Interpretation Johann Wolfgang von Goethe: Das Göttliche?

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Zu 1. Der Mensch kann edel, hilfreich und gut sein. Da er als einziges Wesen so sein kann (und andere Wesen, die wir kennen, dies nicht können), sollte er dieser Ausnahmestellung auch gerecht werden (die Hilfsbereitschaft von Tieren bezieht sich ausschließlich auf ihre Brut, geschieht also aus einem Instinkt heraus, nicht aus freien Stücken). Hier bringt das lyrische Ich diese Ausnahmefähigkeiten des Menschen mit den „höheren Wesen“ in Verbindung (2. Str.), denn es huldigt emphatisch diesen Wesen („Heil, ihr unbekannten höheren Wesen!“) Warum diese Huldigung? Weil sie dem Menschen diese Ausnahmestellung eingeräumt haben. Deshalb soll der Mensch edel, hilfreich und gut sein, weil er den höheren Wesen dann gleicht und andere durch sein Beispiel veranlasst, an jene zu glauben (2. Str.). Goethe geht also davon aus, die höheren Wesen seien edel und gut etc.

Der Mensch nimmt nicht nur gegenüber den Tieren eine Sonderstellung ein, sondern auch gegenüber den Naturkräften, den Naturgesetzen und dem Glück. Die sind alle „unfühlend“, machen keine Unterschiede (s. Str. 3 – 6). Allein der Mensch kann das Folgende (Str. 7 und 8): er kann ein Mitgefühl für andere entwickeln, kann wählen, richten, belohnen, bestrafen, heilen, retten und das Nützliche tun etc.

Str. 9 und 10 nehmen wieder Bezug zu den höheren Wesen, die im Großen das Edle, Gute tun, so wie der Beste im Kleinen.

Am Schluss Wiederholung des Gedankens aus Str. 2: der edle Mensch soll den anderen Menschen Vorbild sein, indem er das Nützliche und Rechte tut, damit die anderen an die geahnten höheren Wesen glauben.

Zu 2. Goethe war ein Pantheist, d.h. für ihn waren Gott und Natur gleich. Für einen personalen Gott oder für Götter war kein Platz mehr. Es gibt nur die göttliche Kraft, die in allen Lebewesen und in der genialen Konstruktion des Universums spürbar ist. Goethe nennt diese Kraft „das Göttliche“.

Nun spricht Goethe aber auch von den Unsterblichen und den höheren Wesen. Das bedeutet: Goethe war kein radikaler Pantheist; manche sagen, er hätte ein kosmotheistisches Weltbild gehabt (denn für einen lupenreinen Pantheisten gibt es keinen Platz für unsterbliche Götter).

Zu 3: Die Antwort ergibt sich aus Frage 2: durch das Vorbild des edlen Menschen sollen die anderen zum Glauben an das Göttliche geführt werden.

Goethe hat sich zwar als dezidierten Nichtchristen bezeichnet (er glaubte nicht an die Erbsünde); m.E. stimmen aber die Gedanken in dem Gedicht „Das Göttliche“  mit dem christlichen Glauben überein. Durch die christliche Tat i.S. der Bergpredigt können viele zum christlichen Glauben geführt werden. Man kann natürlich darüber streiten, ob es an solchen vorbildhaften Taten heute eventuell fehlt. Auch kann man sagen, Christen glauben an einen persönlichen Gott, nicht bloß an eine göttliche Kraft.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung