Kommt "man" von "Mann"?

6 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Ich habe statt dessen manchmal auch "frau" gesagt, wenn es ausschließlich um Frauen oder ein Frauenthema ging. Da inzwischen auch das Wort "Menschin" erfunden wurde, ist auch "mensch" nicht korrekt gegendert. Durch diesen ganzen Genderunsinn verwende ich inzwischen doch lieber wieder "man".

Wer heute perfekt gendern will, sagt zum Beispiel nicht mehr "Man sollte das nicht tun" sondern "Mensch sollte das nicht tun".

Das ist eine sehr radikale Position und mir ist bisher noch niemand begegnet, dier das ernsthaft fordert.

Ich selbst formuliere auch eher inklusiv, wozu auch "Gendern" in verschiedenen Formen gehört, und verwende gerne mal das Wörtchen "man", um kein Geschlecht zuweisen zu müssen. Wobei Aussagen mit "man" mit Vorsicht zu verwenden sind, weil sie eher als allgemeingültig daherkommen. Das ist in diesem Fall der wichtigere Aspekt und das würde man/frau/mensch durch ein anderes Wort auch nicht ändern - eher im Gegenteil, solange "mensch" (oder "frau") als Pronomen herausstechen und im Wortsinn verstanden werden würde.

Als zusätzliche Option kann "mensch" gerne in der Werkzeugkiste sein.

Mir ist auch kein Nachweis dafür bekannt, dass das Wort "man" das Bild im Kopf verzerrt, und genau dieses Bild im Kopf (der sog. male bias) ist für mich eines von zwei Hauptargumenten r das "Gendern". Wenn ich schreibe, möchte ich, dass die Leserschaft mein Bild sieht und das zeigt nicht nur Männer.

Aber das war ja gar nicht die Frage. 😅

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – staatl. gepr. Übers. und absoluter Sprach(en)nerd
Winkler123 
Fragesteller
 02.11.2021, 02:00

In der linken Szene ist es Standard "Mensch" statt "Man" zu schreiben.

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Kommt historisch die Schreibweise "man" eigentlich von "Mann" ?

Wie man es nimmt: seinen Ursprung hat das Wort "man" im Lateinischen "homo". "Homo" in der Grundbedeutung heißt "Mensch", im Plural "Menschen, Leute", es kann in selteneren Fällen auch "der Mann" bedeuten und hat dann zumeist noch ein maskulines Hinweiswort bei sich, z. B. homo adulescens (ein junger, unerfahrener junger Mann), homo senex (ein lebenserfahrener Greis), homo Romanus (ein Mann aus Rom).

Im Wörterbuch der deutschen Sprache von Grimm wird ausgeführt:

"man, seit der mhd. zeit im gebrauche nur auf den nominativ eingeschränkt, sagt ohne bezug auf ein bestimmtes subject im allgemeinen aus, was zugleich von mehreren gelten kann (gramm. 4, 220); bei dieser allgemeinheit ist eine mehrheit verstanden, man menschen, leute" ( https://woerterbuchnetz.de/?sigle=DWB#4 ).

Insofern ist "man" im gewöhnlichen Sprachgebrauch schon seit sehr langer Zeit nicht auf ein bestimmtes Geschlecht beschränkt, sondern geschlechtsneutral. Nur aus dem Zusammenhang ergibt sich, ob "man" Männer, Frauen oder eine gemischte Gruppe von Menschen bezeichnet. Insofern erübrigt sich das Gendern!

MfG

Arnold

Woher ich das weiß:Hobby

Ja, das Indefinitpronomen man ist einfach nur eine unbetonte Form von Mann. Aber das Wort Mann steckt auch in vielen anderen deutschen Wörtern drin, insbesondere in Mensch (←männisch). Das Ersetzen von man durch frau oder mensch ist folglich eine halbe Sache.

Über die sprachlichen Zusammenhänge habe ich schon ein paar Male hier geschrie­ben. Ich kopiere hier zur weiteren Nachlese einfach zwei alte Antworten von mir rein:

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Es ist richtig, daß das Indefinitpronomen man und das Substantiv Mann denselben Ursprung haben — das Pronomen ist vom Substantiv abgeleitet (als unbetonte Vari­an­te), und zwar zu einem Zeitpunkt, als Mann noch allgemein ‘Mensch’ bedeuten konn­te. Heute hat sich die alte, weitere Bedeutung von Mann weitgehend verflüch­tigt, man sieht sie nur noch an ein paar Relikten, z.B. Mannschaft oder Formu­lie­run­gen wie „Das Schiff ist mit Mann und Maus untergegangen“ (=mit allen Leuten an Bord).

Also ja, die Sprache zeigt, daß Männer als die dominierende Hälfte der Menschheit ge­sehen wurden. Deutsch hatte die längste Zeit nicht einmal eine generelle Bezeich­nung für „erwachsene weibliche Person“.

  • Frau bedeutete im Mittelalter „Ehepartnerin eines hochstellten Mannes“, später all­gemein „verheiratete weibliche Person“
  • Weib war im Mittelalter jede verheiratete Frau und behielt diese Bedeutung bis ins 19. Jahrhundert; heute wird es überwiegend abwertend gebraucht.
  • Dame ist ein französisches Fremdwort (letztlich von lat. domina ‘Herrin’) und stand die längste Zeit nur für adelige Frauen (abgesehen von ironischem Ge­brauch).
  • Unverheiratete Frauen hießen bis in 19. Jahrhundert „Mädchen“, und zwar unab­hän­gig vom Alter.
  • Erste seit der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts ist es üblich, erwachsene weibliche Per­so­nen unabhängig von Alter und Ehestand als Frau zu bezeichnen.

Aber das Indefinitpronomen ist nicht die einzige Erinnerung an die häßliche Ver­gan­gen­heit. Denn der patriarchalische Mann steckt nicht nur in Mann, sondern auch in Zu­sam­men­setzungen wie jemand und niemand, und natürlich auch in Mensch (←män­nisch ‘von der Art eines Mannes’). Mit diesem schwierigen Erbe müssen wir wohl le­ben, oder kann sich irgendjefrau einen Ersatz dazu ausdenken, um der Per­so­nen­heit ei­ne Spra­che zu schenken, in der nieperson diskriminiert wird?

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Das Substantiv Mann und das Indefinitpronomen man sind etymologisch verwandt. In dieselbe Gruppe gehört auch Mensch (←männisch), weil das germanische mann alle Menschen, und nicht nur die männlichen Geschlechts, bezeichnete. Heute ist das nur noch in Sonderfällen möglich, so kann z.B. auch ein Schiff voller Frauen mit Mann und Maus untergehen, man sagt also nicht mit Frau und Frettchen.

Man findet das Wort auch in anderen indogermanischen Sprachen, z.B. Saṁskr̥t मनुष्य manuṣya ‘Mann’, ‘Mensch’, als Adjektiv auch ‘menschlich’. Im Slavischen kann das Wort nur für einen Mann stehen, z.B. bulgarisch мъж măž ‘Mann, Ehemann’.

Dem Wort scheint also von altersher zwischen beiden Bedeutungen ‘Mensch’ und ‘Mann’ zu pendeln. In diesem Sinn ist es ein fossiler Beleg dafür, daß Männer einmal als die Default-Menschen angesehen wurde, also als das Normale, wie ein Mensch eben ist. Sehr frauenfreundlich ist das nicht.

Andererseits ist es selten erfolgversprechend, an einem komplizierten System wie der Sprache herumzudoktern (Orthographiereform, ich blicke auf Dich!). Dasselbe böse sexistische Mann steckt auch in jemand, und gibt es irgendjefraud, die sich dafür ein Ersatzwort ausdenken kann?

Woher ich das weiß:Hobby – Angelesenes Wissen über Sprach­geschich­te und Grammatik
Winkler123 
Fragesteller
 31.10.2021, 03:06

Danke für die kompetente und sehr umfangreiche Antwort. - Aber dann nütz es Frauenrechtlerinnen gar nichts, wenn "man" durch "Mensch" ersetzt wird ...

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indiachinacook  31.10.2021, 03:26
@Winkler123

Aus meiner Sicht hast Du das ganz richtig erkannt. Aber wenn Du versuchst, mit der belegten Etymologie zu punkten, dann würden Dir Genderfanatiker (die durch­aus nicht immer Frauen sind) vermutlich ungefähr so antworten:

„Das mag stimmen, ist aber irrelevant, weil abgesehen von ein paar Nerds nie­per­son die Sprach­geschichte kennt. Es zählt nur, was die Leute wirklich denken, wenn sie Sprache benutzen. Die Ähnlich­keit zwischen man und Mann springt ins Auge, ist also unter­bewußt wirk­sam und schließt Frauen daher wirklich aus. Da­gegen denkt nie­mand und nie­frau an Mann, wenn das Wort Mensch fällt. Folg­lich ist Mensch unproblematisch.“

Diese „Argumentation“ setzt voraus, was sie beweisen will, nämlich das Sprecher beim einen Wort eine Assoziation zu Mann herstellen und beim anderen nicht. Sie bietet keinen Beweis, daß das für alle oder zumindest die meisten Sprecher so ist, weil ein solcher Beweis grund­sätzl­ich nicht erbracht werden kann. Insbesondere kann man die Leute nicht di­rekt da­nach fragen, denn nach Jahrzehnten der Dis­kus­­sion über „gendergerechte“ Spra­che kennt fast jeder den Disput, und die Ant­worten erfolgen daher entlang ideo­lo­gi­scher Linien.

Menschen verfallen einer Ideologie nicht aufgrund irgendwelcher Argumente, son­dern aufgrund von Per­sön­lich­keits­merkmalen oder gesellschaftlichen Ein­flüs­sen oder per­sön­lichen (an­ek­do­ti­schen) Erfahrungen. Daher kriegt man Leute gewöhnlich auch nicht mit Ar­gu­menten aus einer ideologischen Sackgasse heraus.

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Winkler123 
Fragesteller
 31.10.2021, 03:29
@indiachinacook

Du kennst dich sehr gut aus, erstaunlich ! Bist du in der linken Szene oder bei Grünen oder Klimaschützern unterwegs oder hast du ein Kind, dass so denkt ?

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indiachinacook  31.10.2021, 03:35
@Winkler123

Ich lese viel, und ich kenne die Argumentationsmuster aus vielen Gesprächen — ich betrachte mich selbst als links aber nicht blöd oder verbohrt oder moralinsauer, und es kommt schon mal vor, daß ich eine Stunde mit einem Holocaust-Leugner am Tisch sitze und disku­tiere (ja, manche davon haben durchaus gute Manieren, und das reicht mir als Voraussetzung für ein Gespräch). Letztlich bin ich neugierig und will ja raus aus meiner Echoblase.

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Winkler123 
Fragesteller
 31.10.2021, 03:38
@indiachinacook

Ich bin aktiver Linker und genauso, wie du geschrieben hast "nieperson, irrelevant etc." kenne ich die Sorache von jungen Mädels bei uns ... erstaunlich ... !

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BerlinerBock  01.11.2021, 13:07
@Winkler123

Lol. Statt man zu sagen machen viele saus Spaß. Frau. Frau sollte das nicht tun. Hahaha

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VanLorry  01.11.2021, 04:20

Danke! Sehr aufschlussreich!

Streng genommen ist die verwendung des Begriffs "Frau" dann ja auch nicht wirklich im Sinne des Feminismus, oder? Schließlich bezeichnet er ja historisch lediglich "die weibliche Person an der Seite des Mannes" ... ^^

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indiachinacook  01.11.2021, 04:58
@VanLorry

Die Wurzel von Frau ist dieselbe wie in Frondienst und Fronleichnam, hat also etwas mit Herrscher zu tun — sie ist die Person an der Seite des frô, also des Chefs (in der Praxis eines Feudalherren). Nach Ende des Mittelalters fiel die männliche Form außer Ge­brauch, und die weibliche wurde auf jede Frau an der Seite eines Mannes verallgemeinert.

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Ja, "man" und "Mann" sind etymologisch verwandt. Das bedeutet aber nicht, dass jede Person, die gendert, "man" durch etwas anderes ersetzt, bzw. das "perfektes Gendern" ohne "man" auskommen muss.

Woher ich das weiß:Berufserfahrung – ich forsche als Linguist zum Thema "Gender(n)"
Winkler123 
Fragesteller
 01.11.2021, 04:03

Ich kenne viele Leute, die gut gendern wollen. Alle schreiben "Mensch" statt "Man". - Das geht soweit, dass ein junges Mädchen, als sie wissen wollte ob auch andere bei einer Demo sind, geschrieben hat : "Ist jemensch da".

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rei2017  01.11.2021, 18:08
@Winkler123

Wie wär's mit "jens"? ens ist der Mittelteil von "Mensch" ;-)

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Winkler123 
Fragesteller
 01.11.2021, 04:07

Da frage ich mich ob aus sprachwissenschaftlicher Sicht ein Wort wie "jemensch" als klar falsch angesehen wird.

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MiaBaldessarini  01.11.2021, 05:41
@Winkler123

Sprachwissenschaftler:innen sagen nicht, wie man etwas richtig macht. Sie beschreiben und analysieren, wie Sprache benutzt wird.

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MiaBaldessarini  02.11.2021, 06:05
@Winkler123

Gerne!

Sprache verändert sich ja auch ständig, und man kann ja nicht etwas als richtig oder falsch ansehen, weil es vor hunderten oder tausenden von Jahren so genutzt wurde.

Allerdings wird das, was von Sprachwissenschaftler:innen beschrieben wird (man sagt auch:deskriptiv, also beschreibend), dann oft von anderen als Vorschrift oder Regel ausgelegt (hier spricht man von präskriptiv, vorschreibend).

Der Duden zum Beispiel nimmt ja regelmäßig neue Wörter auf, eben weil sie benutzt werden. Aber dann wird es plötzlich als (nur so) richtig wahrgenommen. Ein (ganz) anderes Beispiel, weil es nicht sprachwissenschaftlich ist, ist der Knigge 😬 Der wollte eigentlich auch keine Vorschriften machen 🤷🏻‍♀️

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Winkler123 
Fragesteller
 06.11.2021, 05:51
@MiaBaldessarini

Ich dachte immer, ich wäre sprachlich absolut Top. Bis ich deine Beiträge gelesen habe. - Ein Bekannter hat mal den Satz gesagt : "Auf einen Guten kommt ein Besserer" ;-)

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