Hohe genetische Variabilität bei schwarzafrikanischen Bevölkerungen?

1 Antwort

Hallo,

die größte genetische Variabilität findet man heute in Afrika. Das haben populationsgenetische Untersuchungen ergeben. Man muss aber betonen, dass der Mensch insgesamt eine genetisch extrem homogene Spezies ist, nur 0.1 % unserer Gene sind veschieden. Und: die genetische Variabilität innerhalb von Populationen ist größer als zwischen den Populationen - du wirst also beispielsweise innerhalb eines Dorfes eine größere genetische Vielfalt finden als wenn du die genetische Vielfalt zweier Dörfer miteinander vergleichst. Daher ist es in keiner Weise gerechtfertigt, aus genetischer Sicht beim Menschen von Rassen zu sprechen. Auch phänotypisch lässt sich der Mensch nicht in Rassen einteilen. Es gibt zwar große phänotypische Unterschiede (z. B. Haar- und Augenfarbe, Hautfarbe, Größe, Statur, ... ), aber die Übergänge sind fließend, man kann also nirgendwo eine scharfe Grenze ziehen zwischen den Merkmalen. Damit muss deshalb klar betont werden: es gibt keinerlei biologische Rechtfertigung für krude Rassenideologien. Im Gegenteil, es gibt aus biologischer Sicht sehr viel mehr Dinge, die uns miteinander verbinden als dass sie uns trennen.

Warum ist aber die genetische Variabilität in Afrika am größten? Das hängt mit der Evolution des Menschen zusammen. Der Mensch ist in Afrika entstanden. Dass dem so ist, wissen wir nicht nur aufgrund der populationsgenetischen Befunde, sondern auch durch den Fossilienbeleg. Die ältesten Fossilien des Menschen stammen aus Afrika, Fossilien aus anderen Regionen der Welt (Europa, Asien, Australien, Amerika) sind ausnahmslos jüngeren Datums.
Weil der Mensch also in Afrika entstand, hat sich dort die volle Bandbreite der genetischen Vielfalt ausgebildet. Die Gesamtheit aller verschiedenen Varianten von Genen nennt man Genpool.
Vor rund 150 000 Jahren, vielleicht auch früher, wanderten schließlich die ersten Menschen von Afrika nach Kleinasien aus (Out-of-Africa-Theorie). Von dort expandierte der Mensch die Küste entlang nach Indien und von dort aus nach Australien, recht spät besiedelte der Mensch Europa und über die Bering-Brücke Amerika. Vielleicht wurden Teile Südamerikas auch von Polynesien aus über den Pazifik mit Booten erreicht, so genau weiß man das noch nicht.
Aber natürlich brachen plötzlich nicht alle Menschen von Afrika aus auf, um die Welt zu erobern. Ein Großteil von ihnen blieb in Afrika. Die wenigen Individuen, die in die neuen Teile der Welt auswanderten, brachten daher auch nur einen kleinen Teil des ursprünglich großen Genpools mit in die neuen Lebensräume. Sie wurden so zu den Gründern neuer Populationen außerhalb Afrikas mit einem viel stärker eingeschränkten und damit homogeneren Genpool. Man spricht hier vom so genannten Gründereffekt. Er hängt stark vom Zufall ab (nämlich davon, welche Individuen auswandern und welche bleiben) und wird deshalb der Gendrift zugerechnet.

Um den Gründereffekt zu verstehen, hilft folgendes Experiment: man nehme ein kleines Säckchen, das blickdicht ist und somit nicht von außen eingesehen werden kann. In den Sack gibt man nun verschiedenfarbige Murmeln, z. B. zehn rote, zehn gelbe, zehn blaue, zehn grüne, zehn violette, zehn braune, zehn orangene, zehn weiße, zehn schwarze und zehn graue Kugeln. Jede Murmel steht für ein Individuum der Ausgangspopulation. Jede Farbe steht für ein bestimmtes Allel. Anschließend zieht man 10 Murmeln zufällig aus dem Sack heraus und notiert sich ihre Farbe. Sie sind diejenigen Individuen, welche die Gründerpopulation bilden, also jene Individuen, die auswandern. Mit großer Wahrscheinlichkeit zieht man jedoch nicht von jeder Farbe eine Murmel, manche Farben werden mehrfach gezogen, andere dagegen gar nicht. Entsprechend weniger variabel ist der Genpool der Gründerpopulation. Man kann an diesem Experiment auch die Zufälligkeit des Gründereffekts überprüfen. Legt man die Murmeln nämlich zurück in den Sack und wiederholt das Experiment einige Male, werden sich die Genpoole (also die gezogenen Farben) der Gründerpopulationen stark voneinander unterscheiden.

Es gibt, neben dem Gründereffekt, aber noch einen weiteren Grund, weshalb die genetische Variabilität außerhalb Afrikas kleiner ist. Die genetische Variabilität einer Population ist nämlich nicht überall gleich groß. Mit zunehmender geographischer Distanz nimmt auch die genetische Distanz der Individuen einer Population zu. Das ist selbst dann so, wenn es zwischen den Individuen gar keine geographische Barriere wie einen Fluss, ein Tal oder ein Gebirge gibt. Man spricht bei dieser Form der genetischen Isolierung deshalb von der Isolation durch Distanz (isolation by distance, IBD). Meist ist dabei die genetische Variabilität im Kerngebiet der Verbreitung einer Population deutlich größer als an den Randzonen des Verbreitungsgebiets.
Warum ist das so? Schuld daran ist das Dispersal der Individuen. Dispersal bezeichnet das Abwandern der Individuen aus der Geburtsregion mit dem Erreichen der Geschlechtsreife. Durch das Dispersal soll vermieden werden, dass sich miteinander verwandte Individuen paaren, es soll also Inzucht vermeiden. Durch Inzucht würde nämlich die genetische Variabilität stark eingeschränkt werden und da immer die gleichen Allele miteinander kombiniert würden, nähme der Anteil homozygoter Individuen (ein Individuum ist homozygot, wenn sein väterliches und sein mütterliches Allel identisch sind) zu. Das ist aber problematisch, denn Heterozygotie (väterliches und mütterliches Allel sind verschieden) ist oftmals von Vorteil (Heterozygotenvorteil, bekanntestes Beispiel ist hier der Heterozygotenvorteil bei der Sichelzellanämie in Malariagebieten) und noch dazu werden viele Erbkrankheiten rezessiv vererbt, treten also nur bei Individuen auf, die das rezessive Allel geerbt haben und homozygot sind. Um die negativen Folgen der Inzucht zu verhindern, ist das Dispersal daher unerlässlich. Es gibt bei den verschiedenen Tierarten große Unterschiede, wer wandert. Manchmal wandern nur die Weibchen ab, manchmal die Männchen, manchmal beide Geschlechter. Beim Menschen waren es üblicherweise die Frauen, die abwanderten, während die Männer zeitlebens an ihrem Geburtsort blieben (männliche Philopatrie).
Aber Individuen können nicht unbegrenzt weit und beliebig wandern, das Dispersal ist begrenzt. Bei manchen Tieren beträgt die Strecke, die ein Individuum beim Dispersal zurücklegen kann, nur wenige Meter, vor allem bei kleinen und langsamen Tieren wie vielen Amphibien. Bei Vögeln, die weite Strecken fliegend zurücklegen können, ist das Dispersal in größeren Maßstäben möglich. Beim Menschen beträgt die natürlicherweise zurückgelegte Strecke beim Dispersal ursprünglich nur einige Kilometer. Man muss ja bedenken, dass größere Strecken erst mit den modernen Verkehrsmitteln, zuerst Pferdewagen und Kutschen, später motorisierte Fahrzeuge, seit kurzer Zeit zurückgelegt werden. Die ersten Menschen hingegen waren auschließlich per pedes unterwegs und konnten daher nicht hunderte von Kilometern weit abwandern. Das hat zur Folge, dass der Genpool einer Population sich nicht beliebig durchmischt. Gerade wenn Individuen an den entgegengesetzten Polen eines Verbreitungsgebiets (z. B. ein Individuum im Westen, das andere im Osten) in der Peripherie geboren wurden, war es praktisch unmöglich, dass ausgerechnet diese sich miteinander fortpflanzen und damit ihre Allele mischen konnten. Am ehesten besitzt noch das Zentrum Kontakt zu allen Randbereichen und weist deshalb auch die größte genetische Variabilität auf.

Die Neubesiedlung eines Lebensraums erfolgt aber üblicherweise nicht vom Zentrum des Verbreitungsgebiets einer Population aus. Neue Lebensräume werden in den allermeisten Fällen von denjenigen Individuen erschlossen, die in der Peripherie leben, genau dort, wo die genetische Variabilität durch das Dispersal und die IBD von Natur aus schon eingeschränkt ist. Die IBD wirkt dann noch als zusätzlicher Faktor zum Gründereffekt. Beide in ihrer Gesamtheit haben zur Folge, dass Populationen in neu besiedelten Lebensräumen oftmals (aber nicht immer!) genetisch weniger variabel sind. Beim Menschen haben Gründereffekt und IBD dazu geführt, dass die größte genetische Variabilität heute in Afrika zu finden ist.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Biologiestudium, Universität Leipzig
Pharao123  25.01.2021, 17:46

Hab selten eine so gut ausführliche und gute Antwort gesehen... Respekt 👍🏽👍🏽👍🏽

0