Interpretation von Camus?

4 Antworten

Hallo,-

Camus als Philosophen in einem systemrelevanten Sinn - also etwa wie Kant, Platon, Popper, Descartes, Aristoteles u.v.a. zu verstehen ist etwas schwierig.

Eher war er Schriftsteller mit einer gewissen philosophischen Mehrdimensionalität (Denken) als Hintergrund seines Schaffens.

Einer meiner Profs hat den Satz geprägt: "Philosophen sind (i.d.R.) schlechte Schriftsteller (weil die rationale Ausrichtung des Denkens zu Lasten der emotional-ästhetischen Ausdrucksfähigkeit geht). Und Literaten sind (i.d.R.) schlechte Philosophen" (weil ihr Schwerpunkt die gegenteilige Ausrichtung bedeutet).

Ich denke, dass trifft auch auf Camus zu. Er spricht wichtige Themen menschlicher Existenz an, bleibt in der Ausformulierung von Antwortangeboten vage, - eher emotional-agitatorisch bewegend,- nicht weniger - aber auch nicht mehr.

Zudem möchte ich Ottavio in einem Punkt wiedersprechen. Camus hat sich selbst nie als >Existentialist< verstanden. Ihn hat vielmehr die Absurdität - also die fehlende Antwort des Lebens auf die Frage des Menschen nach einem Sinn - beschäftigt und in der Folge das Problem, wie man damit als Mensch umgehen kann. In dem Punkt stimme ich mit Ottavio wieder überein.

Das von dir angeführte Zitat ist so eine, eher "literarisch gestaltete Bewegtheit".

Der Philosoph würde sagen:

  • definiere "lohnen".
  • zeige, dass Selbstmord ein philosophisches Problem und nicht nur ein Ereignis (von vielen) ist.
  • definiere in diesem Zusammenhang den Unterschied zwischen Sinn und Zweck
  • weise nach, dass das Leben (die Evolution) im empirischen Sinn eine feststellbare / entdeckbare Kausalität zur prozessualen Entwicklung von Sinn und Zweck oder Sinn durch Zweck enthält

Fazit: wenn es dir nicht gelingen sollte, diese Punkte in eine hinreichend plausible Schlußfolgerung als Gesamtaussage zu systematisieren dann gilt die alte Weisheit:

"Ent-Täuschungen sind das Ergebnis falscher Erwartungen" --

und der Satz von Moritz Schlick (Mitglied im Wiener Kreis des >Logischen Empirismus< von R Carnap: "Der Sinn des Lebens ist das Leben selber". Punkt.

Das Leben lebt weil es das kann,- nicht weil es das muß oder soll. - Es ist kein Versprechen auf menschliche "Sinnfindung oder -erfüllung". Es ist die Möglichkeit zur Produktion von Möglichkeiten der Selbstentfaltung. Wenn überhaupt als zulässige Qualifizierung in der rückbezüglichen Analyse seiner Dynamik wäre das sein Zweck - ein Selbstzweck. Das nennt man systemtheoretisch ein >Offenes System< (im Gegensatz zu Automaten, komplexen Maschinen oder kybernetischen Algorhitmen von Prozeßsteuerungen).

Unsere menschliche Teilhabe daran ist nur die Option auf eine Selbstentfaltungsstruktur, die wir als sinnhaft im Rahmen unserer menschlichen Existenz deuten können.

Und da kommt wieder Camus ins Spiel: Seine Vorstellungen deuten darauf hin, dass nur eine gerechte Gemeinschaft der Menschen in einem Universum des Absurden, ein eigenes Universum sinnhafter und sinngebender Strukturen schaffen könnte, um den Einzelnen vor der "tödlichen" Überwältigung durch das Sinnlose des Absurden zu schützen.

Auf seine "literarische Art" war Camus Anarchist, Humanist und Aufklärer zugleich.

Gruß

Ottavio  22.10.2019, 21:01

Ich gebe Dir Recht: Camus hat sich nie als >Existentialist< verstanden. Die Bezeichnung >Existentialist< kam überhaupt erst 1946 auf, und zwar nicht als Selbstbezeichung, sondern als eine Erfindung der Presse, auf Sartre bezogen. Ich habe darum dies Wort auch tunlichst vermieden und stattdessen von ihm als >Existenzphilosopen< gesprochen - ein zugestanden nicht sehr klar abgegrenzter Begriff.

Man kann auch trefflich darüber streiten, ob er überhaupt ein Philosoph war. In erster Linie war er sicher Literat und nicht Philosoph.Nur wenige sind in erster Linie Philosoph. Camus war halt ein Auch-Philosoph, er war es in zweiter Linie, wie viele.

Aber mein Metier ist nicht die Literaturwissenschaft, sondern eben die Philosophie. Darum kann ich ihn eben nur von der philosophischen Seite interpretieren.

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Grautvornix16  23.10.2019, 15:37
@Ottavio

Hi, hatte ich schon so verstanden. Ging mir in diesem Punkt nur um eine vertiefende Darlegung zur Vermeidung von Mißverständnissen mit Blick auf den Fragesteller. ;-)

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Hallo,

Camus sieht in der Welt keinen Sinn, der der (menschlichen) Existenz zugrunde läge oder vorausginge. In der stetigen Suche des Menschen - die zu seiner Natur, seiner conditio humana, gehört - nach eben diesem Sinn und dem gleichgültigen „Schweigen“ der Welt, die ihm nie eine Antwort geben kann, entsteht das, was er als das „Absurde“ bezeichnet.
Nun stellt sich angesichts dieser Sinnlosigkeit natürlich die Frage, ob es dann der Mühe lohnt, das Leben zu führen, oder ob der (tatsächliche) Selbstmord, die angemessene Reaktion ist.
Lautet die Antwort ja, dann stellt sich danach keine Frage mehr. Mit dem Tod endet alles Suchen und Fragen und die Frage, ob man sich selbst töten sollte ist deshalb auch die erste und wichtigste für ihn.
Er spricht sich dann gegen den Selbstmord aus, da man so die Absurdität nicht „löst“, sondern nur einen Teil der Gleichung wegnimmt. Man muss in der Gewissheit der Absurdität und damit zugleich in ihrer Aufrechterhaltung leben. Bei Camus hat nichts eine übergeordnete Qualität mit der Ausnahme der Quantität (des Lebens); je länger das bewusste Leben im Absurden, desto besser. Er lehnt darüber hinaus auch den „philosophischen Selbstmord“ ab - den Sprung aus der bewusstgemachten Absurdität in eine selbstgeschaffene Sinnfiktion (wie etwa die Religion) als Ausweg aus der Sinnlosigkeit.
Es lässt sich tatsächlich so zusammenfassen: Der „Sinn“ des Lebens ist das Leben selbst. Wie dieses Leben aussieht, ist dabei letztendlich egal.

Camus gehört halt zu den Existenzphilosophen, sein zentrales Thema ist die meschliche Existenz, sein Dasein in dieser Welt. Der Mensch ist in die Existenz hineingeworfen; seine wichtigste Entscheidung ist die, ob er die Herausforderung annimmt und sich entscheidet zu bleiben - oder eben nicht.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung

Da hilft nur Erkenntnis!

Wenn die Menschen ihrer Naturanlage nach die Lust erstrebten, sie aber unmöglich erreichen kön-nen, dann wäre Vernichtung des Daseins und Erlösung durch das Nichtsein das einzig ver-nünftige Ziel. Und wenn man der Ansicht ist, daß der eigentliche Träger des Weltschmerzes Gott sei, so müßten die Menschen es sich zur Aufgabe machen, die Erlösung Gottes herbeizuführen.

Durch den Selbstmord des einzelnen wird die Erreichung dieses Zieles nicht gefördert, sondern beeinträchtigt. Gott kann vernünftigerweise die Menschen nur geschaffen haben, damit sie durch ihr Handeln seine Erlösung herbeiführen. Sonst wäre die Schöpfung zwecklos. Und an außer-menschliche Zwecke denkt eine solche Weltansicht. Jeder muß in dem allgemeinen Erlösungswer-ke seine bestimmte Arbeit verrichten. Entzieht er sich derselben durch den Selbstmord, so muß die ihm zugedachte Arbeit von einem anderen verrichtet werden.

        Dieser muß statt ihm die Daseinsqual ertragen.

Und da in jedem Wesen Gott steckt als der eigentliche Schmerzträger, so hat der Selbstmörder die Menge des Gottesschmerzes nicht im geringsten vermindert, vielmehr Gott die neue Schwierigkeit auferlegt, für ihn einen Ersatzmann zu schaffen.

(von Dr. R. Steiner aus der GA 004: Der Wert des Lebens XIII)

Woher ich das weiß:Hobby – Wo liegen die Ursachen für das, was in der Welt passiert?