Ist er ein Eigenbrötler und wie soll ich damit umgehen?

2 Antworten

Ich würde ihn eher als typischen Jungen vom Land bezeichnen.. komme selbst aus einem solchen Milieu und hatte etliche solcher Mitschüler. Die waren nett und sympathisch und Kumpels und ehrlich, aber etwas "verschroben" mit geringem Horizont, weil man nie aus dem Heimatort groß rauskam - nur ein paar Orte weiter und in die Kreisstadt oder vielleicht mal nach Frankfurt oder Würzburg, das aber auch nicht so gern und nur im Notfall, weil man es nicht gewohnt war und die Stadt anstrengend fand. Die wirkten teilweise zufrieden oder zumindest nicht unglücklich - teilweise merkte man ihnen aber die Resignation an; ein Mädchen etwa, das mit mir in die Berufsschule ging zog mit 18 von zuhause aus, schminkte sich wild, trieb sich rum und es nahm ein sehr schlimmes Ende - die wurde von ihren extrem christlich eingestellten und auch etwas merkwürdigen, selbst im Dorf verrufenen Eltern aber wie eine Bedienstete gehalten und ich sagte damals, so was war irgendwie zu erwarten.

Durchaus helle Köpfe teilweise mit super Noten waren darunter, aber das Milieu stand ihnen im Weg: Es wurde in vielen Familien erwartet, dass die Kinder im Ort bleiben oder gar zuhause im Elternhaus und dieses übernehmen, dass sie nach der Schule (bestenfalls Realschule) vor Ort lernen, früh arbeiten gehen und es so machen "wie alle", im Kirchenchor mitsingen oder im Fußballverein des Dorfes mitkicken - auch damit man nicht als Familie seine "Ehre" und sein Gesicht verliert und der alte Opa stolz auf den "Schaffer" von Enkel oder die Enkelin, die mit 23 Mutter wird und fortan nix mehr anderes macht, ist. Die gesellschaftlichen Grenzen waren eng gefasst, sind es auch heute noch. Wer etwas anders gemacht hat, bekam es zu spüren - körperlich vom Vater daheim, aber mit Sicherheit viel schlimmer psychisch innerhalb der "Community". Man muss die Szene kennen um das Umfeld zu kapieren. Und man muss solche Menschen und ihre Lebenswege akzeptieren - sie haben es nicht leicht und oft gar keine andere Wahl, selbst wenn sie es wollen würden.. ich war auch erst frei, als ich dort weggezogen bin. Wer mit 25 nicht verheiratet war (mit einem Partner vom selben Dorf; die Eltern mussten meist befreundet sein) einen BAuplatz zumindest mal ins Auge gefasst hatte, galt als komisch; meine damalige Freundin wurde auch mal gefragt, ob es bei uns im Bett nicht klappe, weil wir mit 28/29 noch keine Kinder hatten (sind immer noch kinderlos). Es war grotesk, aber das ist dieses Umfeld "live" und dein ehemaliger Mitschüler/Kumpel wird dort gefangen sein, weil er keinen Ausweg gehabt hätte.

Ich kenne Gleichaltrige auf dem Land, die kein Internet haben und kein Smartphone, auch kein Handy, im Kinderzimmer wohnen und rund um die Uhr im Heimatdorf sind - nicht alle wollen das, aber sie müssen sich fügen; problematisch wird so was, wenn die Eltern tot sind. Dann drehen sie ggf. so durch wie meine damalige Mitschülerin, die wir heute in einer geschlossenen Unterkunft besuchen können.

Nur noch so am Rande: Als ich (Jahrgang 1990) ab 2007 für vier Jahre mit einem ein Jahr jüngeren Mädchen auf einem kleinen Dorf zusammen war, gab es z.B. in deren Familie ernsthaft Ärger, weil sie Abi gemacht hat anstatt "wie jedes Mädel" Krankenschwester oder Metzgereifachverkäuferin oder Erzieherin zu lernen und die Dorfgemeinschaft spuckte Gift und Galle, als Caro sich den Fuß gebrochen hat und nicht mehr in der Garde mittanzen konnte - und ich wurde auch immer wieder doof angemacht, weil ich nach der Realschule Kaufmann lernte statt in Landwirtschaft oder Handwerk zu arbeiten. Es war sogar ein Problem, wenn jemand die "falsche" Automarke wählte.

Auf dem Dorf bzw. in kleinen Gemeinden eckt fast jeder an, der es "anders" macht und auch für mich war es nicht immer einfach, es vertreten zu können, gelernter Industriekaufmann zu sein und mit Landwirtschaft, Handwerk, Feuerwehr oder Blasmusik keinerlei Berührungspunkte zu haben. Meine Kumpels, die zur Landjugend oder in die Jugendfeuerwehr gingen, hatten es leichter. Übrigens ist das vielleicht 15-20 Jahre her, also nicht in den 1950ern passiert - meine Kumpels und ich und die frühere Freundin (sie ist Lehrerin geworden, wir haben immer noch Kontakt, und wohnt in einer Stadt) sind zwischen ca. 1985 und 1993 geboren.

Eventuell überfordert ihn auch dein Leben und das, was er darüber weiß und er fühlt sich schwach oder schlecht oder minderwertig, wenn er dich sieht und sieht, was aus dir wurde und sich als Vergleich hat. Vom Ding her kann ich mir das vorstellen, die Reaktionen würde es aus meiner Sicht erklären. Kommen Unzufriedenheit, geringes Selbstbewusstsein und ggf. Fremdbestimmung zusammen und trifft so jemand, der gern auch was gemacht hätte aus sich, dann auf jemand anders, der alle Optionen nutzte, ist so etwas nicht so selten.

Es gibt ein schönes und sehr zu Herzen gehendes Lied dazu: "Sehnsucht ist unheilbar" von Juliane Werding - kannst dir mal anhören, ich find's gut, aber auch beklemmend.

https://www.youtube.com/watch?v=T06Hr9wiUI4

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung

Wir sind nicht zum 1. Mal hier. Und wissen nicht mal, was wir selber uns vornahmen in diesem ErdenAufenthalt zu lernen. Da wir im 1. Jahr vergessen woher wir kamen. Sonst wären wir hier völlig überfordert, würden wahnsinnig werden.

Jeder ist anders, da er anderes, als GeistWesen, vor hat.

Willst du einem Menschen Freund sein und helfen, nimm ihm von seiner Angst. Sage ihm nicht, was er nicht kann, denn keiner kann alles.

Namasté 🙏 🕉️ 🍀 💛.