnt, nicht immer.

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flunra39  09.12.2020, 11:31

Märchen sind sozial-historisch beeinflusst: Zur Zeit der Grimms usw. starben sehr viele Mütter im Kindsbett oder durch schwere Arbeit und Krankheit danach. Dem kinderreichen Vater blieb meist nur eine Zweitheirat und die wurde von den Verwandten oft als Erbschleicherei der 2.-Frau angesehen, und die Stiefmutter lag meistens im Erziehungs- das hieß: Dressur-Stress mit den Stiefkindern !

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Unbedingt Verena Kast und /oder Ingried Riedel dazu lesen, in der Tiefenpsychologie werden die Märchenfiguren subjektstufig oder objektstufig gedeutet ....... Die leibliche/gute Mutter muß sterben, damit die Heldin/Held ihren eigenen Weg findet. Natürlich auch die zwei Seiten(vgl. Jungs Schattenkonzept) gute/böse Mutter.

Ich hoffe, ich konnte dir einen kleinen Wegweiser geben - ist ein spannendes und sehr weites Feld. Viele Grüße Iris

Ich denke, da wurden auf diese Weise auch eigene Erfahrungen und Agressionen gegenüber Verletzungen aus der eigenen Kindheit verarbeitet. Durch Krankheit und Tod kam es sicher oft zu dieser Familiensituation mit der Stiefmutter. Und diese hatte wohl eher nicht das Interesse daran, eine fremde "Brut" zu unterstützen, wie es viele hier bereits ganz richtig geschrieben haben. So manches Kind wird da einen Hass auf eine solche Stiefmutter entwickelt haben und hat sich als Erwachsener in einem Märchen über diesen Misstand "Luft" gemacht.

Märchen sind sozial-historisch beeinflusst: Zur Zeit der Grimms usw. starben sehr viele Mütter im Kindsbett oder durch schwere Arbeit und Krankheit danach. Dem kinderreichen Vater blieb meist nur eine Zweitheirat und die wurde von den Verwandten oft als Erbschleicherei der 2.-Frau angesehen, und die Stiefmutter lag meistens im Erziehungs- das hieß: Dressur-Stress mit den Stiefkindern !

Maerchen haben imer eine sehr symbolische Komponente. Die Motive darin sollen gewissermassen universell verstaendlich sein. Eine Interpretion, die ich kenne, ist, dass Stiefmutter darauf verweist, dass mit dieser Mutterfigur irgendetwas problematisch ist. Sie ist ja nicht die leibliche "richtige" Mutter. Es soll also sehr schnell gesagt werdne, dass irgendetwas fasch laeuft.