Könnte es sein, dass wir das Weltall von zwei Seiten sehen?

2 Antworten

Die neuesten Entdeckungen mittels des James Webb Teleskops verblüffen die Fachwelt

So funktioniert Forschung nicht.

Klein Fritzchen denkt: JWST macht ein paar Bilder, darauf sieht das Universum größer aus als gedacht und Forscher kriegen große Augen und Gänsehaut. Darin wird Klein Fritzchen von gleichfalls ahnungslosen Journalisten bestärkt, denen auch alles egal ist, wenn sie nur Sensationen liefern können.

Was wirklich geschieht: JWST macht Bilder, die von den Forschungsteams (den gleichen, die Beobachtungszeit am JWST gebucht haben) hinsichtlich Leuchtkraft- und Winkeldistanzen* ausgewertet werden. Daraus folge ggf geänderte Feinabstimmungen des Hubbleparameters, der Bremszahl und anderer Parameter, aber keine Revolutionen. Dann schreiben diese Teams Publikationen in Fachzeitschriften (dh zB in Astronomy And Astrophysics, nicht im Spiegel, Focus oder der Bildzeitung), die von anderen Teams gereviewt, verifiziert bzw falsifiziert werden. Das dauert idR einige Jahre, bis dahin hat Klein Fritzchen die Sache längst vergessen.

Klein Fritzchen ist natürlich nicht abgehängt, denn es kostet nur ein wenig Anstrengung, die recht einfache Mathematik zu verstehen hinter der...

Hubblekonstante

Unter der Annahme einer linearen Ausdehnung des Universums ist der Skalenfaktor a(t) =D(t)/D0 einer beliebigen Distanz D und der Distanz D0 zum Zeitpunkt t0 im Universum linear abhängig von der Zeit t:

a = da/dt*t (1) mit einer Ausdehnungsgeschwindigkeit

da/dt = H*a (2)

Der Faktor H ist die Hubblekonstante (die besser Hubbleparameter heißen sollte, weil sie nicht konstant ist - in der Tat folgt aus einer linearen Ausdehnung konstante Ausdehnungsgeschwindigkeit da/dt und damit H = 1/t mit 1 in 2 eingesetzt), hat beim Urknall eine Polstelle und nimmt seitdem ab, wird aber nie null.

Kosmologischer Horizont

Man kann nun mit der Lichtgeschwindigkeit c einen Radius rH = c/H definieren, der Hubbleradius genannt wird. Für D = rH ist die Geschwindigkeit v(rH) = c, d.h. theoretisch entfernen sich Objekte in dieser Entfernung mit Lichtgeschwindigkeit von uns (die Spezielle Relativitätstheorie gilt nur lokal und wird dadurch nicht verletzt), und man könnte meinen, dass man dann diese Objekte nie mehr sehen kann, weil ihr Licht nicht gegen die Expansionsgeschwindigkeit ankommt, aber:

1. Licht direkt hinter rH kann es, einmal ausgesandt, mit der Zeit innerhalb von rH schaffen und uns letztlich doch erreichen - die korrekte Rechnung beinhaltet eine Integration der Bewegung mitbewegter Koordinaten und des Lichtsignals von t0 bis unendlich und führt hier zu weit - außerdem...

2. ist die o.g. Annahme der linearen Ausdehnung falsch. Die Ausdehnung unterliegt bremsenden und beschleunigenden Einflüssen (zB die Massendichte einschl. dunkler Materie vs. dunkle Energie), deren Stärke nicht zeitlich konstant war oder sein wird. In Abhängigkeit von diesen Einflüssen kann der Kosmologische Horizont sich bei vorwiegender Bremsung weiter ausdehnen und mehr Objekte sichtbar machen, oder bei vorwiegender Beschleunigung schrumpfen und mehr Objekte verbergen.

Aus diesen beiden Gründen liegt der Kosmologische Horizont nicht beim Hubbleradius, sondern nach aktuellem Stand etwas dahinter (etwa 16 Mrd LJ statt 13,4 Mrd LJ). Mit weiterer Ausdehnung des Universums und sinkender Massendichte könnte die Beschleunigung gewinnen - dann würde der Hubbleparameter auf einen konstanten Wert sinken: die Lösung für die Differentialgleichung da/dt = const*a ist dann eine exponentielle Ausdehnung, die den Kosmologischen Horizont schließlich bis auf gravitativ direkt gebundene Strukturen schrumpfen ließe, und die Reste der Vereinigung aus Milchstraße und NGC224 wären allein in der Dunkelheit.

Partikelhorizont.

Wo aber sind die fernsten Objekte, die wir jetzt schon sehen, wirklich? Als ihr Licht ausgesandt wurde, dh kurz nachdem das Universum transparent wurde, waren sie nur einige Mio LJ entfernt. Während ihr Licht im Raum zu uns unterwegs war, bewegte sich dieser Raum aber mit der Expansionsgeschwindigkeit von uns weg und verlängerte die Reisezeit des Lichtes (und seine Wellenlänge), bis das Licht schließlich hier ankam; inzwischen haben sich die damals aussendenden Objekte bis zum sog. Partikelhorizont entfernt (ca 46 Mrd LJ), also weit hinter dem Kosmologischen Horizont.

*) Es gibt zwei Distanzen ferner Galaxien:

Die Entfernung, die aus der Leuchtkraft ferner Objekte mit bekannter Helligkeit (sog Standardkerzen, zB Supernovae) folgt (Luminosity Distance rL)

Die Entfernung, die aus dem Winkel folgt, in den ein Objekt bekannter absoluter Größe passt (Angular Distance rA).

Mit Hilfe der Rotverschiebung z gibt es eine einfache Beziehung zwischen beiden, Etherington's Distance Duality Equation (die vom genauen Expansionsmodell unabhängig ist:

rA/rL = 1/(1 + z)^2

Daraus folgt, dass in der Nähe, für z << 1, die Winkelentfernung sich etwa so verhält wie die Leuchtkraftentfernung, dass also entferntere Objekte gleicher Art kleiner erscheinen, wie gewohnt, dass für größere z aber die Winkelentfernung hinter die Leuchtkraftentfernung zurückfällt und die Objekte nicht mehr kleiner erscheinen. rA nimmt also mit wachsender Entfernung ab und die Objekte erscheinen sogar wieder größer.

Eine anschauliche Begründung ist, dass eine Galaxie wegen ihrer gravitativen Bindung zwar ihre absolute Größe beibehält, ihr Abbild aus ausgesendetem Licht aber der Expansion folgt und sich auf der Reise zum Beobachter um den gleichen Faktor (1 + z) aufbläht wie die Wellenlänge.

CatsEyes  26.02.2023, 08:39

Bei allem Respekt vor Deinem Wissen: Die Aspekte bez. Dunkler Materie, - Licht sind da aber nicht eingeflossen, diese sind meines Wissens noch längst nicht ge-, erklärt. Gestandene Wissenschaftler meinen durchaus eh auch, es könnte Zeit sein für ein neues, erweitertes Weltbild, welches natürlich nicht gegen die bisherigen Beobachtungen spricht.

Ich finde es immer so schade dem doofen "klein Fritzchen" mit bisherigem Wissen knallhart jegliche Freude zu nehmen, obwohl es keine neue Erkenntnis ist, dass aktuelles Wissen niemals das Endstadium sein wird.

Du stellst anhand Deines Wissens nur (das aber natürlich gut) dar, dass es partout nicht geht; ich wünschte mir, dass es Leute gibt, die auch mal die ungeklärten Dinge da mit einbeziehen, kreativer denken, eben mit Einbeziehung des bislang Ungeklärtem, ohne gleich "Schwurbelei" zu rufen.

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segler1968  26.02.2023, 09:01
@CatsEyes

Oh, wir Physiker sind sehr, sehr kreativ! Kein Mensch käme „einfach so“ auf so „abstruse“ Dinge wie Allgemeine Relativitätstheorie oder Quantenmechanik. Es werden selbstverständlich ungeklärte Dinge einbezogen. „Dunkle Materie“ und „dunkle Energie“ sind ja Konstrukte von Physikern, weil es dafür noch keine Erklärung gibt. Rechnen tun wir trotzdem damit.

Du hast natürlich Recht, dass man Unwissenden helfen und ihren Wissensdurst nicht abwürgen sollte. Ich möchte hologence aber etwas entschuldigen: Es gibt zu viele Fragesteller, die eben doch schwurbeln: Flache Erde, keine Mondlandung, Aliens auf der Erde, Kolonisierung des Weltalls, Chemtrails und Homöopathie. Um nur einige zu nennen. Das ist man irgendwann einfach leid. Aber hologence hat ja sachlich sehr gut geantwortet und sich Mühe gegeben, das zu erklären.

Deine Fragestellung ist ein wenig auf der Grenze: Nicht völlig abstrus, aber wissenschaftlich unhaltbar. Wie hologence ja erklärte. Hypothetisch könnte der Raum durchaus so gekrümmt sein, dass man sich selber sähe. Oder auch Zeitreisen möglich wären! Zum Beispiel erfüllt das „Gödel-Universum“ auch die Einsteinschen Feldgleichungen (https://kurtgoedel.de/cms-83FO/wp-content/uploads/2021/10/4-Die-philosophische-Bedeutung-des-Goedel-Universums.pdf für mehr), nur widerspricht es eben fundamental den Messungen. Das ist der Unterschied zwischen hypothetisch und theoretisch. Eine Theorie muss in der Wissenschaft mit den Messungen vereinbar sein.

Also um Deine Frage zu beantworten: Nein. Das kann nicht sein.

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CatsEyes  26.02.2023, 09:38
@segler1968

Gut, dass ich ja die Frage gar nicht gestellt hatte.. ;--))) Aber danke für Deine Kommentierung.

Stimmt natürlich, es wird leider oft wirklich geschwurbelt wie Du ja auch aufgezählt hattest, da sind die Grenzen aber auch nicht exakt zu setzen.

Vielleicht ist die Grenze darin zu sehen, dass Schwurbler von sich und ihren "Theorien" überzeugt sind. In dieser Hinsicht unterscheide zumindest ich mich aber: Ich denke einfach nur nach, behaupte nichts, stelle bestenfalls Fragen, eigene Gedanken

<<< Eine Theorie muss in der Wissenschaft mit den Messungen vereinbar sein. >>> Das auf jeden Fall, das ist Bedingung, klar.

Mich interessieren solche Themen sehr, auch wenn ich kein Physiker bin, total ungebildet bin ich aber keineswegs, hätte da so etliche Gedankengänge, von denen ich keinesfalls behaupte, dass sie stimmen müssen, sondern einfach nur durchdiskutieren würde, wo da grundsätzliche Fehler, Unbedachtheiten sind. Sowas kostet natürlich Zeit, warum sollte wer auch immer seine Zeit damit verschwenden...

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JWDHF 
Fragesteller
 26.02.2023, 09:47
@CatsEyes

Danke für Deine moralische Unterstützung. Ich lese ja recht viel zum Thema Astronomie/Astrophysik und wenn man sich die Nomenklatur mal ansieht wie z.B. dunkle Materie, schwarze Löcher, dunkle Energie und gewickelte Dimensionen, dann erweckt diese Wissenschaft nicht nur auf ein "Klein Fritzchen" manchmal den Eindruck einer magischen Lehre, so als ob das Grundsätzliche uns derart entzieht, dass wir nur magisch staunen können ...Ein Physiker sagte mal: "Die Abstände im All sind die Quarantäne Gottes." Dieser Spruch hat was, meine ich.

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JWDHF 
Fragesteller
 26.02.2023, 09:54
@segler1968

Was, die Erde ist nicht flach? Aber wenn ich nach Kiel fahre, hier von Zürich aus, gehts doch immer gerade aus! Das verstehe ich nicht ... ;-)

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segler1968  26.02.2023, 11:37
@CatsEyes

Ups, hatte Dich mit dem Fragesteller verwechselt :) Es ist schon richtig: Die Grenzen sind nicht exakt zu setzen und hängen ja auch vom Erwartungshorizont ab: Ein Kindergartenkind darf gerne an eine flache Erde glauben. Wer das als Erwachsener noch tut ist halt ein Schwurbler. Und von einem Naturwissenschaftler erwarte ich dass er weiß, das Wolken aus Tropfen und nicht aus Wasserdampf bestehen. Bei anderen Menschen bin ich da nachsichtiger und erkläre das gerne.

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JWDHF 
Fragesteller
 26.02.2023, 09:36

Klein Fritzchen? Das könnte ich ja schon als Beleidigung empfinden ... nun, zum Glück heisse ich nicht Fritz...meine Frage bezog sich übrigens auf diese Meldung: https://www.gmx.ch/magazine/wissen/weltraum/entdeckung-james-webb-teleskops-erschuettert-bild-universums-37853164

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hologence  26.02.2023, 10:45
@JWDHF

Klein Fritzchen steht stellvertretend für alle interessierten Laien, die durchaus das Recht haben, über laufende Forschung (für die sie teilweise Steuern zahlen) informiert zu werden, aber was sie statt dessen bekommen ist nicht Information sondern Unterhaltung (und dazu zählt auch die verlinkte Quelle - für seriöse Information muss man Geld in die Hand nehmen, nicht unbedingt über 3000€ im Jahr für Astronomy And Astrophysics, aber deutlich weniger zB für ein Abo von Spektrum der Wissenschaft). Leider sind sie daran teils selbst schuld, weil Information anstrengender ist als Unterhaltung - sie erfordert schließlich ständig fundamentales und abstraktes Umdenken, und dafür ist die Aufmerksamkeitsspanne heute nicht mehr so lang.

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Auf irdische Verhältnisse angewandt wäre das so, als ob wir z.B. den Eifelturm zugleich von zwei Seiten sehen, weil wir dessen reflektiertes Licht auch anders herum um die Erde gelaufen ist.

Das wäre nicht möglich, da wir nichts sehen können was hinter uns ist. Mal ganz abgesehen davon dass Licht die Krümmung der Erde nicht interessiert und nicht um die Welt wandert. Auch die Gravitation der Erde wäre nicht stark genug um Licht derart zu beeinflussen.

Mit dieser Logik stirbt auch schon der gesamte Rest der Theorie.

JWDHF 
Fragesteller
 26.02.2023, 09:40

Das war nur veranschaulichend gemeint. Ich überlegte, ob, wenn das All sich kugelförmig ausdehnt, es wegen der ganz ausserordentlichen Schwerkraft-Verhältnisse sein könnte, dass Licht eben auch von einer anderen Seite her kommen könnte, so als ob der Raum vier Dimensionen hat. Es war ja auch nur eine Überlegung ...

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