Ist das Okay von mir?

3 Antworten

Ja,

lieber Michael,

ich finde Deine Notlüge völlig o.k.! Sie erinnert mich an meine Kindheit und an meine imaginäre Zwillingsschwester Alice! Ich bin ein EInzelkind und obwohl es zu meiner Kindheit und Jugend massenhaft Kinder in der Nachbarschaft gegeben hat, habe ich vor allem eine Schwester sehr vermisst! Alle anderen Kinder hatten mindestens 1, meisten jedoch 2 oder sogar 3 Geschwisterchen. Nur ich nicht! Ich hatte zwar ein wirklich schönes Zuhause mit wunderbaren Eltern, aber eben keine Alice! So habe ich mir denn eine erfunden!

Als ich aufs Gymnasium in eine andere Stadt kam, nahmen auch die Kontakte zu meinen Freundinnen aus der Nachbarschaft ab, da diese auf andere Schulen gingen. So kam es, dass ich sehr oft allein war. EIgentlich jeden Nachmittag! Meine Eltern hatten in unserem Ort ein Geschäft, ein Modehaus und waren von früh am Morgen bis abends nach 18 Uhr im Geschäft. Und ich hatte niemanden! Außer die Nachbarskinder! War aber sehr oft allein!

So kam es, dass ich mir meine Zwillingsschwester Alice nach meinen Wünschen und Vorstelllungen schuf! Und, es ist wirklich wahr, aber die Vorstellung, ich habe eine Zwillingsschwester, meine Alice, mit der ich alles besprechen kann und die mich versteht, das war eine einmalige Sache für mich und half mir psychisch sehr, sodass ich nie das Gefühl hatte, allein oder einsam zu sein! Denn: Alice war ja immer bei mir!

Am Max-Planck-Gymnasium in Schorndorf hatte ich mich mit einem Mädchen angefreundet, das natürlich auch eine Schwester hatte, die ein oder zwei Jahre älter war und die ich, als ich Gabriele mal besuchte, auch kennengelernt hatte. Ich konnte es Gebriele gegenüber einfach nicht ertragen, keine Schwester zu haben und so habe ich damit begonnen, ihr von Alice zu erzählen! Alice habe ich sooo dermaßen lebhaft geschildert und was wir beide gestern oder am Wochenende wieder alles zusammen erlebt hatten, dass Gabriele mir meine Alice vollkommen abgenommen hat und niemals auf den Gedanken gekommen wäre, dass es Alice nicht in Wirklichkeit gibt, sondern dass sie nur ein Produkt meiner Vorstellungskraft und meiner Wünsche ist!

Aber dennoch, weil ich eben halt immer schon ein grundehrlicher Mensch war und auch, weil ich mich mit Gebriele so gut verstand, habe ich dann am Ende des Jahres, als sich abgezeichnete, dass sie das Klassenziel nciht erreichen würde und die Schule verlassen würde, reinen Tisch gemacht und habe Gabriele die Wahrheit gesagt: Dass es Alice in Wirklichkeit gar nicht gibt! Und was mich damals wahnsinnig erstaunt hat und mich, auch Jahre später, wenn ich darüber nachdenke, immer noch erstaunt: Gabriele hat mir das gar nicht übel genommen! Im Gegenteil, sie hat das verstanden! Sie konnte sich in mich hineinversetzen, wie es sein musste, als Einzelkind zu leben und k e i n e Schwester, so wie sie, zu haben. Das, lieber Michael, fand ich ganz toll von Gabriele!

Und heute, lieber MIchael, ist es keine Alice mehr, die ich mir ausdenke, heute habe ich mir einen imaginären blonden Wollhund angeschafft, eine Luise! Ein wunderschönes Tier! Und wahnsinnig lieb! Einst habe ich das im Theateratelier in München meiner Freundin Eva erzählt. Allerdings habe ich ihr von vornherein erzählt, dass Luise mein imaginärer blonder Wollhund ist! Und weil Eva nicht nur intelligent, sondern auch noch gebildet ist, wusste sie sofort, was es mit diesem "imaginär" auf sich hatte!

Nun kam es, dass wir eine gemeinsame Freundin, die Ines, hatten. Ines hatte sich zu dieser Zeit erst kurz davor eine neue Wohnungs mit ebenso neuen Möbeln angeschafft. Und hatte Eva und mich zu sich eingeladen. Nun ereignete es sich, dass Eva hierzu Ines anrief und ihr bei dieser Gelegenheit erzählte, dass wir beide, sie und ich, zusammen zu Ines zur Wohnungseinweihung kämen. Aber, so wies Eva die Ines darauf hin, wir kämen nicht alleine, sondern ich würde meinen imaginären blonden Wollhund Luise mitbringen! Das sei ein wunderschöner und lieber Hund aber auch noch sehr jung und verspielt. Und sie müsse sich darauf einstellen, dass es schon passieren könne, dass der liebe Hund das ein oder andere Möbelstück anknabbere!

Mit dieser Ankündigung über Luises zu erwartende Knabbereien brachte Eva unsere liebe Ines in die Bredouille! Einerseits wollte Ines uns unbedingt ihre Wohnung zeigen, aber natürlich wollte sie auf keinen Fall, dass Luise ihre Möbel anknabberte! So musste sie sich nun überwinden, was ihr sehr schwer fiel, Eva mitzuteilen, dass wir o h n e den Hund bei ihr erscheinen sollten, denn sie wolle nicht, dass der Hund ihre neuen Möbel anknabbere!

Aber Eva tat nun beleidigt und tat so, als sei sie von Ines enttäuscht, weil diese gar so kleinlich sei wegen dieser paar harmlosen Knabbereien von Luise, sodass Ines immer heftiger reagierte und schließlich völlig außer sich geriet! Nein, das wolle sie auf keinen Fall, dass ich mit dem Hund käme, ich solle bloß diesen imaginären Wollhund zu Hause lassen, sie wolle auf keinen Fall, dass diese Luise ihre Möbel beschädige!

Schließlich konnte sich Eva Ines am Telefon gegenüber nicht mehr halten! Die ganze SItuation war so urkomisch und Ines reagierte so real und doch so schräg auf diesen "imaginären Wollhund", dass es Eva vor lauter Lachen nicht mehr aushielt und sie lauthals loszulachen begann! Ines verstand die ganze Situation natrülrich auch da vollkommen falsch und meinte nun, Eva lache über sie, weil sie nicht wollte, dass ich mit Luise bei ihr erscheine und verbat sich enegerisch Evas Lacher! Doch je mehr Ines instistierte und sich Luises Kommen verbat, desto mehr musste Eva lachen! Auch als sie Ines schon längst drüber informiert hatte, dass Luise ein "Imaginärer" Wollhund sei, hatte Ines immer noch nicht begriffen und machte unaufhörlich weiter mit ihrem: "Nein, ich will n i c h t, dass Regilindis mit dem Hund kommt! Wenn der meine Möbel anknabbert! Und wenn das 10 mal ein imaginärer Wollhund ist, das ist mir egal! Regilindis soll ihn nicht mitbringen!"

Schließlich blieb Eva nichts anderes übrig, als unsere unerfahrene Freundin darüber aufzuklären, was es mit diesem "imaginär" denn nun so auf sich habe, dass dieses Wort nichts anderes bedeute, als dass es etwas beschreibe, dass es nur in der reinen Vorstellung, der Fantasie eines Menschen gebe, das aber in Wirklichkeit gar nicht existiere!

Doch Eva sollte sich schwer täuschen, wenn sie nun glaubte, dass Ines ihr mit einem Mal abnahm, dass es Luise in Wirklichkeit gar nicht gäbe! Eva berichtete mir ausführlich über die sich abspielende Dramatik dieser ganzen Situation und wie sehr sich Ines sträubte, dieses "imaginär" begreifen zu wollen und es akzeptieren zu wollen, dass es Luise in Wirklichkeit gar nicht gab!

Schließlich rief mich Ines kurz nach Eva Anruf selbst an und berichtete mir aus ihrer Sicht, was sie mit Eva erlebt hatte und forderte nun mich auf, meinen imaginären Wollhund Luise zu Hause zu lassen! Daaa erzählte ich Ines nun haarklein, was mir Eva am Telefon über sie und meinen imaginären blonden Wollhund Luise berichtet hatte - und endlich, endlich fiel bei Ines der Groschen und sie begriff, dass es Luise gar nicht gab und w a s das Wort "imaginär" bedeutete!

Da fiel Ines ein regelrechter Stein vom Herzen, als sie erfuhr, dass ich nun wirklich nicht mit Luise bei ihr vorbeikomme und ihre Möbel nicht angeknabbert und ebensowenig beschädigt werden würden!

Aber nun nochmals zurück zu Dir, lieber Michael! Obwohl wir heute lebende Menschen mit einem Outing und ebenso schwulen Männern viel toleranter umgehen, stelle ich mir vor, dass Du Dich wegen Deiner andersweitigen sexuellen Orientierung dennoch nach Deinem Outing manches Mal unter lauter Heteros sehr alleine fühlen musst! Dies, nehme ich an, ist wohl auch der Grund, weshalb Du Dir einen Freund erschaffen hast, der so ganz Deinen Vorstellungen entspricht und mit dem Du eine solche gleichgeschlechtliche Beziehung führen kannst!

Es ist einerseits schade, dass Du zu diesem Mittel, Deinen Freund zu erfinden, greifen musst, um über Dein Alleinsein hinwegzukommen, aber es ist durchaus verständlich und ebenso vollkommen normal! und legitim Denn damit hilfst Du Dir selbst und tust Dir etwas Gutes! Deshalb finde ich auch, dass man es mit einer Notlüge eigentlich gar nicht vergleichen kann, denn Du schadest dadurch ja keiner Menschenseele - und schon gar nicht Deinem Kumpel!

Vielleicht wird der Tag kommen, an dem Du Deinem Kumpel reinen Wein einschenkst, sobald Du an seinem Verhalten Dir gegenüber bemerkt haben wirst, dass er für Dich, Dein Leben und Deine Situation, Versändnis aufbringt und zu Dir hält! Du solltest Dich selber jedoch diesbezüglich nicht unter Druck setzen und zu hohe Erwartungen an Dich selbst stellen, indem Du von Dir verlangst, dass Du ihm zu einem bestimmten Zeitpunkt die Wahrheit sagen musst! Lass Dir Zeit und sei geduldig mit Dir selbst und versuche, Dich zu verstehen und Dir selber und Deinen Gefühlen treu zu sein. Das wird Dir helfen!

Ebenso solltest Du von Deinem Kumpel an Verständnis Dir gegenüber nichts Übermenschliches erwarten, denn er ist ja ebenso genauso alt wie Du und zudem als Hetero noch anders gepolt als Du, sodass sein Verständnis für Dich von seiner Seite aus immer auch eine gewisse Gratwanderung ist, von der man nie genau weiß, wie sich die ganze Sache, d.h. die Beziehung zu Deinem Kumpel, entwickeln wird!

Am besten, Du lässt alles erst mal so wie es ist: Du bleibst Deinem Kumpel gegenüber dabei, dass Du einen Freund hast und tastetst dabei vorsichtig ab, wie er sich Dir gegenüber nach Deinem Outing verhält! Und wenn Dein Kumpel ein wirklich toleranter Mensch ist, dann wird sich alles von alleine finden und Du wirst Dich ihm langsam immer weiter öffnen!

Und, lieber Michael, ja, ich kann Dein Vorgehen nachvollziehen! Und ich, auch wenn ich eine Frau bin und Dir nur über den Äther des Internets schreibe, stehe voll hinter Dir! Und halte Deine Vorgehensweise für legitim! Ich würde es in Deinem Fall genauso machen!

So bleibt mir, lieber Michael, Dir alles Gute zu wünschen! Dass Du in Deinen jungen Jahren wirklich einen Freund finden mögest, der so ist, wie Du ihn Dir wünschst! Solche Menschen gibt es tatsächlich, ich selbst mache mit meinem Partner, mit dem mich eine langjährige tiefe Liebe verbindet, diese glückliche Erfahrung jeden Tag und betrachte unsere Beziehung als Geschenk des Lebens! Was ich auch Dir wünsche!

In diesem Sinne, lieber Michael, herzliche Wünsche und ein schönes und glückliches Leben mit einem Freund, den Dir das Leben schenken möge!

Herzlich!

Regilindis

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung

Ich kann das Bedürfnis verstehen, aber am Ende wird es immer ans TAgeslicht kommen und sich alle wundern warum du es gemacht hast...

Hallo Michael17X,

Es ist okay das zu machen, jedoch hat das ja einen Grund warum es dir schwer fällt die Wahrheit zu sagen. Sich zu fragen was diese Lüge einem bringt, und wovor sie einem beschützt ist ein erster guter Schritt um zu reflektieren warum es überhaupt so kommen musste.

Grüße,
Marcel

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – M.Sc. Klinische Psychologie