Latein: Vergil - Aeneis Buch 4 V. 287-290 Analyse?

1 Antwort

Von Experte Volens bestätigt

Naja, Aeneas wird hier als alternans beschrieben - als einer, der geistig schwankt, der hin- und hergerissen ist. Deine Übersetzung mit "der Bedrängte" drückt das eigentlich nur unzureichend aus. (Vgl alternare im Georges).

Und genau dieses Schwanken sieht man auch im Text. Seine Aufzählungen sind nicht klar strukturiert, sondern, ich möchte sagen, völlig wirr:

Mnestheus ruft und Sergestus er her... und dann fällt ihm ein, dass es den Serestus ja auch noch gibt. Das ist nicht der klar kalkulierende Taktiker Aeneas.

Genauso ein Satz später:

classem aptent taciti sociosque ad litora cogant, arma parent et,: que / Komma / et

Das ist eine dreigliedrige Aufzählung von Jussiven - also Aufforderungen. (Stilmittel Trikolon). Aber die einzelnen Glieder dieser Aufzählung sind nicht durch dasselbe Muster getrennt, sondern durch drei verschiedene Kennzeichen (que / Komma / et). Das ist sprachlich extrem schlecht/untypisch. Ein ausgebuffter Rhetoriker wie Cicero würde bei so einer Sprache weinend zusammenbrechen. 😂

Auch genau das ist ein sprachliches Mittel Vergils, das beschreibt, wie schlimm der arme Aeneas "durch den Wind" ist. Verstehst du, was ich meine? Er bekommt es nicht auf die Reihe, drei klar strukturierte Befehle zu erteilen.

Hilft dir das weiter?

student777 
Fragesteller
 09.11.2021, 07:19

Vielen Dank für die Antwort. Könnte man dies denn schon als Klimax bezeichnen oder wäre es noch ein asyndetisches Trikolon?

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Miraculix84  09.11.2021, 11:01
@student777

Also es ist weder polysyndetisch noch asyndetisch, weil ja Konnektoren teilweise vorhanden sind.

Ich persönlich sehe da keine Klimax. Überzeuge mich vom Gegenteil! ;)

Ich sehe da eher eine zeitliche etwas wirre Abfolge (Stilmittel: Anachronismus), was wiederum die Zerstreutheit Aeneas' abbildet.

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student777 
Fragesteller
 09.11.2021, 11:40
@Miraculix84

classem aptent taciti sociosque ad litora cogant, arma parent et, (…)"

Hier sind doch keine Konnektoren genutzt worden oder übersehe ich etwas?

An einen Klimax dachte ich nur, da diese Textstelle ja leicht steigend ist (heimlich die Flotte zu rüsten, die Freunde am Ufer zu sammeln, Waffen zur Hand zu haben, (…)")

Die Waffen wären hierbei die „maximale Steigung“, wobei die Flotte zu rüsten und die Freunde zu sammeln noch relativ harmlos ist.

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Miraculix84  09.11.2021, 16:39
@student777

Also das que ist definitiv ein Konnektor und das nachfolgende et (vermutlich) auch. Ich schreibe "vermutlich", weil ich nicht weitergelesen habe.

Also "Flotte rüsten" => "Waffen ergreifen" ist eine Klimax. Da gebe ich dir Recht. Aber das "Leute am Beach versammeln" passt da definitiv nicht rein. Und genau das macht die Textstelle doch aus: Aeneas Gefühlswelt wird gerade dadurch charakterisiert: Aeneas ist so von der Rolle, dass er stilistisch schlecht schreibt/spricht. Gerade dass er hier KEINE vernünftige Klimax raushaut - was im Übrigen sehr leicht möglich gewesen wäre, zeigt, wie es um ihn mental bestellt ist. Er ist ein Alternans, bzw. ein Alternantissimus.😂

LG

PS: Wenn es im Abitur um die Wurst ginge, würde ich dir den Trostpunkt für die Klimax zuerkennen, wenn es hülfe. Aber überzeugt bin ich nicht. Im Gegenteil: Das Nicht-Setzen der Klimax ist hier die tiefgründigere Interpretation.

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student777 
Fragesteller
 09.11.2021, 16:44
@Miraculix84

Okay, hört sich wirklich überzeugend an und hilft mir gerade unglaublich weiter. Perfekt für eine Interpretation.

Vielen Dank dafür!

Mfg

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Miraculix84  09.11.2021, 16:52
@student777

Gerne!

Um es noch einmal zusammenzufasen:

Normal wäre bei einem Trikolon:

A)Sortierung nach zeitlicher Reihenfolge (Chronismus): Waffen schnappen, zum Strand maschieren, Schiffe auftakeln.

B) Sortierung nach Intensitätsreihenfolge (Klimax): Zum Strand kommen, Schiffe auftakeln, Waffen schnappen.

Aber Vergil wählt bewusst weder das Eine noch das Andere, um Aeneas' Geisteszustand zu charakterisieren.

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