Ist es naiv, sich "einen Menschen für Alles" zu wünschen?

19 Antworten

Also meiner Ansicht nach geht es in einer Ehe/monogamen Partnerschaft, wie du so schön sagst, nicht in erster Linie darum, sich gegenseitig Bedürfnisse zu erfüllen. Man kann nicht von einem Menschen erwarten, einen zu "erfüllen" oder "glücklich" zu machen. Denn das kann er nicht. Es wird immer wieder Momente der Enttäuschung, der Uneinigkeit geben, Streitpunkte, die in einem Kompromiss enden müssen. Abgesehen davon, dass ich der Überzeugung bin, dass nur Gott Erfüllung geben kann, liebe ich meinen Partner nicht, weil er meine Bedürfnisse erfüllt, sondern weil ich ihn Liebe. Wahre Liebe ist meiner Meinung nach auch nicht anhand von Talenten, oder äußeren Merkmalen einer Person festzumachen, nicht mal unbedingt an Interessen. Die bahnen nur den Weg für ein Gefühl, das an viel weniger greifbare Bedingungen geknüpft ist. Man kann jemanden lieben und unglücklich mit ihm sein.

Zusammenfassung: Ich sehe Partnerschaft und Erfüllung von Bedürfnissen als zwei Prinzipien, die nur sehr begrenzt wirklich voneinander abhängig sind. Aber ja, ich glaube jeder hat Bedürfnisse, die Erfüllung brauchen, und viele erheben Anspruch auf diese Erfüllung durch eine bestimmte Person, die dem aber, meiner Ansicht und Erfahrung nach, niemals vollständig gerecht werden kann.

Imago8 
Fragesteller
 04.10.2016, 21:31

Danke für deine Antwort!

Man kann jemanden lieben und unglücklich mit ihm sein

Das stimmt. Aber wieso eigentlich?

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Andracus  04.10.2016, 21:36
@Imago8

Gerne!

Weil man Bedürfnisse haben kann, die so groß sind und/oder die so weit weg von dem sind, was der Geliebte bieten kann, dass das Lieben und Geliebtwerden allein nicht mehr ausreicht, um einen Glückszustand zu schaffen. Es ist in solchen Fällen, als wolle man Blutverlust durch Wasserinfusionen wettmachen - trotz aller Bemühungen beider Seiten, wenn sie denn unternommen werden, ist die Beziehung dann zum Scheitern verurteilt. Diese Bedürfnisse entstehen manchmal erst im Laufe der Zeit, manchmal sind sie schon immer da und bleiben lange unentdeckt oder verleugnet.

Im übrigen finde ich das Thema hochinteressant, weil es mich herausfordert, eine Einstellung zum ersten Mal wirklich in Worte zu fassen, und auch sonst. Daumen hoch.

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Imago8 
Fragesteller
 04.10.2016, 21:44
@Andracus

Danke, ja deine Worte sind gut.

Aber wenn eine Person einem Wasser statt Blut gibt, warum will man das Blut weiterhin von gerade dieser Person?

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Andracus  04.10.2016, 22:05
@Imago8

Weil man sie liebt. Ich bin darauf jetzt nur am Rande eingegangen, aber ich habe mir neulich mal Gedanken darüber gemacht, warum ich ausgerechnet meinen Freund liebe. Und mir sind viele plausible Argumente eingefallen. Er ist auf verschiedenen Gebieten begabt, nicht übernatürlich, aber schon ein bisschen über dem Durchschnitt. Wir haben (wahrscheinlich überdurchschnittlich) viele gemeinsame Interessen Er sieht gut aus, er hat viel von dem, was ich schon immer attraktiv fand an Männern. Er hat mir Wertschätzung und Interesse gezeigt, als ich noch extrem unsicher unter Leuten war, keinen Sinn für Mode hatte (ganz im Gegensatz zu ihm) und ich schon fürchtete, als alte Jungfer zu sterben (das war vor einem Jahr, da war ich fast neunzehn^^). Lange Rede, kurzer Sinn - bei keinem dieser Attribute hätte ich sagen können, dass ich ihn speziell deswegen liebe. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass Liebe etwas ist, was durch gewisse äußere Faktoren (und dazu zähle ich auch innere Werte!) zwar hervorgerufen und auch wieder gehemmt werden kann, was aber nicht per se durch diese Faktoren ausgemacht wird. Ich sehe mich in dem Punkt in der Annahme bestätigt, dass alle wahre Liebe, die von Menschen empfunden werden kann, ein Abglanz der göttlichen Liebe ist, weil sie letzten Endes irrational ist. Der Unterschied ist, dass der Mensch Liebe zwar immer noch an Bedingungen knüpft, ganz automatisch - aber was genau diese Bedingungen sind, das kann ich dir im einzelnen auch nicht sagen. Bestimmt sind einige davon recht oberflächlich im Vergleich zu anderen und variieren von Fall zu Fall.

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Imago8 
Fragesteller
 04.10.2016, 22:08
@Andracus

irrational, aber vielleicht nicht unergründlich, wer weiß...

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Eine Partnerschaft, in der einem die Rolle zukommt, die Bedürfnisse des anderen zu erfüllen (sprich eine versteckte Sklavenhalterei), hält nur so lange, wie der andere diese einseitige Ausbeutung duldet. Partnerschaft gelingt nur, wenn man auch immer danach fragt, was man für den anderen tun kann, wie man sich gemeinsam gut organisieren kann, um gut durchs Leben zu kommen im Rahmen der Vorstellungen, die beiden gemeinsam sind.

Imago8 
Fragesteller
 04.10.2016, 21:50

Meine ja garnichts einseitiges. Das kommt in der Frage so rüber, kann sein. Aber geht es nicht in Beziehungen auch um die gegenseitige Erfüllung von Bedürfnissen?

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berkersheim  04.10.2016, 22:20
@Imago8

Klar ist das so. Aber man muss aufpassen, dass eine Beziehung nicht zu einem Warenhaus wird. Das gehört dazu, aber Liebe ist mehr, ist auch geben ohne zu fordern, ist Vertrauen ohne sekundengenaue Abrechnung, ist gemeinsames Verstehen. Das fällt einem teils auch einfach zu und nicht alles kann "erarbeitet" werden.

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Sich einen Partner zu wünschen, der in vielen Lebenssituationen mit meinen eigenen Haltungen, Vorlieben, Erwartungen und Gewohnheiten harmonisiert, ist sicher eine realistische Einstellung. 

Dass der Partner die Bedürfnisse erfüllt, finde ich dagegen mehr als fragwürdig, weil man dazu ja vermutlich sog. Dienstleister in Anspruch nehmen kann. Ich denke dabei an eine Putzhilfe, einen Gärtner, einen Sportcoach oder einen Babysitter. 

Früher wäre Deine Vorstellung eher stimmig gewesen, als die Männer sich noch eine gute Köchin wünschten und die Frauen einen beruflich erfolgreichen Ernährer. Aber heute sind solche Vorstellungen eher weniger gefragt. Heute schauen die Menschen bezüglich einer möglichen Partnerschaft vermehrt danach, ob sie über die gleichen Situationen lachen können, ob sie bezüglich der Freizeitgestaltung ähnliche Vorstellungen haben und ob sie in ihrer Wertewelt (z.B. Vegetarier, Ökofreak, Tierfreund, Naturliebhaber, finanziell anspruchslos, Esoteriker, Diskutierer, usw.) gute Übereinstimmungen finden können. Dass dazu auch ein relativer Gleichklang im erotischen Bereich gehört, ist ohnehin selbstverständlich. 

Ich denke also, dass Du Dir die Sache mit der "Bedürfnisbefriedigung" eher abschminken solltest, denn wenn Du mit solchen Sprüchen bei modernen weiblichen Geschöpfen punkten willst, kann es sein, dass Du mit langen Wartezeiten und vielen Enttäuschungen rechnen musst.

  • Nein, ich finde es nicht naiv, auf eine Partnerschaft zu hoffen, in der die wichtigsten partnerschaftlichen Bedürfnisse von dem Partner auch tatsächlich gestillt werden -- im Gegenteil sollte genau das so sein und es gibt doch auch genug stabile Partnerschaften, die beweisen, dass das funktionieren kann.
  • Man sollte aber natürlich erwachsen genug sein zu unterscheiden zwischen solchen Bedürfnissen, die typischerweise partnerschaftlich sind und solchen, deren Befriedigung durch den Partner man nicht erwarten kann, z.B. weil man selbst dafür verantwortlich ist oder weil sie einfach nicht durch einen Partner erfüllt werden können oder sollten. 
  • So sind zum Beispiel gegenseitige Zuneigung und Vertrauen, Füreinanderdasein in guten und schlechten Zeiten und natürlich Sexualität typischerweise Bedürfnisse, die in einer Partnerschaft vom Partner abgedeckt werden sollten. Auch eine Wirtschaftsgemeinschaft und gemeinsames Freizeitverhalten ist in einem gewissen Maße für die meisten glücklichen Partnerschaften wichtig. Aber beim Freizeitverhalten sollte die Erkenntnis beginnen, dass nicht ein Partner die gesamte Freizeit abdecken sollte, sondern auch andere Sozialkontakte wünschenswert und sogar nötig sind.

Nö, das ist normal und ich denke, das geht den meisten Menschen so. ^^

Auch ist es normal, dass die Menschen sehr, sehr oft Erwartungen an andere haben, welchen sie selbst nicht im entferntesten nachkommen können. "Fehler" passieren jedem mal. Man kann aber versuchen sich so gut wie möglich an seine eigenen "Regeln" zu halten. 

Was die monogame Beziehung betrifft. 

Realistisch und vor allem ehrlich gesehen, ist der Mensch eigentlich nicht monogam, sonst würde er nicht ständig betrügen. Zumindest ist dies bei den meisten Menschen so. Da macht auch das Geschlecht keine Unterschiede. In einer "normalen" Beziehung kommt es einfach auf die Stärke der Liebe und vor allem auch auf die Persönlichkeit des Menschen an, welche Rolle Charakter und Loyalität für ihn spielen, wurde vorher vereinbart, dass man sich treu ist...