Karikatur über Mussolini?

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Von Experte Neugier4711 bestätigt

Die Karikatur ist auf dem Titelblatt einer deutschen Satirezeitschrift erschienen. „Eulenspiegel“ verstand sich als Zeitschrift, die für die Interesse der Arbeiterschaft/des werktätigen Proletariats kämpft. Dabei hatte sie kommunistische Tendenzen.

Auf der (an den Rändern etwas abgeschnittenen) Abbildung steht oben:

„BERLIN, JULI 1928 PREIS 30 PFENNIG 1. JAHRGANG NR. 4“

darunter (teilweise verdeckt):

„EULENSPIEGL

ZEITSCHRIFT FÜR SCHERZ, SATIRE, IRONIE UND TIEFERE BEDEUTUNG“

Unten ist die Bildunterschrift:

„CAESAR MUSSOLINI:

Caesar führte seine Legionen bis ans Rote Meer – Ich aber werde aus der ganzen Welt ein rotes Meer machen!“

Auf der rechten Seite steht „Zeichnung: CHARLES GIROD“.

Charles Girod (https://de.wikipedia.org/wiki/Charles_Girod) ist also der Zeichner der Karikatur.

Dargestellt wird Benito Mussolini, seit 1921 Vorsitzender der Partito Nazionale Fascista, seit 1922 Ministerpräsident im Königreich Italien, „Führer“ (italienisch: Duce) einer seit 1925 diktatorischen faschistischen Einparteiendiktatur.

Mussolini erscheint mit satirischer Zuspitzung in einer seiner typischen Posen. Der Kopf ist im Verhältnis zu den realen Maßen am größten abgebildet, der Rumpf etwas kleiner, die Beine deutlich am kleinsten.

Seine Kleidung ist dunkel bis auf hellere Stiefel, die Absätze haben (vielleicht eine Andeutung von Eitelkeit, seine Körperlänge von 1, 69 m künstlich erhöhen zu wollen). Das Gewand hat einen Bausch und ist damit einer römischen Toga angeähnelt. Auf seiner linken Schulter trägt er einen römischen Feldherrenmantel (lateinisch: paludamentum). Von eine Hals hängt an einer langen Schnur ein Abzeichen oder Schmuckstück herab, das ein Totenkopf ist (bei den Schwarzhemden [italienisch: camicie nere] ist unter anderem einen Totenkopf als Symbol verwendet worden).

Gestik und Mimik sind auffällig. Mussolini hat seine Arme kreuzweise über der Brust verschränkt. Sein Kopf ist leicht nach hinten geneigt, das kantige und stark ausgeprägte Kinn stolz und kämpferisch nach vorn gereckt, die Unterlippe vorgeschoben, die Lippen sind zusammengepresst die Mundwille zeigen nach unten, einige untere Gesichtsteile sind wulstig, die Augenbrauen sind zusammengezogen, was zu einer scharfen Stirnfalte führt, die Lider nach unten gezogen, die Augen dadurch fast vollständig geschlossen (dies ist tatsächlich in Mussolinis Reden bei kurzen Pausen vorgekommen; vgl. Gianluca Pedrotti, Diktatur der Rhetorik oder Rhetorik der Diktatur : gezeigt an ausgewählten Redesituationen von Mussolini und Hitler. Berlin : Frank & Timme, Verlag für wissenschaftliche Literatur, 2017 (Kulturen - Kommunikation - Kontakte ; Band 26), S. 220 – 221).

Mussolini drückt Selbstsicherheit und gesammelte Energie aus, er zeigt Selbstvertrauen und Arroganz. Er scheint sich in Bezug auf Erfolge und unwiderlegbare Wahrheit und Überzeugungskraft seiner Äußerungen sicher zu sein.

Die Bezeichnung „Caesar Mussolini” weist auf eine imperialistische Politik hin, die sich in der Nachfolge antiker römischer Kaiser in einer Zeit, als das römische Reich eine Weltmacht war, sieht (Caesar ist zuerst ein Name gewesen und wurde von einem Namenbestandteil römischer Herrscher zu einem Titel).

Es folgt eine großspurige und aggressive Aussage, die Mussolini in den Mund gelegt wird: „Caesar führte seine Legionen bis ans Rote Meer – Ich aber werde aus der ganzen Welt ein rotes Meer machen!“ Dies deutet auf eine Absicht zu massenhafter Tötung (Welt rot von Blut). Ein antikes Vorbild wird übertrumpft. Im Hintergrund stehen links vier Galgen und rechts drei Galgen, an denen hingerichtete Menschen hängen. Diese können als sozialistische und kommunistische Opfer Mussolinis in Italien verstanden werden. Weitergehend kann aber aufgrund der darunter stehenden Aussage auch an eine Bedrohung in anderen Stataten und an eine militaristische und imperialistische Außenpolitik gedacht werden. Mussolini wird als jemand mit Absichten zu Eroberung und Krieg dargestellt. Dabei wird auf antike römische Kriegstaten Bezug genommen (ohne große Genauigkeit, weil Gaius Iulius Caesar 48 – 47 v. Chr. nur mit einer kleinen Streitmacht in Ägypten war, nicht mit mehreren Legionen, und sie auch nicht direkt bis ans Rote Meer geführt hat).

Italien hatte seit 1890 eine Kolonie Italienisch-Somaliland (italienisch: Somalia Italiana) und seit 1908 eine Kolonie Eritrea (italienisch: Colonia Eritrea). Diese Gebiete lagen in der Gegend vom Golf in Aden/Horn von Afrika und vom Roten Meer. 1925 – 1927 hat Mussolini dort einen Kolonialkrieg zur Eroberung der somalischen Sultanate Hobyo und Majerteen geführt. Dies könnte eventuell bei der Karikatur hineinspielen.

Vielleicht ist auch beabsichtigt, einen Gedanken an eine biblische Geschichte zu erwecken, dem Auszug der Israeliten aus Ägypten unter Führung von Moses, dem Entkommen durch ein sich teilendes Meer/Schilfmeer, das sich wieder schließt und in dem verfolgende Truppen des Pharao umkommen (Bibel, Altes Testament, 2. Buch Mose [Exodus], Kapitel 13 – 15; Neues Testament, Apostelgeschichte 7, 36 und Hebräer 11, 29 als Rotes Meer verstanden).

Der rote Hintergrund kann einen Eindruck als rotes Meer erzeugen, der Abschnitt eines Untergrundes, auf dem Mussolini steht und auf dem Galgen errichtet sind, ist dunkel. Die Farben schaffen ein Gefühl von Bedrohung.

Die Darstellung Mussolinis ist offenbar dazu gedacht, Ablehnung hervorzurufen und ihn und den Faschismus als Bedrohung, insbesondere für sozialistische und kommunistische Arbeiterschaft, zu empfinden. Mussolini wirkt in seiner arroganten Pose hässlich, brutal und überheblich. Seine Politik ist gewalttätig.

Die ihm in den Mund gelegte Aussage ist erfunden, aber mit Bezug zur Ideologie/Weltanschauung. Mussolini hat das Leben wesentlich als Kampf verstanden und dabei eine sozialdarwinistische Einstellung gezeigt. Der faschistische Staat ist seiner Auffassung nach ein Wille zur Macht und zur Herrschaft/zum Reich und die römische Überlieferung dabei ein Antrieb. Expansion der Nation deutet Mussolini als einen Ausdruck der Vitalität.

Wolfgang Schieder, Der italienische Faschismus : 1919 – 1945. Originalausgabe. München : Beck, 2010 (Beck'sche Reihe : C.-H.-Beck-Wissen ; 242), S. 60:

„Eine höhere Verbindlichkeit hatte das ideologische Konstrukt einer ‹Romanità fascista›. Mussolini instrumentalisierte kurz vor dem ‹Marsch auf Rom› in seiner programmatischen Rede von Udine am 21.9.1922 den Rom-Mythos, um die faschistischen Kohorten von ihrem Vorurteil gegenüber dem in ihren Augen korrupten Rom abzubringen. Er versprach, aus Rom »das pulsierende Zentrum, den lebendigen Geist des imperialen Italiens, von dem wir träumen«, zu machen. Das Imperium der römischen Kaiserzeit diente ihm dabei als historische Legitimation für den Aufbau des faschistischen Imperiums. So wie die römischen Kaiser in der Antike vom römischen Boden aus die halbe Welt erobert hatten, sollte der Faschismus zur römischen Imperialmacht aufsteigen. Zugleich ließ sich mit der Ideologie der ‹Romanità fascista› das persönliche Diktaturprogramm rechtfertigen, das Mussolini mit dem Aufbau des faschistischen Staates verband: Nur ein autoritär geführter Staat konnte in seine Augen das imperiale Wiederaufbauprogramm bewerkstelligen, das der faschistische Staat betreiben wollte.“