Konnten prähistorische Menschenarten wie Homo erectus und Homo habilis sprechen?

8 Antworten

Soweit ich informiert bin, ist dies noch eine wissenschaftlich ziemlich umstrittene Frage, die auch wirklich nur schwierig zu beantworten ist. Im wesentlichen kann man da auch nur gewisse Indizien aus anatomischen Vergleichen an Fossilien und vielleicht auch durch genetische Untersuchungen an menschlichem Erbmaterial und an Spuren von solchem von frühen Menschenarten nutzen.

Wissenschaftliche Untersuchungen dazu gibt es aber reihenweise. Diverse Artikel in diesem Bereich habe ich z.B. über die Jahre hinweg schon im "Spektrum der Wissenschaft" gelesen. Vermutlich gab es in diesem Verlag auch schon Sonderhefte zum Thema.

Der homo erectus wird in der Zeit 1,5 mill. Jahre zurück datiert. Wenn wir betrachten, dass er mit primitivsten Steinwerkzeugen sein Dasein fristete, dass der aktive Gebrauch des Feuers für seine Art umstritten ist, und dass die Folgehomines auch noch sehr, sehr lange brauchten, um den "Großen Sprung" zu bewältigen (Cro-Magnon-Mensch, Aurignacien, die Höhlenmalereien der Dordogne und Lascaux), kann ich die eindeutige Bejahung dieser Frage, die hier geäußert wurde, nur ablehnen. Denn erst Sprache ist in Verbindung mit einem großen, komplex strukturierten Gehirn in der Lage, Welt zu bewältigen. Nicht nur Sprache im Kommunikationszusammenhang der Jagd und der Organisierung des Lebens, sondern als abstraktionsbefähigende Kategorie des Menschseins ermöglichte es dem modernen Frühmenschen homo sapiens, die Überlegenheit über die Natur und Konkurrenten zu erringen, die ihn dann so erfolgreich machte. Dazu gehörten denn Abstraktionsvermögen und Antizipierungsleistungen zu vollbringen.

Akustische Kommunikation ist im Tierreich weit verbreitet. Ab welcher Stufe der Entwicklung man von "Sprache" reden kann, darüber lässt sich endlos streiten. Aus meiner Sicht ist das alles Sprache. Bei den meisten Tieren ist deren Sprache bisher völlig unverstanden. Wem ist es z.B. schon aufgefallen, dass wandernde Gnus in regelmäßigen Abständen ihren Namen rufen, damit Ordnung und Zusammenhalt der Herde aufrecht erhalten werden.

Es ist gar nicht so lang her, da war als Lehrmeinung weit verbreitet, dass H. sapiens die einzige Menschenart war, die über eine Sprache verfügte. Inzwischen gilt es als sehr wahrscheinlich, dass H. neanderthalensis ebenfalls sprechen konnte. Die Belege dafür sind folgende:

1) Das FOXP2-Gen, das beim modernen Menschen notwendig für die Sprachfähigkeit ist, lag in der exakt gleichen Sequenz auch beim Neandertaler vor.

2) Die wenigen Teile des Sprechapparats, die von Neandertalern fossil überliefert sind, wie das Zungenbein stimmen mit den entsprechenden Teilen beim modernen Menschen überein, wobei allerdings umstritten ist, welche Bedeutung diese bei der Sprachbildung haben. Auch bei den für das Sprechen bedeutendsten Regionen des Gehirns, dem Broca-Areal und dem Wernicke-Areal, gibt es zwischen beiden Arten nur wenige Unterschiede.

3) Die Neandertaler bildeten komplexe Gemeinschaften, stellten Schmuck und Malereien her, organisierten sich bei der Jagd und bestatteten ihre Toten, möglicherweise hatten sie sogar spirituelle Vorstellungen. All das wäre ohne eine differenzierte Sprache schwer möglich. Auch haben die Begegnungen zwischen Neandertalern und modernen Menschen nachweislich zu Nachwuchs geführt, vermutlich fand hier auch ein verbaler Austausch statt.

Dass Neandertaler sprechen konnten, ist also stark anzunehmen. Umstritten ist allerdings, ob ihre Sprache die genau gleiche Palette von Lauten abdeckte wie die heutigen Sprachen, oder ob sie z.B. wegen ihrer Anatomie auf bestimmte Vokale verzichten mussten.

Bei der früheren Spezies H. erectus scheiden Methoden der Paläogenetik leider aus. Die Untersuchungen der fossilen Schädel deuten auf große Ähnlichkeiten zwischen den modernen Broca- und Wernicke-Arealen und den entsprechenden Gehirnregionen des H. erectus hin. Gleichzeitig wird aber auch vermutet, dass diese Art nur über sehr eingeschränkte Möglichkeiten der Lautbildung und Lautverarbeitung verfügte.

Vom H. erectus ist auch bekannt, dass er spezialisierte Steinwerkzeuge herstellte und seine Nahrung mit Feuer zubereitete. Das Herumsitzen um eine Feuerstelle könnte dabei neue Möglichkeiten der sozialen Interaktion bedingt haben, die die Entwicklung einer Sprache förderten. Auch gehen einige Forscher davon aus, dass die Bildung von Wörtern direkt an komplexe Herstellungsprozesse für Werkzeuge gebunden ist, da beide Tätigkeiten teilweise die gleichen Gehirnregionen anregen. Dabei ist allerdings fraglich, inwiefern sich diese Erkenntnisse auf frühe Menschenarten und den Ursprung beider Verhaltensweisen übertragen lassen.

Insgesamt ist es also durchaus denkbar, dass H. erectus zumindest im späten Stadium seiner Existenz eine Sprache entwickelte, dabei sind sich aber die meisten Forscher einig, dass diese nur auf beschränktem Niveau möglich war.

Bei H. habilis schließlich werden die Belege für ausgeprägte Sprachfähigkeit sehr dünn. Erwähnenswert ist nur das Gehirn, das wesentlich größer war als bei den älteren Australopithecinen, während sich die übrige Anatomie kaum von ihnen unterscheidet. Es wird von manchen Wissenschaftlern die Ansicht geäußert, dass die Evolution der Sprachfähigkeit mit H. habilis begonnen hat, aber deutliche Belege gibt es dafür nicht.

Es besteht also zusammenfassend immer noch ziemlich große Unsicherheit darüber, ob die Sprache bei H. habilis, bei H. erectus oder sogar erst beim frühen H. sapiens zuerst aufkam.

Hier noch zwei interessante Artikel zum Thema, auf die ich in meiner Antwort auch Bezug genommen habe.

http://www.lllf.uam.es/~clase/acceso_local/LgCapabili.pdf

https://www.theguardian.com/science/2010/nov/03/language-hand-toolmaking-evolution

MarkusPK  03.11.2017, 14:04

Exzellente und wieder mal hochinteressante Antwort!

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Das kann man nur vermuten. Für den Beweis bräuchte man einen bestimmten Rachenknorpel, der für die Fähigkeit zu Sprechen erforderlich ist. 

Diese Knorpel verrotten mit der Zeit. Und nur anhand der Skelette, die maan findet, lässt sich die Frage nicht beantworten.

Man darf aber davon ausgehen, da Kommunikation via Sprache ab einem bestimmten Entwicklungsstand unerlässlich ist.